Das Loch vom Harras: Frau (76) klagt auf Schmerzensgeld

Es passierte im August 2012: In der Plinganser Straße stürzt eine 76-Jährige in einen Schacht, weil der Gullydeckel wegspringt. Sie will Schmerzensgeld.
von  John Schneider
Hier steckte ein Mensch fest: Der Gullyschacht in der Plinganser Straße.
Hier steckte ein Mensch fest: Der Gullyschacht in der Plinganser Straße. © ho

München Plötzlich tat sich für Hanna C. (Name geändert) die Erde auf und sie verschwand bis zur Hüfte im Untergrund. Ort dieses Albtraum-Unfalls ist aber nicht etwa die Moorlandschaft des Murnauer Mooses, sondern ein Gehweg mitten in München. In der Plinganser Straße, nicht weit vom Harras, um genau zu sein.

Am 21. August 2012 war die 76-Jährige dort auf einen Gullydeckel getreten. Der Blech-Deckel sprang durch den Druck zur Seite und gab das Loch darunter frei. Hanna C. fiel bis zur Hüfte in den Schacht und blieb stecken. Eine zufällig vorbeikommende Ärztin kümmerte sich um Hanna C., beruhigte die geschockte Frau. Bis diese befreit werden konnte.

Doch Hanna C. hatte sich bei dem Unfall verletzt. Diverse Wunden an den Beinen, ein Muskelfaserriss, aber auch psychische Probleme waren die Folge. Die 76-Jährige klagt deshalb auf Schmerzensgeld.

Wer aber ist verantwortlich? Für die Stadt München ist der Fall klar. Zwar handelt es sich um einen öffentlichen Gehweg, der Gully ist aber Teil der privaten Regenentwässerung des Hauses dahinter und damit in der Verantwortung der Hauseigentümerin.

Die hatte das im Jahre 1900 erbaute Haus 1978 erworben. Von einem defekten Gullydeckel war da nichts zu merken, argumentieren die Vertreter der Beklagten. Nach dem Unglück sei man auf dem Deckel herumgesprungen und nichts sei passiert.

Bei dem Unglück lag der Deckel aber wohl nicht richtig im Auflagering. Das heißt, er stand leicht schräg. Erst dadurch sei es möglich, dass der Deckel seitlich ausweicht, wenn man wie Hanna C. drauftritt. Dass die Fußgängerin das hätte sehen und ausweichen müssen, verneint die Richterin. Auf jeden Kanaldeckel zu achten, sei niemandem zuzumuten.

Der Sachverständige kritisiert zudem den abgenutzten Zustand des alten Blech-Deckels als auch seine Beschaffenheit. Die genüge den Anforderungen in vielerlei Hinsicht nicht. So sei der Deckel mit 3,2 Kilo viel zu leicht. Zumal man an dieser Stelle auch damit rechnen müsse, dass Fahrzeuge wie der Winterdienst der Stadt den Gehweg befahren.

„Das ist eine krasse Geschichte“, sagt Richterin Isolde Hannamann. So vom Erdboden zu verschwinden, sei ein Albtraum. „Die Prozesschancen sind deutlich auf Klägerseite“, macht sie klar. Und schlägt einen Kompromiss vor: Die Hälfte der geforderten Schmerzensgeldes als Vergleich. Das wären immerhin noch 8000 Euro.

Seine Mandantin sei kompromissbereit, erklärt Anwalt Wilfried Sydow. Der Ball liegt also im gegnerischen Feld. Ob sich die Versicherung der Hauseigentümerin dazu bereit erklärt, wird jetzt geprüft. Ansonsten wird am 27. März verkündet wie es im Prozess weitergeht, ob eventuelle weitere (teure) Gutachten in Auftrag gegeben werden müssen.

Einen Effekt hat der Vorfall jedenfalls bereits jetzt: Einige Prozessbeteiligten versichern, dass sie inzwischen lieber einen großen Bogen um Gullydeckel machen. Allen voran natürlich Hanna C.. Die hat zwar ihr Lächeln wiedergefunden, sagt aber kategorisch: „Ich geh’ nie wieder auf so einen Deckel.“ Wer will es ihr verdenken?

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