Was Verbraucher und Experten in München zum US-Boykott sagen: "Kaufe keinen Heinz-Ketchup mehr"

Keine Produkte mehr aus den USA kaufen – das nehmen sich vereinzelte Verbraucher vor, auch in München. Wie viele das machen, ob es etwas bringt und was die Folgen für die Wirtschaft sind. Die AZ hat mit Münchner Verbrauchern und Experten gesprochen.
Maximilian Neumair |
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Erdnussbutter, Levi-Strauss-Jeans, Harley Davidson und Jack-Daniels-Whiskey: Das sind typische Produkte von US-Firmen.
Erdnussbutter, Levi-Strauss-Jeans, Harley Davidson und Jack-Daniels-Whiskey: Das sind typische Produkte von US-Firmen. © Christian Charisius/dpa

München – Wie heißt nochmal dieses eine Wort auf Englisch? Der Google-Übersetzer wird es schon wissen. Neue Schuhe? Bei Amazon gibt es doch günstige. Ein süßes Kaltgetränk für den Abend? Schnell noch eine Coca-Cola beim Kiosk mitnehmen.

Der deutsche Konsumalltag ist rot-weiß-blau gefärbt. Allein 2023 wurden Waren im Wert von rund 95 Milliarden Euro aus den USA nach Deutschland importiert. Mehr kam nur aus China und den Niederlanden.

Das Problem: Die von der EU geplante Reaktion auf US-Präsident Donald Trumps Zolloffensive wird jene Waren hierzulande teurer machen. Denn der höhere Preis würde an den Verbraucher weitergereicht.

"Wir glauben daran, dass Europa viele coole Firmen hat"

Eigene Zölle sind jedoch nicht das einzige Gegenmittel: Mit der Webseite "goeuropean.org" sollen Konsumenten ganz einfach Alternativen zu US-Produkten finden können. Statt Google-Übersetzer den deutschen Anbieter Deepl, statt Amazon das deutsche Zalando und statt Coca-Cola die deutsche Fritz-Kola.

Die Betreiber der Seite teilen auf Nachfrage der AZ mit: "Wir glauben daran, dass Europa viele coole Firmen hat, aber ihnen fehlt es oft an Sichtbarkeit im Vergleich zu globalen Marken." Das Ziel: Europas Abhängigkeit verringern, die eigene Wirtschaft stärken.

Hinter "Go European" steckt kein Unternehmen und auch kein Staat. Sondern eine Reddit-Community, also ein Internetforum, das innerhalb weniger Wochen über 200.000 Mitglieder gewinnen konnte.

Bernd Ohlmann blickt skeptisch auf die US-Boykotte: "Wir schneiden uns alle ins eigene Fleisch."
Bernd Ohlmann blickt skeptisch auf die US-Boykotte: "Wir schneiden uns alle ins eigene Fleisch." © dpa/Stefan Puchner

Doch abseits dieser kleinen – wohlgemerkt internationalen – Internetgemeinde ist in Deutschland von Boykott nur "marginal" etwas zu spüren. Von einem Massenphänomen sei man momentan noch weit entfernt, sagt Bernd Ohlmann vom Bayerischen Handelsverband der AZ.

"Boykott ist cool": Münchner Stimmen zum US-Boykott

Dieses Bild zeichnet sich auch vor den Münchner Super- und Drogeriemärkten ab: Von rund 20 Menschen, mit denen die AZ spricht, verzichten lediglich zwei Frauen bewusst auf Produkte von US-amerikanischen Firmen.

Eine davon ist Rebekka Tanzer: "Ich habe mir vorgenommen, keinen Philadelphia und meinen Lieblingsketchup von Heinz nicht mehr zu kaufen." Ihr Beweggrund: "Wenn die sagen ,buy american', können wir auch sagen ,buy european'."

Rebekka Tanzer gehört zu den Wenigen, die US-amerikanische Produkte boykottieren. Sie will etwa auf den Philadelphia-Frischkäse in Zukunft verzichten.
Rebekka Tanzer gehört zu den Wenigen, die US-amerikanische Produkte boykottieren. Sie will etwa auf den Philadelphia-Frischkäse in Zukunft verzichten. © Maximilian Neumair

Auch Marion M. findet "den Boykott cool". Sie hat sich zumindest vorgenommen, weniger US-Waren zu kaufen. Komplett zu verzichten, halte sie für schwierig, weil man es oft auch gar nicht wisse, woher das Produkt eigentlich kommt. Deshalb drehen Verbraucher laut Medienberichten US-amerikanische Produkte in den Supermarktregalen auf den Kopf, um sie so zu kennzeichnen.

Aber: "Das sind vereinzelte Aktionen", sagt Ohlmann. Er habe bislang von Konsumenten noch nicht den Wunsch gehört, dass die Produkte klarer gekennzeichnet werden müssen. Dazu passt: Den meisten Münchnern, die mit der AZ reden, ist das Herkunftsland egal. Raphael S. sagt etwa: "Ich kaufe das, wo das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt." Und Angelika W. gibt zu, dass sie etwa auf Coca-Cola nicht verzichten möchte.

Stimmung in Bayern und München: Null Bock auf Boykott

Ist der Boykott also nur ein kleines Boyköttchen? Stand jetzt ist die Tendenz klar: kein Bock auf Boykott. Das muss aber nicht so bleiben: "Wenn so eine Sache in Zeiten der Sozialen Medien erst einmal viral geht und die Medien darüber berichten, dann ist das wie ein Brandbeschleuniger", sagt Ohlmann.

Er erinnert sich etwa an den Boykott von Shell in den 90er-Jahren, als die Bohrplattform Brent Spar versenkt werden sollte. „Das war ein mühsamer Anfang, dann auf einmal gab es einen Dominoeffekt.“

Bei einzelnen Produkten wirkt der US-Boykott schon. Laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) sind die Neuzulassungen von Tesla-Autos in Deutschland im Februar um 76 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat eingebrochen. Folgen künftig noch mehr Produkte?

Andreas Baur, Experte für Außenwirtschaft beim Münchner Ifo-Institut, sagt der AZ: "Aktuell halte ich es für nicht sehr wahrscheinlich, dass es zu einem flächendeckenden Boykott von US-Produkten in Deutschland oder Europa kommen würde." Denn: "Ein flächendeckender Boykott müsste neben Konsumgütern auch Investitionsgüter und Vorprodukte umfassen und somit neben privaten Haushalten auch den Unternehmenssektor umfassen."

Zusätzlich erschweren den Boykott die Importe aus den USA im Dienstleistungssektor, die rund 50 Prozent der deutschen Einfuhren ausmachen. "Gerade im Bereich der digitalen Dienstleistungen, bei denen viele US-amerikanische Unternehmen wie Google, Microsoft oder Amazon große Marktmacht besitzen, wird ein Boykott nur schwer umzusetzen sein", sagt Baur. Klar, Deepl statt Google Übersetzer zu verwenden, um die eigenen Vokabellücken zu schließen, mag noch problemlos funktionieren. Auf Google als Suchmaschine würden hingegen die wenigsten verzichten.

Boykott birgt große Gefahren

Ohnehin birgt eine solche Verweigerung auch große Gefahren. "Heute ist alles so ineinander verflochten in der Weltwirtschaft mit Produktionsketten, da ist ein Boykott verdammt schwierig", sagt Ohlmann vom Handelsverband. Ein Beispiel dafür sei Tesla mit seinem Werk in Brandenburg: Das seien deutsche Arbeitsplätze, deutsche Produktion, deutsche Zulieferer.

"Wir schneiden uns da alle ins eigene Fleisch: Die Amerikaner, die Europäer und die Deutschen", sagt Ohlmann. Diese Ansicht teilt auch Baur vom Ifo-Institut: "Der flächendeckende Verzicht auf US-amerikanische Produkte, insbesondere US-amerikanische Vorleistungen und Dienstleistungen, würde die deutsche Wirtschaft im Allgemeinen schwächen."

Handelsverband: "Das wird ein Eigentor für Europa"

Die Hoffnung, deutsche oder europäische Unternehmen könnten durch den Verzicht auf US-Produkte profitieren, weil die eigene Nachfrage steigt, teilen die Experten nicht. Einzelne würden profitieren, doch die Volkswirtschaft büßte zugleich an Wohlstand ein, "da auf wichtige Spezialisierungsvorteile des internationalen Handels ohne Not verzichtet werden würde", erklärt Baur.

Erich Nehr macht sich wegen der Zölle und Boykotte Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands. Er fürchtet Isolation.
Erich Nehr macht sich wegen der Zölle und Boykotte Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands. Er fürchtet Isolation.

Das treibt auch den Münchner Kunden Erich Nehr um: "Dann müssten wir alles selber produzieren." Das bindet Arbeitskraft – und ist teuer.

Ohlmann sieht zudem die Gefahr, dass die Trump-Regierung bei einem flächendeckenden US-Boykott in Europa die eigene Bevölkerung zum Verzicht auf EU-Ware aufrufen würde. Zölle gegen Zölle. Boykott gegen Boykott. Ohlmann warnt: "Das wird ein Eigentor für Europa sein."

Hinweis: So viel USA steht im Supermarktregal

Verschiedene Schokoriegel von Mars, die auch den Schokoriegel Snickers herstellen. Wer auf US-Waren verzichten möchte, muss auch darauf verzichten.
Verschiedene Schokoriegel von Mars, die auch den Schokoriegel Snickers herstellen. Wer auf US-Waren verzichten möchte, muss auch darauf verzichten. © Federico Gambarini (dpa)

Wie groß der Anteil an US-Waren in deutschen Supermärkten ist, konnte der Handelsverband Bayern Stand jetzt nicht beantworten. Die folgende Liste soll zumindest einen kleinen Überblick bieten, welche Produkte von US-Firmen stammen:

  • Coca-Cola
  • Pepsi
  • Seven Up, Dr Pepper
  • Mars, Snickers
  • M&Ms
  • Pringles
  • Reese
  • Oreo-Kekse
  • Whiskas Katzenfutter
  • Kellogs Müsli
  • Ben & Jerrys
  • Häagen-Dazs
  • Philadelphia
  • Heinz-Ketchup
  • Jack Daniels Whiskey
  • Jim Beam Bourbon
  • Crunchy Peanutbutter
  • Head & Shoulders
  • Oral-B
  • Braun
  • Reis von Bens Original
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59 Kommentare
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  • AufmerksamerBürger am 07.04.2025 12:29 Uhr / Bewertung:

    Wird jetzt das LNG von dem man sich von den USA abhängig gemacht hat, um nicht von russischen Gaslieferungen abhängig zu sein, boykottiert?

  • Da Ding am 07.04.2025 22:15 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von AufmerksamerBürger

    LNG macht ACHT Prozent des deutschen Gasmarktes aus. Davon liefert nicht mal alles aus USA. Können sie uns erklären, wie sie daraus eine Abhängigkeit konstruieren wollen?

  • DerDonald am 07.04.2025 12:24 Uhr / Bewertung:

    Auf Netflix und YouTube verzichten! Und kein Google mehr benutzen!

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