Darum gehen diese jungen Münchner in die Pflege

München - Die klassischen Pflege-Berufe – sie sind zu stressig, zu schlecht bezahlt, sagen immer mehr Mitarbeiter von Pflegeheimen oder Fachkliniken. Burn-outs in der Notaufnahme, Mobbing und Doppelschichten in Heimen und Kliniken nehmen zu.
Krankenschwester, Altenpfleger oder Stationsleitung – das sind aber auch Jobs mit Zukunft: abwechslungsreich, bereichernd und sicher. "Man kriegt viel von den Menschen mit, ihre Schicksale, ihre Geschichten. Viele Patienten sind sehr, sehr dankbar", ist die Erfahrung von Jessica Spielberger (21).
An der Pflege-Akademie des Städtischen Klinikums in Schwabing macht sie die neuartige "Generalistische Pflegeausbildung"– sie lernt Alten-Kranken- und Kinderkrankenpflege, alles zusammen. Diese Innovation soll ab 2020 den Pflegeberuf attraktiver machen. Die Politik hat beschlossen, dass künftig alle Pflegerinnen zwei Jahre alles rund um die Pflege lernen – um so mehr dringend gesuchte Altenpfleger zu bekommen.
Denn: Die Pflege-Misere macht Angst. Deutschlandweit fehlen bis zu 130.000 Pflegekräfte. Schmutzige Böden, eiliges Füttern, wenig Zeit für ein wohtuendes Wort für den Patienten – den Pflegenotstand haben viele Bettlägerige, Heimbewohner und Angehörige am eigenen Leib erfahren.
In München reicht ein Krankenschwesterngehalt kaum: Miete, Strom, Gas und Lebensmittel fressen alles weg, lautet die Klage. 1.000 Euro brutto bekommen Azubis im ersten Jahr. Das Einstiegsgehalt liegt bei rund 2.000 Euro – plus Schichtzuschläge. Eine Kopf-Prämie von 1.000 Euro zahlt das Städtische Klinikum seinen 5.000 Pflegern für die Vermittlung einer neuen Kraft.
In den Krankenhäusern Bogenhausen, Schwabing, Harlaching und Neuperlach haben jetzt 150 Azubis begonnen: als Pflegefachhilfe (ein Jahr Ausbildung), OP-Schwester (drei Jahre), Krankenschwester und -Pfleger (drei Jahre) mit dualem Studium (drei Jahre) oder in der "Generalistischen Pflegeausbildung" – mit der so gesuchten Altenpflege-Qualifikation.
"Der Beruf ist wichtig!"
Pauline Dressel (19) mag praktische Arbeit und Kontakt zu Menschen. Fotos: Daniel von Loeper
Pauline Dressel (19) hat Abitur. Als Schülerin hat sie den Schul-Sanitätsdienst geleitet und war bei der Freiwilligen Feuerwehr in Petershausen. Nun ist sie in der zweiten Woche ihrer Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in der Pflege-Akademie in der Kraepelinstraße in Schwabing: "Bei meinen Freunden gibt es schon Vorurteile. Sie sagen, das sei ein harter Beruf. Das stimmt. Aber ich habe mich dafür entschieden, trotz Schichtdienst, denn man arbeitet mit Menschen zusammen. Und diese Zusammenarbeit kann ich gestalten.
Das Maß der Kraft, die einem gegeben ist, sollte man allerdings kennen – und sich äußern, wenn man an seine Grenzen stößt. Einen Ansprechpartner, um schwierige Situationen nachzubesprechen, haben wir hier in der Ausbildung.
Ich freue mich auf alles! Als Krankenschwestern sind wir näher am Patienten als der Arzt. Bei uns geht’s darum, was uns als Menschen ausmacht. Dieser Beruf ist wichtig! Mich stört, dass das den meisten Leuten egal ist – bis es sie betrifft."
"Jetzt fühle ich mich gebraucht"
Ilker Polat ist von Köln nach München gezogen.
Ilker Polat (33): "Ich habe keine Angst vor dem Beruf Krankenschwester. Bei einem Praktikum in der Neurologie habe ich Hirntumore, Schlaganfälle und Lähmungen gesehen. Hierbei hilfst du dem Patienten, wo auch immer er Hilfe braucht. Dabei kam es mir nicht so vor, als würde ich ausgenutzt, sondern eher, als würde ich gebraucht – für mich ein gutes Gefühl.
Vorher war ich freiberufliche Gymnastiklehrerin. Ich habe Kurse gegeben. Jetzt kombiniere ich eine Krankenschwester-Ausbildung mit dem Bachelor-Studium Pflegewissenschaft. Damit habe ich Chancen, ins Ausland zu gehen oder auf die Stationsleitung."
"Man braucht ein großes Herz und viel Liebe"
Raphael Miranda de Queiroz (24) arbeitet im Klinikum Bogenhausen.
Raphael Miranda de Queiroz (24) arbeitet im Klinikum Bogenhausen: "Als Krankenpfleger muss man geduldig sein – und Prioritäten setzen. Heute hatten wir 50 Patienten in der Notaufnahme. Es war total stressig, aber trotzdem gut. In Brasilien wollte ich eigentlich Medizin studieren. Man braucht ein großes Herz und viel Liebe, um Krankenpfleger zu sein, denn man macht wirklich alles – auch Waschen und Wickeln. Weil ich direkt nach meiner Ausbildung im Städtischen Klinikum angefangen habe, bekomme ich nun 1500 Euro Prämie. Das ist gut, denn München ist eine teure Stadt. Als Verdi-Mitglied kämpfe ich für eine bessere Bezahlung im Krankenhaus. Ich war schon auf einer Demo dabei. Denn: Was wir leisten, ist unvorstellbar. Es fehlt die Anerkennung, und ich habe Sorge, dass es eher knapper wird mit dem Personal."
"Mit dem Tod habe ich mich angefreundet"
Nikola Konrad ist stark.
Nikola Konrad (18) wird Kinderkrankenpflegerin: "Als Mädchen habe ich Regenwürmer von der Straße getragen und Frösche aus dem Kellerschacht gerettet. Bei meinem Klinik-Praktikum war ich bei Operationen von Kindern dabei. Ich habe gemerkt, dass ich sie davor gut beruhigen kann. Das hat mir ein tiefes Gefühl von Befriedigung gegeben. Mit dem Tod als Fakt habe ich mich angefreundet – auch durch private Schicksalsschläge. Ich bin vertraut mit dem Leben und mit seinem Ende.
Der Pflegenotstand schreckt mich nicht. Es wird immer mehr Menschen geben, die Hilfe brauchen, als Menschen, die helfen. Darum bin ich hier. Man merkt die Belastung im Alltag – und dass von den Pflegern sehr viel verlangt wird. Ich glaube aber, dass ich resilient bin, also widerstandsfähig, wie man so schön sagt."
"Ich wachse mit meinen Aufgaben"
Krankenschwester-Azubi Lotte Paul.
Lotte Paul (17) ist Krankenschwester im zweiten Lehrjahr. Als Minderjährige macht sie keine Nachtschichten: "Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als an der Pflege-Schule zu sein. Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten, mit sterbenden Patienten umzugehen. Aber man wächst mit seinen Aufgaben. Oft sagen mir Patienten: "Schwester, Sie machen das so toll!"
Sehr anstrengend war mein Frühdienst im Klinikum Neuperlach. Morgens 5.12 Uhr stand ich jeden Tag am Bus. Ich habe mit dem MVV 1,5 Stunden gebraucht. Das hat echt an den Nerven gezehrt – ich war zu müde für alles. Aber ich wollte den Dienst auch selbst machen."
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"Wir brauchen mehr Revoluzzer!"
In den Krankenhäusern Bogenhausen, Schwabing, Harlaching und Neuperlach haben jetzt 150 Azubis begonnen.
Simone Heimkreiter, Dozentin für Altenpflege, ermutigt überforderte Azubis, "Nein" zu sagen
Anstatt die Auszubildenden wertzuschätzen, werden sie oft gnadenlos verheizt", sagt Simone Heimkreiter. Die Pflege-Dozentin unterrichtet Altenpflege-Azubis an bayerischen Pflegen-Akademien. Die 48-Jährige merkt die Folgen des aktuellen Pflegenotstands daran, dass ein Teil der jungen Kräfte die Ausbildung abbricht, andere steigen nach nur wenigen Jahren aus ihrem Job im Alten- oder Pflegeheim wieder aus. "Das größte Problem sind die Rahmenbedingungen," erklärt Heimkreiter. Viele Pflegekräfte seien sehr unzufrieden mit ihrem Dienstplan. Dort gibt es häufig Defizite: "Viel zu wenige Kräfte in der Urlaubszeit sowie Stresssituationen und unguter Druck, wenn Mitarbeiter wegen Krankheit ausfallen."
Heimkreiter sagt: "Manche Häuser arbeiten bewusst unter dem Pflegeschlüssel, um Geld zu sparen und mehr Profit zu machen." Eigentlich sei Pflege ein schöner Beruf – "aber oft überwiegen die wirtschaftlichen Interessen", kritisiert sie. Die Träger der Häuser sind zum Teil Aktiengesellschaften. Vor 30 Jahren gab es das noch nicht. Heimkreiter bedauert: "Jetzt ist alles kapitalistisch angelegt – eine furchtbare Entwicklung für Pfleger und Patienten."
Wegen gravierender Personal-Engpässe müssten Schüler immer wieder Fachkräfte ersetzen. Tabletten austeilen, was sie eigentlich nicht dürfen, oder allein als Azubi zehn Patienten versorgen. Mit der Verantwortung für hilflose und verwirrte Menschen, auch für Sterbende seien sie oft überfordert – und bräuchten Unterstützung und Supervision. Azubis, die sich überfordert fühlen, ermutigt Simone Heimkreiter immer wieder. klar "Nein" zu sagen: "Sagen Sie ,Ich springe nicht ein!’ oder: ,Ich arbeite nicht unter diesen Bedingungen.’ Wir brauchen mehr Revoluzzer in der Pflege!"
Die Betriebswirtin, die früher ein Pflegeheim geleitet hat, spricht aus Erfahrung: "Wenn wir in der Altenpflege überfordert sind, dann arbeiten wir schneller und ruppiger. Unter Druck verlieren Leute ihre gute Energie, sogar Gewalt kann ins Spiel kommen, und das darf nicht sein."
Ihre Forderung an die Politik: mehr Geld. Ganz persönlich hat sie einen Traum: "Wenn jemand in der Pflege für acht Stunden bezahlt wird, aber nur sechs arbeitet, dann ist keiner mehr gestresst, haben Studien ergeben. Die Kosten dafür sollte die Gesellschaft tragen."