Das verlorene Schwabing - Denkmalamtschef im AZ-Interview

In der AZ spricht Denkmalamts-Chef Mathias Pfeil über sein Schwabing, nervige Münchner Radler – und die Frage, warum er eigentlich nichts mehr gegen die Park-Tram hat.
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Pfeil spricht mit Vize-Chefredakteur Thomas Müller (rechts) und AZ-Lokalchef Felix Müller (links) über München.
Felix Hörhager/dpa, Petra Schramek Pfeil spricht mit Vize-Chefredakteur Thomas Müller (rechts) und AZ-Lokalchef Felix Müller (links) über München.

München - Der gebürtige Günzburger schreitet beherzt zur Sache: Gekonnt halbiert er die Weißwurst erst in der Breite, dann beide Hälften der Länge nach – der Rest ist Genuss. Umso mehr, als die Würschtl fantastisch frisch sind im urigen „Gasthaus Isar-thor“. Mit dem Wirt ist er übrigens per Du – ein Heimspiel also für den Generalkonservator, der seit seinem 15. Lebensjahr ein Münchner ist.

AZ: Herr Pfeil, Münchner sind Sie ja keiner, so vom Duktus her...
MATHIAS PFEIL: ...das ist gemein, dass mir das immer vorgeworfen wird. Ich bin in Günzburg geboren und in Kempten aufgewachsen, aber mit 14 nach München.

Abitur haben Sie in Schwabing gemacht. Da wohnen Sie auch heute wieder. Gibt’s das alte Schwabing noch?
Was soll das sein, das alte Schwabing? Also die Künstlerkolonie Schwabing gibt es nicht mehr. Am Wochenende abends ist Schwabing ein lautes, schreiendes Etwas.

Gehen Sie raus am Samstagabend in Schwabing?
Ehrlich gesagt nicht. Ich bin froh, wenn ich in meine Garage reingefahren bin. Wobei ich da in letzter Zeit mit meinem Golf zwei Unfälle beim Einfahren hatte. Die Garage liegt im Innenhof.

Wen haben Sie da zusammengefahren?
Nur gegen die Hauswand einmal und das andere Mal gegen den Wagen von der Wäscherei gegenüber. Da musste ich einer Radlerin ausweichen – geschimpft hat sie natürlich trotzdem.

Kein Freund der Münchner Radler?
Das ist Kampfsport! Und oft wirklich kein Spaß mehr! Die Leute lassen ihre Aggressionen heute nicht mehr im Auto aus, sondern auf dem Rad. Versuchen Sie mal, mit dem Rad auf der falschen Seite einen Radweg auf der Leopoldstraße zu benutzen.

Haben wir schon lange nicht mehr gemacht.
Tun Sie es! Wenn Sie mal so richtig Ärger wollen und der Meinung sind, Sie brauchen das jetzt, fahren Sie da falsch rum.

Nochmal zu Schwabing: Viele Studenten wohnen da nicht mehr, oder?
Nein, die Wohnungen, die saniert werden, sind teuer. Nur am Wochenende findet ein Masseneinfall statt. Und was ich komisch finde und das war vor fünf, sechs Jahren wirklich noch anders: Es gibt Balkonfeten, da wird nicht gefeiert, sondern getobt und geschrien bis 3 Uhr nachts. Das ist nicht schön, nicht gemütlich. Das ist einfach nur laut.

Wie sehr fehlt die Schwabinger 7, die Absturz-Kellerkneipe in der Nachkriegs-Baracke?
Da war ja eine Bombe drunter. Insofern war der Abriss im Rückblick vielleicht doch gut. Aber natürlich ist damit ein Stück Schwabinger Atmosphäre verloren gegangen. Das fehlt schon.

Haben Sie die Proteste gegen den Abriss damals verstanden?
Ja.

OB Ude äußerte sich verächtlich darüber.
Das war nicht fair. Die Schwabinger 7 war ein Rückzugsort für viele Menschen. Ein sehr typischer Rückzugsort.

Solche Orte entstehen gerade in Schwabing nicht mehr neu, oder?
Schwierig. Wie sollten sie entstehen? Da müsste es solche Gebäude noch geben, solche Hinterhöfe – und Menschen, die sich da reintrauen. Sowas kann man nicht planen.

Dafür gibt es in Schwabing mittlerweile einen Kiosk. Sie können nach 20 Uhr einkaufen.
Wo ist der?

An der Münchner Freiheit.
Ach, der grüne, bunte. Irgendwie schreckt der mich ab. Da war ich noch gar nicht.

Wenn Sie am Wochenende nicht rausgehen: Wohin gehen Sie unter der Woche in Schwabing?
Es gibt viele nette Lokale, viele Möglichkeiten, schnell mal was zu essen – und damit meine ich nicht den McDonald’s. Ich mag die Stimmung des Viertels total gerne, dieses Dorf von 1890, 1900, als auch mein Haus in der Wagnerstraße gebaut wurde.

Ausgerechnet in der Wagnerstraße gab es ja eine Denkmalschutz-Debatte um ein Mietshaus, das abgerissen wurde.
Es gab sogar zwei! Und ich wohne genau zwischen diesen beiden Häusern. Beide sind aber so überformt gewesen, dass es einfach keine Denkmäler sind. Das ist es, was uns in München Schwierigkeiten macht: Die emotionalen Denkmäler, wie ich sie genannt habe. Gebäude werden als Denkmäler eingefordert, obwohl sie einfach nicht die Qualitätsmerkmale haben. Auf dem Land ist das übrigens genau anders rum.

Emotionale Denkmäler tragen doch zur Identität einer Stadt bei.
München hat ja nicht viele echte Denkmäler. Doch, doch! Etwa vier Prozent des Baubestands sind in der Denkmalliste.

Das ist ja so viel nun auch nicht.
Dreimal so viel wie der Schnitt in Bayern! Denkmäler werden nie die Masse sein. Sie sind nur als Mangel möglich. Die Leute mögen auch das Wiederaufgebaute, Überformte. Das verstehe ich. München verändert sich eben wahnsinnig schnell.
So wird aber auch eine neue Identität geschaffen. Aber das merkt man dann eben erst später.

Glauben Sie ernsthaft, dass die Neubaugebiete von heute irgendwann eine Identität schaffen?
Sie wissen nie, was später schützenswert ist. Die Gründerzeitbauten hat man ja vor 40, 50 Jahren auch nicht als schützenswert angesehen. Aber ich würde mich sehr wundern. Ein Denkmalpfleger der Zukunft wird schon genau hinschauen müssen, was da schützenswert ist.

Freiham? In 500 Jahren?
Wenn es 500 Jahre übersteht: vielleicht. Aber mich würde es wundern.

Sie haben mal erzählt, dass Sie als junger Mann ins P1 sind. Gelebt haben Sie in Alt-Schwabing und im Lehel. Kann einen härter treffen als Münchner.
Hm.

Jede Stadt hat auch Gegenden, in denen man nicht tot überm Zaun hängen will. Wo würden Sie nicht mal mit Ihrem Golf hinfahren?
Die gesamte Bebauung entlang der Bahnlinie nach Pasing raus ist furchtbar gesichtslos. Es ist eine Architektur ohne jede Identität. Das sind so Neubau-Viertel, die wie ein Miniatur-New-York aussehen.

Viel zu niedrig gebaut?
Letztlich schon, ja.

Können Sie sich vorstellen, in einem Neubau zu wohnen?
Ja, klar. Sie haben zum Beispiel in Neubauten die Möglichkeit, große Fenster zu haben. In Waldkraiburg habe ich mal in einem Neubau gewohnt. Dritter Stock. Dachterrasse, große Fenster. Das finden Sie in einem Altbau nicht.

Dafür fehlt die Patina. So wie hier im Wirtshaus.
Diese Patina wäre ja auch nicht möglich gewesen, wenn es das Rauchverbot früher gegeben hätte. Das ist ja reines Nikotin.

Ist Gemütlichkeit verloren gegangen in den Wirtshäusern mit dem Rauchverbot?
Ein bisschen schon. Das Rauchen war beruhigend, der Rauch hat eine Atmosphäre geschaffen. Trotzdem: Man ist halt auch rausgegangen und hat gestunken. Und wenn ich früher eine Schachtel geraucht habe, ging es mir hinterher auch nicht gut. Hin und wieder rauche ich noch eine Zigarette. Aber das ist nicht das Gleiche.

Reden wir über Stadtplanung: Was soll aus dem Max-Joseph-Platz werden?
Man sollte Busse und Autos nicht mehr auf den Platz fahren lassen. Das ist das Vorfeld der Residenz, der Oper, der Platz gehört autoverkehrsfrei. Natürlich ist die Maximilianstraße auch ein Witz, wenn man überlegt, wie die Autos stehen.

Könnten das Orte sein, bei denen man in ein paar Jahrzehnten denkt: Unfassbar, wie lange dort noch Autos fahren durften?
Sicher. Da bin ich ganz sicher. Es ist nur eine Frage der Zeit. Der Max-Joseph-Platz wird Fußgängerzone. Und wenn man die Zufahrt zur Tiefgarage über die Alfons-Goppel-Straße führen würde, könnte der westliche Teil der Maximilianstraße auch autofrei werden.

Ihr Chef, Kultusminister Ludwig Spaenle, ist als Münchner CSU-Chef immer noch ein bisserl kritisch, was die Tram durch den Englischen Garten betrifft. Wie sehen Sie sie persönlich?
Ursprünglich war ja die Rede davon, dass die Straße bis zu sechs Metern breiter wird. Das wäre ein Eingriff in das Gartendenkmal gewesen, der negativ spürbar gewesen wäre. Ich kenne die neueren Planungen nicht, aber wenn es gelingt, die Tram auf die Straße zu legen, es eine batteriebetriebene Tram ohne Masten ist und man keine Geländer durch den Englischen Garten baut mit dem Ziel, die Leute von den Gleisen wegzuhalten, ist es mir eigentlich wurst. Dann wüsste ich nicht, wo noch ein denkmalrechtliches Problem ist. Ich bin gerade vor allem gegen ein anderes Projekt.

Welches?
Das Hotel Königshof. München wird noch überrascht sein, wie das aussieht, wenn der Rohbau steht. Das ist ein Klotz, der genauso gut im Gewerbegebiet von Senden stehen könnte. Das tut mir wirklich leid, was da passiert. Hoffentlich macht man es zwischen Prielmayer- und Schützenstraße besser. Da bin ich gespannt.

Der Karstadt wird wohl fallen.
Kein Problem.

Unter Denkmalschutz würden Sie ihn nicht stellen?
Nein. Das ist einfach ein hässliches Kaufhaus, das keine Besonderheit hat.

Was würden Sie sich dort wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass man die Chance nutzt, ein schönes Stadtviertel zu bauen. Dass man sich anschaut, wie das bis 1945 war und das modern wieder entwickelt. Dort gibt es die Möglichkeit, Stadt zu gestalten.

Ob bei Demos für Häuser, die für Sie kein Denkmal sind, oder beim Protest gegen die Tram: Oft scheint es, dass die Münchner wollen, dass es bleibt, wie es ist. Nervt das manchmal?
Das ist grundsätzlich keine schlechte Haltung. Ich finde gut, dass man sich erstmal überzeugen lassen will, was taugt. So hat die Stadt auch ihren Wiederaufbau gemacht. Wenn die Münchner diese Grundhaltung nicht hätten, würde es hier heute ausschauen wie Hannover.

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