Das Kind aus dem Spritzenhaus

Die Stadt, das ist sonnenklar, könnte ihr gehören. Wenn sie es wollte. Aber das ist nicht so sicher. Tatsächlich kehrt sie München sogar ziemlich oft den Rücken. Ihre Jobs bringen das mit sich.
Sie ist gerade bestens im Geschäft und deshalb „irrsinnig glücklich“. Müsste man ihr Leben überschreiben, dann bitte mit der Zeile: „Geiler kann man’s ja fast nicht treffen.“ Nur die Mietpreise hier, die gefallen ihr nicht. Sollten die weiter so steigen, dann, sagt Nina Fiva Sonnenberg, Rapperin, Moderatorin, Autorin, Sprachkünstlerin und vor 36 Jahren in Harlaching zur Welt gekommen, „bin ich weg“. Und dann gehört die Stadt der Katz’.
Jetzt sitzt sie im „Faun“ in der Hans-Sachs-Straße. Trägt den Pony zur Seite gescheitelt und Pferdeschwanz. Trinkt Wasser und spricht gegen den beachtlichen Geräuschpegel in dem großen Raum an. Erzählt, dass sie an die 200 Tage im Jahr unterwegs ist: Für ihre Musik und mit ihrer Band. Für den Sender ZDFKultur, für den sie Theaterfestivals in ganz Europa besucht und seit 2012 den „zdf.kulturpalast“ moderiert. Für „Fivas Ponyhof“, der wöchentlich beim Wiener Radio-Sender FM4 zu hören ist.
Überhaupt Wien, ihr zweites Zuhause. Sie sagt, dass sie diese Stadt liebt, „weil sie die öffentlichen Räume so schön nutzt“, München könne sich davon was abschauen. Denn „eine Stadt gehört bewohnt und nicht nur als museales Stück gepflegt“.
In Wien leben auch die Mitglieder ihrer Band, seitdem die nicht mehr das „Phantom Orchester“ sind. Was auch daran liegt, erzählt Fiva und seufzt ein kleines Bisschen zu tief, als dass man es ihr abnehmen könnte, dass Rüde Linhof von den Sportfreunden Stiller und einer der Phantom-Musiker, sich wieder mehr um seine „kleine Hobbyband“ kümmern musste.
Weil ihre Familie und ihre engsten Freunde in München sind, ist Fiva noch nicht ganz nach Wien gezogen. Außerdem sei ihre Heimatstadt „das gemütlichste Zuhause, das ich mir vorstellen kann“. Sie mag den Rhythmus, weil „er mich nicht stresst“, weil „hier nix passiert“, sie hier ihre Ruhe hat, die sie braucht, um sich zu sammeln, zu konzentrieren, zu schreiben, denn ihr Geist, der ist unruhig, sagt sie. „Ich lass’ mich so leicht ablenken.“
In München sei sie „arbeitslos“. Früher ja, da hat sie beim BR gearbeitet, für den Zündfunk und On3. Aber irgendwann hat sie sich zu alt dafür gefühlt. „Man sollte“, sagt sie, „den Generationenvertrag schon einhalten“ und Jüngere die eigene Generation erklären lassen. Aber gar nichts zu tun hat sie dann ja auch nicht in der Stadt. Seit zwei Jahren ist Nina Sonnenberg Kuratoriumsmitglied der Koch-Ebersperger-Stiftung, die Menschen, die „durch das soziale Raster fallen“, ganz unbürokratisch und spendenbasiert unterstützt. Zum Beispiel einen Friseurbesuch ermöglicht. Das sei eine Art von Hilfe, die sie „toll“ finde und die ihr Freude mache. So wie die deutsche Sprache. „Ich bediene mich ihrer gerne“, sagt sie. Man merkt das an der Art, wie sie spricht und in ihren Texten die Worte setzt. Geistreich, pointiert, frei von Anglizismen, schnell, klug, klar, deutlich, auch im größten Lärm. Sie hat damit Poetry Slams gewonnen und das Lob der Kritiker.
Wenn Nina Sonnenberg, die seit ihren Schulzeiten den Spitznamen Fiva trägt, all das sehr munter erzählt, dann mustert sie einen manchmal von der Seite, ein leichtes Lächeln in den Mundwinkeln, als ob sie prüfen will, ob man noch dabei ist, kapiert hat, was sie gerade in die Welt gesetzt hat. Über Frauenzeitschriften, die das Denken ungut beeinflussen, über rosa-türkise Bücherphasen und über die Alterung der Haut. Und über das Leben und ihres im Besondern, zu dem eine Ausbildung zur Verlagskauffrau gehört, und ein abgeschlossenes Studium der Soziologie und Wirtschaftspsychologie.
Ein 08/15-Stunden-Büro-Job wäre vermutlich die Hölle für sie geworden. Denn Nina Sonnenberg, das wird schnell klar, wenn man mit ihr spricht, ist ein Mensch, der trotz der soliden Ausbildung eigenwillig ist, viel Freiheit braucht – und Rauhaardackel mag. Denn die sind stur wie sie selbst und machen auch nur das, worauf sie Lust haben.
Ein „furchtbar anstrengendes Kind“ sei sie gewesen, erzählt sie. Und dass sie ihrem Vater ihre Pubertät nicht noch mal zumuten möchte. Dabei, sagt sie, hätten die Eltern nie Grund zur Sorge gehabt. Sie habe keine Drogen genommen, war immer pünktlich zu Hause, und zur Schule sei sie gerne gegangen. Ehrlich. Weil sie dort Gleichaltrige treffen und Dinge lernen durfte, die sie interessierten. Latein zum Beispiel, ab der fünften Klasse bis zum Abitur.
Aufgewachsen ist Nina Sonnenberg in Großhadern, sie sagt, in einem „eher bürgerlichen Haushalt“. Ihr Kindergarten war im Feuerwehrspritzenhaus untergebracht, was sie im Nachhinein „unglaublich“ findet. Das sei auch nur gegangen, weil es in Großhadern eben „nicht brennt“. Als sie vier Jahre alt war, wollte sie Ballerina werden und drängelte und quengelte so lange, bis sie an der Schule von Winfried Krisch in den Unterricht durfte. Krisch war Solo-Tänzer am Gärtnerplatz-Theater gewesen. Durch seine Kontakte stand Sonnenberg dort zwischen ihrem zwölften und 15. Lebensjahr für „Fiddler on the Roof“ auf der Bühne.
Ein Aha-Erlebnis war das. Wegweisend, augenöffnend, lebenprägend. Immer vier Wochen raus aus der Schule, eintauchen in eine andere Welt. Eine Welt, in der über „immaterielle Dinge“ diskutiert wurde und wo es entweder „viele Lösungen gab oder keine“. Dieses „Offene und Freie“ habe ihr gefallen, sagt sie und auch, dass sie „gesehen habe, dass es noch einen anderen Weg im Leben gibt“, als den bis zum Ende geregelten.
Eine Ahnung davon hatte Fiva bereits mit den Büchern bekommen, die sie in ihrer Kindheit gelesen hat. Den Räuber Hotzenplotz, das kleine Gespenst, alles von Astrid Lindgren, eben „die krassen Bücher von Kindern, die stark sind“.
Das hat sie angesprochen. Sie sagt: „Es fasziniert mich bis heute noch, stark zu sein.“ Dem zu folgen, was man machen möchte. Sich unverfälscht zu verhalten. Für Nina Fiva Sonnenberg ist das Freiheit. So gesehen macht die Münchnerin schon ein Leben lang, was sie möchte. Nur Fiva, ihr Bühnenname, war nicht ihre erste Wahl. Weil kaum jemand Fiva auf Anhieb korrekt, also Faiva, aussprechen kann.
„Ich hätte mir viel Ärger ersparen können“, sagt sie. Sie wollte Nina sein, damals, als sie zusammen mit DJ Radrum, ihrem langjährigen Hip-Hop-Gefährten und Partner ihres eigenen Labels „Kopfhörer Recordings“, ihre ersten öffentlichen Rap-Versuche unternahm. Aber es gab schon eine Nina MC. Bei den Hamburger Hip-Hoppern Deichkind.
Während man von der Deichkind-Nina so gut wie nichts mehr hört, ist für Fiva Nina das Beste noch lange nicht vorbei. Ein Roman ist geplant und im Oktober geht sie auf Tour. „Alles leuchtet. Zugabe“ heißt sie. Der Vorverkauf hat bereits begonnen. Am 13. Oktober spielt sie in München.
Dann gehört die Stadt wieder ihr.