Das Geheimnis des Grafen

Als Janos von Andrássy starb, galt er als mittellos. Doch dann wurde bekannt, dass er in Illinois mehrere Immobilien, darunter ein Mietshaus, mit einem Gesamtwert von mindestens 750000Euro hatte – jetzt sucht ein Detektiv seine Erbin.
Ich stamme aus einer uralten Familie. Meine Vorfahren waren Politiker und Staatsmänner“, notierte Janos Istvan von Andrássy im Januar 1985 in seinem mit „Curriculum vitae“ überschriebenen Lebenslauf. Der gebürtige Ungar bewarb sich um die Mitgliedschaft im Bayerischen Journalisten Verband. Er wurde aufgenommen und später mit monatlich 100 Euro unterstützt. Als Andrássy 2006 starb, galt der 86-Jährige als mittellos. Doch dann wurde plötzlich bekannt, dass er in Illinois ein Vermögen besessen hatte: mehrere Immobilien, darunter ein Mietshaus, mit einem Gesamtwert von mindestens 750000Euro.
Im Auftrag eines US-Nachlassgerichts sucht der Münchner Norman Pfaffel nun nach der Haupt-Erbin – einer unbekannten etwa 50 Jahre alten Frau, die sich bei Andrássys Beerdigung auf dem alten Teil des Waldfriedhofs als seine Tochter vorgestellt hatte. „Niemand wusste, dass Janos Andrássy eine Tochter hat”, sagt Pfaffel. „Ein Testament ist nicht vorhanden, deshalb kommt die gesetzliche Erbfolge in Frage. Da stehen die Kinder an erster Stelle.”
Eine erste heiße Spur
Nachdem die Abendzeitung über den Fall berichtet hat, gibt es jetzt eine erste heiße Spur: Einer Münchner Bekannten hatte Andrássy von einer längst vergangenen Liebesbeziehung erzählt. „Als er 1953 hierher kam, wohnte er zur Untermiete bei einer Musiker-Familie in der Widenmayerstraße. Die Tochter des Hauses, eine Opernsängerin, war seine Lebensgefährtin. Ich glaube aber nicht, dass er sie geheiratet hat“, sagt Roswita Steiner (60), die Andrássy 2001 auf einem Fest im ungarischen Tourismusamt kennengelernt hatte. „Er wurde mir als Graf von Andrássy vorgestellt, war höflich und belesen“, erinnert sie sich. Die beiden blieben in Kontakt und manchmal wunderte sich Steiner über ihren neuen Bekannten. „Er war immer sehr gut gekleidet. Sein Schirm war allerdings armselig und zerfetzt.“ Briefe durfte die Münchnerin Andrássy nur an ein Postfach schicken, seine Wohnung bekam sie nie zu Gesicht. „Er lebte sehr zurückgezogen, gab wenig von sich preis.“
Auch wie Andrássys Beziehung zu der Opernsängerin aus der Widenmayerstraße endete, weiß Roswita Steiner nicht. Ob das Paar vielleicht eine uneheliche Tochter hatte? „Er behauptete stets, er habe keine Kinder. Aber möglich ist alles“, sagt Steiner.
Die Sängerin selbst kann nicht mehr befragt werden. Sie starb 1999. Erbenermittler Pfaffel hat herausgefunden, dass sie unter ihrem Mädchennamen in Garmisch-Partenkirchen beerdigt wurde. Bezahlt hat die letzte Ruhestätte Janos Istvan von Andrássy – auf zwölf Jahre im Voraus.
Pseudonym
„Das scheint eine große Liebe gewesen zu sein“, sagt Norman Pfaffel, der schon einige Erben ausfindig gemacht hat. Diesmal hat er sich ein Pseudonym zugelegt – weil er befürchtet, von falschen Andrássy-Töchtern bedrängt zu werden. Normalerweise rekonstruiert er Familiengeschichten, die drei oder vier Generationen zurückgehen. „Die beiden Weltkriege, Flucht und Vertreibung haben bei den Deutschen viel durcheinander gewirbelt“, sagt er. Die meisten Fälle ließen sich mit Anfragen bei Behörden und Standesämtern lösen. Auch das Bundesarchiv sei ein „wahres El Dorado“ für Erbenermittler. „Oder es lebt noch ein alter Verwandter, der den entscheidenden Hinweis geben kann”, so der Detektiv.
Janos Andrássy hinterließ eine Schwester in Ungarn. „Aber von einer Tochter hat die alte Dame noch nie etwas gehört“, sagt Norman Pfaffel. Wusste Janos von Andrássy selbst nicht, dass er Vater geworden war?
Fest steht: Als er sich 1985 um die Aufnahme in den Bayerischen Journalisten Verband bewarb, gab er als Familienstand „ledig“ an und zog durch die Rubrik „Kinder“ einen dicken Strich. Auch in seinem Lebenslauf ist weder von einer Frau noch von Nachwuchs die Rede. Doch auch ohne romantische Episoden liest sich das Schicksal des Grafen wie ein Roman: 1920 im ungarischen Szolnok geboren, studierte der Adels-Spross Staatswissenschaften in Budapest, Wien, Genf und Perugia. „Ich beherrsche fließend die deutsche, französische, englische, italienische und spanische Sprache“, schreibt er stolz. Andrássy wurde in den diplomatischen Dienst berufen und arbeitete in der Presseabteilung des Budapester Außenministeriums.
Dann zog Ungarn als Verbündeter Hitlers in den Krieg. Der junge Graf wurde schwer verletzt – und später angeblich von den Kommunisten gefoltert. „Nach unvorstellbaren Torturen der ungarischen Geheimpolizei wurde ich in ein Arbeitslager gesperrt, von wo mir die Flucht nach Österreich gelungen ist“, berichtet er. 1953 kam Andrássy erstmals nach München, arbeitete als Dolmetscher und freier Journalist, lernte die Opernsängerin aus der Widenmayerstraße kennen und lieben.
Doch die Romanze war nicht von Dauer
Ende der 50er Jahre ging der Ungar nach Nordafrika. Als Auslandskorrespondent der Schweizer Presse war er im Februar 1960 in Marokko, als das schlimmste Erdbeben in der Geschichte des Landes die Küstenstadt Agadir vernichtete und 15000 der 50000 Einwohner unter Trümmern begrub. Er habe sich an den Rettungarbeiten beteiligt und dafür eine hohe marokkanische Auszeichnung erhalten, schreibt Andrássy. Die Presse habe ihn allerdings fälschlicherweise für tot erklärt.
Nach Stationen in Amerika – wo er für „The Times News“ in Idaho auch über die Olympischen Spiele 1972 in München berichtete und die US-Staatsbürgerschaft annahm – sowie Frankfurt kehrte der Weltenbummler 1985 endgültig nach München zurück. Wieder wohnte er zur Untermiete, diesmal in Laim.
Hier endet der Lebenslauf des Grafen. Ob er je wieder Kontakt zu seiner Sängerin aufgenommen hat? „Ich glaube nicht“, sagt Roswita Steiner. Kam er vielleicht für ihre Beerdigung auf, weil ihn das schlechte Gewissen drückte? „Ich weiß es nicht“, sagt die Touristikkauffrau. „Aber in Amerika war er 2004 noch einmal.“
Andrássy sei in Folge der Kriegsverletzung und der Folterungen durch die Geheimpolizei sehr krank gewesen. „Deshalb flog er zu einem befreundeten Mediziner nach Chicago. Außerdem sagte er, er habe dort noch etwas zu erledigen.“ Ob es dabei um die wertvollen Immobilien ging, von denen in Deutschland niemand etwas ahnte? Chicago ist schließlich die Hauptstadt des Bundesstaates Illinois. Die Antwort hat Graf Janos Istvan von Andrássy mit ins Münchner Familiengrab seiner Vermieter genommen, genau wie die Identität seiner Tochter.
Was, wenn er wirklich keine Kinder hatte? „Dann würde die Schwester in Ungarn erben“, sagt Detektiv Pfaffel. „Aber solange nicht klar ist, ob es die Tochter gibt oder nicht, kann der Fall nicht abgeschlossen werden.“ Stirbt die alte Dame kinderlos und die mysteriöse Tochter bleibt verschollen, fällt das Andrássy-Erbe an den amerikanischen Staat.
Natalie Kettinger