Geflüchteter aus Libyen arbeitet als Goldschmied in München

Hassan Akbar erlebte eine traumatische Flucht aus Libyen. Inzwischen arbeitet er bei einer Goldschmiedin in Pasing und ist dort glücklich. Doch ob er bleiben kann, ist noch ungewiss.
von  Julia Wohlgeschaffen
Zwischen Hammern und Feilen: Anja Kuse und ihr Mitarbeiter Hassan Akbar sitzen an der Werkbank in ihrem Goldschmied-Atelier, hier arbeiten sie schon seit vier Jahren zusammen. Für Hassan Akbar ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen, denn nachdem er aus Libyen geflohen ist, suchte er lange nach einer Stelle als Goldschmied.
Zwischen Hammern und Feilen: Anja Kuse und ihr Mitarbeiter Hassan Akbar sitzen an der Werkbank in ihrem Goldschmied-Atelier, hier arbeiten sie schon seit vier Jahren zusammen. Für Hassan Akbar ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen, denn nachdem er aus Libyen geflohen ist, suchte er lange nach einer Stelle als Goldschmied. © Daniel von Loeper

Pasing - Hassan Akbar blickt nachdenklich auf den Boden. "Ich konnte lange nachts nicht gut schlafen", sagt der 35-Jährige. Jede Nacht holten ihn die Bilder ein, die er einfach nicht aus dem Kopf bekommen konnte: von dem viel zu kleinen Boot, auf dem er mit 300 anderen Menschen saß, mitten auf dem Mittelmeer.

Von der dunklen Nacht, in der sie kaum etwas sehen konnten. Und von all dem Wasser um sie herum, als weit und breit kein Land in Sicht war. Die Orientierung hatte der Kapitän längst verloren.

Traumatische Flucht aus Libyen erfüllt ihm schließlich den Traum

"Wir dachten alle, dass wir jetzt sterben", sagt Hassan Akbar. Sie bedrückt ihn immer noch, die Erinnerung an seine 17-stündige Überfahrt von Libyen nach Italien, das spürt man.

Doch der Mann, der eine so auffällig positive Ausstrahlung hat, überlebte diesen Alptraum. Ein Rettungsschiff fand das Schleuser-Boot und brachte die Insassen nach Italien, erzählt Akbar.

Hassan Akbar und Anja Kuse vor ihrem Goldschmied-Atelier. Die Rampe finanzierte die Agentur für Arbeit.
Hassan Akbar und Anja Kuse vor ihrem Goldschmied-Atelier. Die Rampe finanzierte die Agentur für Arbeit. © Daniel von Loeper

Nun, acht Jahre später, fährt Hassan Akbar geschickt in seinem Rollstuhl durch das Goldschmied-Atelier von Anja Kuse. "Ich hatte als Kind in Libyen einen Autounfall", erklärt er. Seitdem sei er auf den Rollstuhl angewiesen.

Kuse und Akbar arbeiten hier, in der Nusselstraße in Pasing, inzwischen seit über vier Jahren zusammen. "Ich lasse ihn auf keinen Fall mehr gehen", sagt die 53-jährige Goldschmiedin und schenkt dem gebürtigen Pakistani ein warmes Lächeln. Sie wirken wie ein eingespieltes Team, ergänzen oft die Aussagen des anderen und stimmen sich lachend zu. Beide haben das Goldschmied-Handwerk gelernt, sie in Deutschland, er in Libyen.

Goldschmied in München: Ein langer Weg auf der Suche nach der richtigen Arbeit

Seine Art zu arbeiten sei jedoch völlig anders als ihre, erklärt Kuse. "Dort arbeitet man mit Maschinen, hier machen wir mehr Handarbeit", sagt die Goldschmiedin. Aber das sei gar nicht schlecht, denn so könne man voneinander lernen.

In Libyen lebte Akbar lange mit seiner Familie, bis sie 2010 wegen des Bürgerkriegs nach Pakistan gingen, sagt der 35-Jährige.

Im Atelier von Anja Kuse. Hier stellt sie auch Kunstwerke von anderen Künstlern aus.
Im Atelier von Anja Kuse. Hier stellt sie auch Kunstwerke von anderen Künstlern aus. © Daniel von Loeper

Doch lange blieb er nicht dort: "Es ist sehr schwierig für Rollstuhlfahrer in Pakistan", erklärt er. "Man hat dort kaum die Möglichkeit zu arbeiten." Und so ging er 2012 zurück nach Libyen – wo immer noch Krieg herrschte.

Hassan Akbar erzählt, dass er dort ein Geschäft eröffnete und arbeitete, bis er im Frühjahr 2015 überfallen, mit einer Pistole bedroht und am Kopf schwer verletzt wurde. Es war, so sagt er, auch nicht das erste Mal, dass der damals 27-Jährige Kriminalität erlebte – und überlebte. Und es sollte auch nicht das letzte Mal bleiben.

Lebensgefährliche Flucht übers Mittelmeer

Nach dem Überfall fasste er schließlich den Entschluss, Libyen zu verlassen. Und fand sich dann auf jenem Boot wieder, auf dem er – wieder – um sein Leben fürchten musste. Ohne Rollstuhl. Bevor sich die 300 Menschen in das Boot setzen durften, mussten sie zwei Tage lang zusammen ausharren. Ohne etwas zu essen oder zu trinken, schildert Akbar.

"Ich konnte auch zwei Tage nicht auf die Toilette gehen", erklärt er. Das sei auf diesem Gelände mit einem Rollstuhl nicht möglich gewesen. Als er schließlich das Boot sah, das ihm für diese Menschenmenge viel zu klein erschien, wollte er einen Rückzieher machen, und sich lieber doch nicht auf die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer begeben.

Doch der Schleuser ließ ihm keine Wahl: "Wenn du dich entscheidest umzukehren, werde ich dich jetzt sofort töten", sagte er damals zu Hassan Akbar. Und wie ernst der Schleuser das meinte, musste Akbar schon kurze Zeit später mitanhören. Da war diese eine Familie, die nicht mehr mitfahren wollte.

"Der Schleuser hat sie um die Ecke geführt", so Akbar. Ein dumpfer Knall, dann Stille. Er hat die Familie samt den Kindern nie wieder gesehen. "Dieser Moment war für mich sehr, sehr schwierig. Ich werde das nie vergessen können", erklärt er und Anja Kuse nickt verständnisvoll.

Geflüchteter Goldschmied aus Libyen: "Es ist mein Traum, hier zu arbeiten"

Doch als er sie anschaut, fangen seine Augen aber wieder an zu leuchten, der bedrückte Gesichtsausdruck weicht einem herzlichen Lächeln. "Jetzt fühle ich mich sehr entspannt. Es ist mein Traum, hier zu arbeiten", sagt er und von der vorherigen Schwermut ist nichts mehr zu spüren.

Darauf, dass sich dieser Traum erfüllt und er wieder seiner alten Tätigkeit als Goldschmied nachgehen kann, hat der 35-Jährige jedoch lange gewartet.

Dieses Flugblatt hat Hassan in jedes "BISS"-Heft gelegt.
Dieses Flugblatt hat Hassan in jedes "BISS"-Heft gelegt. © Daniel von Loeper

Von Italien wollte er mit einer Mitfahrgelegenheit bis nach Berlin kommen, doch in München war die Reise für ihn damals beendet. "Die Polizei hat uns kontrolliert, ich hatte aber keine Papiere", erzählt Hassan Akbar. Er wurde in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht.

Eines Tages vermittelte ihm eine ehrenamtlich arbeitende Frau einen Job als Verkäufer bei der "BISS". Und in jedes Heft, das er verkaufte, legte er ein Flugblatt ein, auf dem er sich vorstellte und nach einer Arbeit als Goldschmied suchte. 50 verkaufte Hefte pro Tag, in jedem ein Flugblatt. Drei Jahre sollte es dauern, bis sich diese Hartnäckigkeit auszahlen sollte.

Viel unerwartete Hilfe von allen Seiten

Nachbarn von Anja Kuse reagierten schließlich darauf: "Hast du nicht vielleicht eine Beschäftigung für einen Goldschmied?", fragten sie Anja Kuse. "Er sitzt im Rollstuhl und ist ein Sonnenschein", so die Nachbarn. Kuse selbst war gerade kurz davor, ihr Atelier in Pasing zu eröffnen, im November 2018.

"Er kann sich ja mal vorstellen", dachte Kuse damals. Und zwei Tage nach der Eröffnung war es auch schon soweit. "Den habe ich angeschaut und dachte: Ja! Klar!", erzählt die Goldschmiedin von ihrer ersten Begegnung mit Hassan Akbar.

Anja Kuse hat sich daraufhin an den Arbeitgeber-Service der Agentur für Arbeit gewandt. Dort erklärte man ihr, wie Arbeitgeber einen Eingliederungszuschuss für Menschen mit Behinderung erhalten.

"Außerdem gibt es die sogenannten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Hier zahlt die Agentur für Arbeit einen bestimmten Teil des Gehalts", erklärt Birger Nemitz von der Agentur für Arbeit.

Agentur für Arbeit will "alle Potenziale des Arbeitsmarkts aktivieren"

60 Prozent waren das in diesem Fall, für eineinhalb Jahre. Außerdem unterstützte die Agentur das Projekt mit der Finanzierung der Rampe vor der Eingangstür und des motorisierten Arbeitsrollstuhls von Hassan Akbar. "Solche Arbeitsmittel zahlen wir in der Regel", erklärt Birger Nemitz.

Es zeichne sich laut Nemitz schon seit einiger Zeit ab, dass sich der Fachkräftemangel langsam zu einem Arbeitskräftemangel auswächst. Daher versuche die Agentur für Arbeit nun "alle Potenziale des Arbeitsmarkts zu aktivieren", also etwa körperlich eingeschränkte Personen wie Hassan Akbar besser am Arbeitsmarkt zu integrieren.

Ein Traum wurde wahr, aber perfekt ist es noch nicht

Akbar wiederholt oft, dass er jetzt sehr glücklich ist. Doch ein ganz wesentlicher Teil fehlt ihm noch – denn Hassan Akbar ist verheiratet. Seine Frau Fatima ist in Pakistan und wartet auf ihr Visum. Ohne Visum können pakistanische Staatsangehörige nicht nach Deutschland einreisen, doch in dieser Sache mag nichts vorangehen. 2018 haben sie geheiratet, per Videoschalte. Hassans Akbars Wunsch wäre es, dass seine Frau hier bei ihm leben könnte. Seit Februar 2022 hat Akbar auch eine eigene Wohnung - doch bisher hat er nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis, aus humanitären Gründen.

Für eine Niederlassungserlaubnis müssen Voraussetzungen wie ein gesicherter Lebensunterhalt, ausreichender Wohnraum und die soziale Integration erfüllt sein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe für Hassan Akbar allerdings ein Abschiebungsverbot festgestellt, so das KVR auf AZ-Anfrage. "Wir gehen daher davon aus, dass er langfristig in Deutschland bleiben kann", heißt es seitens des KVR. Hassan Akbar würde sich das wünschen. Dass es ihm besser geht, merkt er vor allem nachts: "Inzwischen kann ich wieder besser schlafen", sagt er.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.