Das Ladenschlusswirrwarr in München: Geschäfte schließen vor 20 Uhr

München - Beim Dallmayr glitzert und funkelt es in den Schaufenstern, in der Fußgängerzone riecht es nach gebrannten Mandeln und Grillwürstln. Am Marienplatz klingeln die Glöckchen.
In den vergangenen zwei Jahren war die Innenstadt um diese Zeit oft grau in grau, wie ausgestorben. Der Christkindlmarkt war verboten, Polizisten kontrollierten im Freien die Maskenpflicht. Das ist zum Glück Geschichte. Im Jahr drei nach Pandemiebeginn strömen die Münchner wieder in die Innenstadt. Auch Kunden aus dem Umland und Touristen sind zurück, viele angelockt von den Weihnachtsmärkten.
"In den Abendstunden kommen kaum noch Kunden"
In der Woche vor dem ersten Advent mit dem "Black Friday" lockten nicht nur Online-Händler, sondern auch die Geschäfte in der City mit Angeboten. In der Fußgängerzone ging es zu wie lange nicht. 125.000 Passanten wurden an einem Tag in der Kaufingerstraße gezählt, eine Woche zuvor waren es nicht einmal halb so viele.
Doch so richtig erholt hat sich die City noch nicht. "Die Touristen sind noch nicht wieder so zurück", sagt Stephan Kippes vom Immobilienverband Deutschland (IVD). Die Folgen des Ukrainekrieges treiben die Preise hoch und die Inflation an. Viele müssen sparen. Auch sind noch Spuren der Pandemie sichtbar in der Stadt: Nach wie vor stehen Geschäfte leer. Viele Einzelhändler hatten aufgeben müssen. Wer lange nicht in der Innenstadt war, wird manch altvertrauten Händler nicht wiederfinden. Stattdessen zum Beispiel Salons mit Luxusautos oder eine Imbisskette, die sich über mehrere Etagen ausbreitet.
Überhaupt prägen immer mehr Flagship-Stores das Bild in der Fußgängerzone – eine Entwicklung, die wohl unumkehrbar ist, sagt zumindest Stephan Kippes.
Was sich ebenfalls geändert hat im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten: Sogar große Ur-Münchner Traditionsgeschäfte haben nicht mehr alle bis 20 Uhr geöffnet. In den Schaufenstern hängen Zettel mit "geänderten" oder "vorübergehenden" Öffnungszeiten. Alte Uhrzeiten sind überklebt. Wer lange arbeiten muss und nach Dienstschluss noch in der Innenstadt bummeln will, muss sich sputen – und er sollte sich nicht blind darauf verlassen, was er an Informationen im Internet findet.
"Länger lohnt es sich nicht mehr"
Betten Rid sperrt seine beiden Geschäfte in der Neuhauser Straße und Theatinerstraße bereits um 19 Uhr zu. Auch bei Kustermann und Hirmer in der Kaufingerstraße gehen unter der Woche die Rollläden um 19 Uhr runter. "Länger lohnt es sich nicht mehr", sagt eine Betten-Rid-Verkäuferin zur AZ.
Nur jetzt an den Adventssamstagen, die schon immer besonders starke Verkaufstage waren, haben Hirmer und Kustermann ausnahmsweise bis 20 Uhr offen. Radspieler öffnet derzeit von 10.30 bis 19 Uhr – auf hauseigenen Karten, die Kunden mitgegeben werden, stehen allerdings andere Zeiten. Thomas Schuhe am Marienhof schließt um 19.30 Uhr, Dallmayr um 19 Uhr, Freitag und Samstag aber erst um 19.30 Uhr. Das soll sich einer merken.
Es sei schwierig, einen Schichtbetrieb bis 20 Uhr aufrechtzuhalten, sagt ein Verkäufer bei Kustermann. Überall wird dringend Personal gesucht, natürlich auch im Einzelhandel. Der Verkäufer meint, nach 19 Uhr käme niemand mehr mit speziellem Wunsch und bummeln würde auch keiner mehr.

Bernd Stadler sieht’s ähnlich. Er führt die kleine, aber feine Drogerie Wittelsbach im Rathaus gegenüber Ludwig Beck. Seit 140 Jahren ist das Geschäft in Familienhand, synthetisch hergestelltes Parfüm verkauft er nicht, "nur hochwertige, traditionelle Düfte". Schon seit vielen Jahren sperrt er um 18 Uhr zu, während der Pandemie war's auch oft 17 Uhr. Stadler sagt, im Sommer würden die Leute abends an den See fahren oder in den Biergarten gehen. "Jetzt stehen sie am Glühweinstand oder sitzen in der Wirtschaft. Aber zum Einkaufen gehen sie nicht mehr", meint er.
Zwischen Jagdmuseum und Michaelskirche in der Neuhauser Straße verkauft Lura Felescoso-Steinl Bierkrüge und Souvenirs. Bis 19 Uhr geöffnet, steht an ihrer Tür. "Ich muss Energie sparen", sagt sie. Erst Corona, dann der Ukrainekrieg, sie muss rechnen. Aber wenn sie noch im Laden ist und jemand klopft, lässt sie ihn herein.

Sport Schuster und Hugendubel hingegen gehören zu den großen alteingesessenen Häusern, die nach wie vor von Montag bis Samstag bis 20 Uhr für ihre Kunden da sind. "Das Personal würde sich ein Loch in den Bauch freuen, wenn wir früher schließen", sagt Rainer Angstl, Geschäftsführer von Schuster, zur AZ. Denn bis die Kasse abgerechnet sei und die Mitarbeiter, die im Umland wohnen, zu Hause seien, könne es auch mal 21.30 Uhr werden.
"Sind Öffnungszeiten nicht einheitlich, wird die City unattraktiver“
Mit kürzeren Öffnungszeiten ließe sich zudem Energie sparen und es brauche keine zwei Schichten. Trotzdem will das Sporthaus zumindest vorerst bei 20 Uhr bleiben: "Bei uns sind die Umsätze abends zu gut", sagt Angstl. Zudem fände er es schade, wenn immer mehr vom Ladenschluss um 20 Uhr abweichen. "Ich verstehe jeden, der rechnet", sagt er. "Aber wir brauchen eine starke Innenstadt."
Stephan Kippes vom Immobilienverband geht noch einen Schritt weiter. "Für die Attraktivität unserer Innenstädte ist es negativ, wenn die Öffnungszeiten nicht einheitlich sind", sagt er. "Von einer Weltstadt wie München sollte man das auch erwarten können."
In Shopping-Centern, sagt Kippes, hätten die einzelnen Händler keine Freiheit, die Zeiten zu verändern. "Da gibt es eine Betriebspflicht bis 20 Uhr", weiß er. "Wäre ja blöd, wenn die Kunden vor verschlossenen Läden stehen."