Das hält Rainer Schießler von Fußball und Party an Heiligabend
München - In dem Buch „Himmel, Herrgott, Sakrament“ will er nun vermitteln, was seinen Glauben, seine Kirche und nicht zuletzt ihn selbst ausmacht. Im Gespräch mit der AZ erklärt er seine Ideen.
Nachdem er im ersten Teil über die Lockerung des Zölibats, den Segen für schwule Paare und den Umgang mit dem Islam gesprochen hat, geht es im zweiten Teil darum, wie er sich seine Kirche heute vorstellt: modern, kreativ – und auf keinen Fall langweilig.
AZ: Sie sagen, dass die Kirche auch vom Fußball lernen könne. Inwiefern?
RAINER SCHIESSLER: Was im Stadion passiert, ist im Menschen drin: Er will feiern. Von dieser Begeisterung sollte die Kirche lernen. Ich höre Fußball am liebsten im Radio, weil ich als Löwen-Fan beim Anschauen gleich zwei Mal leide. Dann höre ich, wie der eine Spieler von rechts kommt, den Ball nochmal reingibt und der Mitspieler ist da – mit so viel Begeisterung muss man auch das Evangelium beschreiben. Und der Zusammenhalt im Fußball! Das zeigt: Hören wir mal auf, den lieben Gott immer dort zu suchen, wo wir meinen, dass er sein muss.
Lesen Sie auch: Teil I des AZ-Gesprächs mit Pfarrer Rainer Schießler
Da suchen viele Kirchenvertreter als erstes bei sich selbst.
Die Kirche etabliert sich so, als wenn wir schon das Reich Gottes wären. Wir sind aber nur die Verheißung, nur ein Weg. Ich wünsche mir viel mehr Demut von der Kirche. Und weniger Selbstgefälligkeit. Jetzt gibt’s wieder Diskussionen, weil Bischof Tebartz-van Elst wohl nicht auf eine Veranstaltung kommt. Was juckt mich denn ein Bischof? Mir hat das Glauben kein Bischof gelehrt, sondern eine einfache Frau, das war meine Mutter. Die Kirche ist viel größer als einzelne Hochwürden, sie gehört keinem Ratzinger, keinem Müller, keinem Tebartz – wir sind die Kirche.
Ihre Kirche ist sehr oft sehr voll. Wie bekommen Sie die Leute im szenigen Glockenbachviertel dazu, am Sonntag statt zum Brunch in die Kirche zu gehen?
Ich werde keine Konkurrenz zum Brunch machen, aber daran erinnern, dass Kirche und Wirtshausbesuch danach lange eine Einheit waren. Es stört mich, wenn Leute nach dem Gottesdienst aus der Kirche gehen, als hätte sie – mit Gerhard Polt gesprochen – der Deifi mit der Scheißbürstn vertrieben. Sonntagskultur ist, auch mal zu verweilen, in ein Wirtshaus zu gehen, zu ratschen, auch mal eine Predigt zu zerreißen und diesen freien Tag mit Leib und Seele zu erfahren, das ist was ganz Wichtiges. Der Auftrag der Kirche ist doch der Aufruf: Feiern wir das Leben!
„Ich brauche doch am Sonntag keine Lehrveranstaltung“
Und auch mal eine Messe für die Katz.
Die Viecherlmesse, die ich jedes Jahr im Sommer mache, hat einen riesigen Zuspruch. Über Tiere komme ich wieder an Leute ran, die sonst nur beim Gassigehen an meiner Kirche vorbeikommen. Das ist ein Weg, die Leute zu erreichen. Man muss Menschen auch ernst nehmen, wenn sie zum Beispiel um ein Haustier trauern.
An Heiligabend machen Sie eine Aftershow-Party.
Die Idee kam von der Pfarrjugend, die meinte: „Nach der schönen Christmette gehst heim und schaust blöd. Können wir uns nicht zamsetzen?“ Und es stimmt: Das ist doch eine Geburtstagsfeier. Wer feiert denn so Geburtstag? Also sind wir noch ins Pfarrhaus. Mittlerweile machen so viele mit, dass wir in der Kirche sind, dort zusammenstehen, Glühwein oder ein Bier trinken, uns austauschen. Kirche muss ein bergender Raum sein, auch so ein saukalter Tempel wie der meinige.
Auch die Faschingsgilde war schon im Gottesdienst. Tut es weh, wenn Sie für so etwas als „Event-Pfarrer“ oder „Show-Affe im Pfarrersgewand“ beschimpft werden?
Natürlich tut’s weh. Wenn ich irgendwie die Möglichkeit habe, dann erkläre ich, was ich damit erreichen will. Und wenn nicht, dann muss es halt im Raum stehenbleiben.
Viele Münchner begeistern Sie aber. Weil Sie leidenschaftlich und persönlich predigen?
Ja, wenn es jemanden berühren soll, dann muss man doch spüren, dass mich das selber betrifft. Wenn man eine Silvesterpredigt von einem Bischof hört, ist das oft wie eine Lehrveranstaltung. Ich brauch’ am Sonntag aber keine Lehrveranstaltung. Ich gehe da hin und habe vielleicht Angst vorm Sterben, vor Krankheit oder Sorgen um geliebte Menschen, ich brauch’ da ganz was Anderes. Das Schlimmste für den Glauben ist die Gewohnheit.
Man hat aber schon oft den Eindruck, die Kirche halte viel auf Gewohnheiten.
Wenn jemand glaubt, dass eine Kirche dann eine Kirche ist, wenn da alles geregelt ist, in der es feste Bestimmungen gibt, wer wann wo was tun darf, dann ist das nicht meine Katholische Kirche. Katholisch ist eine Kirche, die sich bewegt, die immer nach neuen Wegen sucht, die was ausprobiert.
Infotext: Die Kirche in Sendling und die Diskussion um die Moschee:
In etwas eigenwilligem Neobarock steht sie an der Valleystraße in Sendling: die Kirche Sankt Korbinian. Die Gläubigen teilen sich auch hier den Pfarrer mit einer anderen Gemeinde: Zusammen mit Sankt Margaret bildet Sankt Korbinian den Pfarrverband Sendling. Gegenüber der Korbinianskirche, am Gotzinger Platz, war ab 2004 der Bau einer Moschee geplant. Baubeginn sollte im Jahr 2008 sein. Doch 2010 wurde das Projekt abgebrochen: Die Moschee sollte rund 15 Millionen Euro kosten, doch der Münchner Moscheeverein hatte nur wenige Hunderttausend Euro zusammenbekommen. Der Vorschlag, dass Muslime in die Kirche einziehen könnten, wurde damals nicht öffentlich. Aktuell gibt es wieder einen Plan für einen Neubau: An der Dachauer Straße soll ein Islamzentrum entstehen. Auch hier suchen die Bauherren aber noch nach Geld. Die Option auf das Grundstück besteht bis Jahresende.
Rainer Maria Schießlers Buch „Himmel, Herrgott, Sakrament“ ist im Kösel Verlag erschienen und kostet 19,99 Euro.