Das Gespenst vom Alten Peter bringt die Pest

MÜNCHEN - Wer sich am Wochenende ein wenig fürchten mag, dem seien diese Geschichten aus mehreren Jahrhunderten empfohlen. Eine Seifensiederin erzählt sie. Das ist nichts für schwache Nerven
Wer die Geschichte(n) dieser Stadt kennt, der braucht eigentlich keine Halloween-Geister mit Plastikmasken, um sich zu gruseln. Düsteres hat sich zwischen Sendlinger Tor und Stachus in den vergangenen Jahrhunderten zugetragen.
Sibylle Hartmann leitet für den Weissen Stadtvogel Führungen durch die Innenstadt. Da spielt sie – finster maskiert – eine zwielichtige Seifensiederin, die für ihren Job tierisches Fett braucht. Das holt sie sich aber nicht vom Metzger, sondern von den Pestfriedhöfen. Ein Grusel-Rundgang durch die Stadt mit ihr lohnt sich. Denn sie hat allerlei historische Münchner Schreckensgeschichten zu erzählen. Die eignen sich übrigens auch herrlich zum Vorlesen, erst recht an Halloween – wenn denn die Kinder gute Nerven haben:
Die schwarze Wittelsbacherin
„Es ist ein Fluch, der bis in die heutige Zeit dem Adelsgeschlecht der Wittelsbacher im Nacken sitzt. Seit dem 18. Jahrhundert wird auf den Festen in der Residenz oder auch Schloss Nymphenburg eine unbekannte Frauengestalt gesehen: Hochgewachsen und in schwarz gekleidet, wandelt sie am Rande der Gesellschaft. Die Türen öffnen sich wie von Geisterhand vor ihr.
Es soll der Geist der verstorbenen Kurfürstin Maria Anna sein, deren Erscheinen dem Geschlecht stets Unheil verkündet.
Mitte des 19. Jahrhunderts starben etliche Wittelsbacher, wie Max II., kurz nachdem die schwarze Gestalt auf einem der Feste aufgetaucht war. Und der Fluch ist ungebrochen: 1969 träumte Prinz Adalbert von Bayern von einer schwarzen Frau, wenig später starb sein Sohn Konstantin bei einem Flugzeugabsturz.“
Das Pestgespenst vom Alten Peter
„Eines Abends 1349 war eine Magd auf dem Weg in das Haus ihrer Herrschaft in der Kaufinger Straße. Da es schon dunkel wurde, nahm sie die Abkürzung über den Friedhof am Alten Peter.
Als sie durch die Gräber lief, wurde sie plötzlich im Schein eines kleinen Lichts einer schwarze Lumpengestalt gewahr, die auf einem Grab saß. Von jähem Entsetzen gepackt rannte sie weiter, doch als sie sich umdrehte, sah sie, wie die Figur auf sie zuschwebte. Sie hetzte weiter und hörte, wie Knochenfinger im Takt klopften. Endlich gelangte sie zum Haus der Kaufleute, knallte die Türe zu und verriegelte sie hinter sich. Doch da saß der schwarze Mann vor ihr auf der Stufe und grinste sie aus bleichem Gesicht an: „Ich bin der schwarze Tod“. Eine Woche später waren alle Bewohner des Hauses an der Pest gestorben, die sich von dort aus über die ganze Stadt ausbreitete.“
Der Hostienraub vom Salvatorplatz
„Man sagt, im 15. Jahrhundert – bei einer Messe im Alten Peter – wäre München von der ersten Hexe heimgesucht worden. Bei der Heiligen Kommunion ließ ein altes Weib die Hostie heimlich in ihren Ärmel gleiten. Eine Todsünde! Der Hostienraub entlarvte das vermaledeite Weib. Denn nur Hexen, das wusste man, benötigen den Leib Jesus Christus für eine Salbe, mit deren Hilfe sie fliegen konnten. Von den Kirchenwächtern verfolgt, hetzte das Weib durch die Stadt bis zu dem Platz, auf dem heute die Salvatorkirche steht. Bis heute ein düstere Ort, an dem man nachts schnell vorbeieilt. Die Verfolger rangen das Weib nieder, doch dabei flog die Hostie auf den Boden – ein Frevel, der alle Anwesenden ins Verderben stürzen könnte. Die Henker schlugen die Frau auf der Stelle tot. Auf dem Platz aber wurde die Salvatorkirche errichtet, um den Boden, auf den die Hostie gefallen war, nachträglich zu weihen.“
Der eingemauerte Patrizier
„Im Mittelalter herrschte in München absolute Stadtruhe. Kein Bürger durfte sich nach Einbruch der Dunkelheit draußen aufhalten. Es lebte zu dieser Zeit ein reicher Patrizier in der Stadt. Ein geldgieriger Mann, der unermüdlich nachsann, wie er seinen Reichtum noch vermehren könne. Also stahl er den Schlüssel zum Sendlinger Tor, um mit einem üblen Gesellen gemeinsame Sache zu machen. Der Dieb konnte nachts in die Stadt gelangen und die Bürger ausrauben. Die Beute würde er dann mit dem Patrizier teilen. Doch der reiche Mann wurde bei dem Treffen mit dem Banditen gesehen und dem Magistrat gemeldet. Als Strafe für seine Verderbtheit wurde er bei lebendigem Leibe in das Sendlinger Tor eingemauert. Noch heute kann man nachts das Jammern und Wehklagen des Patriziers am Südturm des Sendlinger Tors hören.“
Stöhnen aus dem Jungfernturm
„Ein unheimliches Gefängnis wurde im 15. Jahrhundert in der Jungfernturmstraße gebaut. Nie soll ein Mensch die Mauern des Turmes lebend verlassen haben. Im 18. Jahrhundert gab es einen Geheimbund in München, der im Untergrund Gericht hielt. Es war die Zeit kurz vor der französischen Revolution, viele politische Querdenker verschwanden spurlos. Nachts klopften Männer in schwarzen Kutten mit spitzen Hauben, genannt Guglmänner, an die Tür und holten den Delinquenten in einer schwarzen Kutsche ab und brachten ihn in den Jungfernturm. In der Zelle ließ ein Falltür-Mechanismus den Gefangenen direkt in die Eiserne Jungfrau stürzen, die dem Gefängnis seinen Namen verlieh: In dem mit Messern gespickten Sarkophag kamen die Gefangenen qualvoll ums Leben. Noch heute hört man Schreie der unschuldig Hingerichteten am letzten Stück Stadtmauer in der Jungfernturmstraße.“
Das Gemetzel am Marienplatz
„Nie werden die Münchner die Enthauptung des Marco Bragadino vergessen – die missratenste Hinrichtung, die die Stadt je gesehen hat. Bragadino war ein Quacksalber, der behauptete, aus Blei Gold machen zu können. Doch Wilhelm V. entlarvte den Scharlatan. Das Urteil: Tod durch Enthauptung. Am 26. April 1591 sollte Bragadino auf dem Münchner Marienplatz geköpft werden. Allen Münchnern war es Pflicht, der Hinrichtung beizuwohnen. Doch Bragadinos Henker war betrunken oder von Kräutersäften berauscht. Viele Henker betäubten sich zu der Zeit, um ihr Gewerbe zu ertragen. So traf er nicht die Halswirbel, sondern spaltete die Schädeldecke, so dass der Hirninhalt auf die umstehenden Menschen spritzte. Erst nach fünf Hieben lag Bragadinos Kopf abgetrennt auf dem Marienplatz. Die Masse war so aufgebracht, dass sie den Henker lynchen wollten. Der entkam mit Müh und Not.“
Aufgezeichnet von
Johanna Jauernig