Das dunkelrote München

Nirgendwo sonst haben bei der Bundestagswahl 2005 so viele Menschen in München links gewählt. Und bei der Kommunalwahl am 2. März? - Ein Streifzug durch das Arbeiterviertel. Wo München ganz links ist. . .
MÜNCHEN Mitten in einem Arbeiterviertel, zwei Wochen vor der Kommunalwahl. Vor den Werkstoren von BMW reihen sich die Wahlplakate aneinander. Nirgendwo sonst in München arbeiten so viele Menschen im produzierenden Gewerbe wie in den Stadtteilen Milbertshofen und Am Hart. Nirgendwo sonst haben bei der Bundestagswahl 2005 so viele Menschen Rot gewählt – oder Dunkelrot.
Wer sind die Wähler der „Linken“? Eine Spurensuche. Elfriede Kanal (62) faltet in einem Waschsalon ihre Handtücher. Milbertshofen als linke Hochburg? „Das glaub’ ich nicht“, sagt die arbeitslose Frau. Daran kann auch eine Wahlstatistik, schwarz auf weiß, nichts ändern. 4,8 Prozent hatte „Die Linke“ im Stadtbezirk zuletzt geholt. Die SPD war auf 33,1 Prozent gekommen.
"Das sind Spinner"
„Das ist ein Arbeiterviertel hier“, murrt Elfriede Kanal. „Und die Linke – das ist keine Arbeiterpartei, das sind Spinner.“ Ein paar Häuser weiter sitzen zwei Männer und trinken Espresso. Über Politik wollen sie eigentlich nicht sprechen. Privatsache. Aber „Die Linke“, so viel sagen sie dann doch, die sei gar keine Option: „Deren Versprechungen sind nicht einzuhalten. Die Leute werden nur geblendet.“
Ob bei McDonald’s, in Wirtshäusern oder im Milbertshofener Kulturzentrum – Wähler der Links-Partei? Fehlanzeige.
Am „Harthof“ wartet Michael (39) auf die nächste U-Bahn. Er ist vor kurzem aus der Haft entlassen worden. Sein Votum steht fest: „Ich werde rechts wählen – wie viele hier. Es gibt ja kaum noch Deutsche bei uns im Stadtteil. . .“ Die U-Bahn kommt. Der Streifzug durchs Arbeiterviertel ist vorbei, die Frage weiter offen: Wo sind denn nun die Linkswähler in München?
„Unsere Wählerschaft hat sich verändert“, ist Stadtratskandidat Orhan Akman sicher. „Die Linke peilt die Mitte der Gesellschaft an.“
Enttäuschung als Gemeinsamkeit
Stadträtin Brigitte Wolf pflichtet dem bei: „Wir decken immer mehr das gesamte soziale Spektrum ab. Zu unserer Zielgruppe gehören alle, die eine solidarische Grundeinstellung haben – auch Gutverdiener.“
In der Freiheizhalle warten 600 Menschen auf Oskar Lafontaine. Viele von ihnen sind Mitglieder der „Linken“, viele nur Sympathisanten. Die wenigsten sind jünger als 40. Sie alle haben Eines gemeinsam: ihre Enttäuschung.
„Die SPD ist zu lasch im Bezug auf die Armut, die sich gebildet hat“, sagt Karl Jordan. 35 Jahre lang war der Lehrer Mitglied in der SPD, seit einigen Monaten gehört er zur „Linken“. Neben dem 70-Jährigen sitzt die Arbeitslose Helga Doerfler (57). „Ich bekomme keine Arbeit, obwohl ich 600 Bewerbungen geschrieben habe“, klagt sie. „Die großen Parteien tun einfach nichts.“
"Grüne stehen zunehmend für Militarismus"
Oder sie tun das Falsche – davon sind zumindest zahlreiche Ex-Grüne überzeugt, die in die Freiheizhalle gekommen sind. „Ich dachte, ich würde mein Leben lang grün wählen. Und dann haben die dem Kosovo-Krieg zugestimmt. Ich war so enttäuscht!“, erinnert sich die Taxifahrerin Karin Wagner (42). „Die Grünen waren mal eine pazifistische Partei, die jetzt zunehmend für Militarismus steht“, meint auch die Medizinstudentin Juliane Roos.
Sie überlegt noch, was sie am 2. März wählt. Kann gut sein, dass es „Die Linke“ wird.
Julia Lenders