"Damit ist die Sache erledigt": Wird Markus Söder wegen Hubert Aiwanger niemals Kanzler?

München - "Keine Vorverurteilung!" Das sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bei der Pressekonferenz in der Bayerischen Staatskanzlei zur Causa Flugblatt, die inzwischen eine Causa Hubert Aiwanger geworden ist. In den vergangenen Tagen sind so viele Vorwürfe gegen den Freie-Wähler-Chef ans Licht gelangt, dass es schwer ist, da überhaupt noch mitzukommen.
Eine Säureattacke auf eine Lehrerin, Hakenkreuze auf der Schultoilette, das Wort "Negersau" im Heft, Hitlergrüße im Klassenzimmer, Hitlerreden vor dem Spiegel, Judenwitze beim Schulausflug zur KZ-Gedenkstätte, das Hitlerbärtchen auf dem Foto. Und schließlich das antisemitische Flugblatt.
Hubert Aiwanger darf bleiben: Markus Söder machte sich die Entscheidung nicht leicht
Söder bezeichnet jenes abermals als "ekelig, widerwärtig, menschenverachtend und absoluter Nazi-Jargon". Er habe es sich nicht leicht gemacht mit der Entscheidung, "glauben Sie's mir".
Der Ministerpräsident versichert weiter: "Bayern ist ein Bollwerk gegen Rassismus und Antisemitismus, das garantiere ich persönlich." Da war eigentlich schon klar, auf was diese Erklärung hinauslief, zumal die Entscheidung Söders schon vor dem Pressetermin kursierte: Aiwanger bleibt im Amt.
Für Söder stand – und steht – viel auf dem Spiel. Sollte er Aiwanger in die Wüste schicken, dürfte dies wohl auch zu seinem Rücktritt führen. Denn die Freien Wähler sind ohne Aiwanger, mit Verlaub, nichts. Die Partei steht geschlossen hinter ihrem Vorsitzenden und Spitzenkandidaten.
Söder hätte also riskiert, dass ihm wenige Wochen vor der Landtagswahl der Koalitionspartner wegbricht. Zwar hätte es die Möglichkeit einer Minderheitsregierung gegeben, aber taktisch wäre es äußerst ungut gewesen, der demokratischen Opposition so kurz vor der Wahl diese Möglichkeit zu bieten.
Eine Koalition ohne Freie Wähler: Dann hätte CSU-Boss Söder ein Glaubwürdigkeitsproblem
Schlimmstenfalls hätte Söder also zurücktreten müssen. Und fast noch schlimmer: womöglich in der künftigen Legislaturperiode eine Koalition mit den gendernden Grünen eingehen müssen. Damit hätte sich der eh schon als Wendehals bekannte Söder erst recht als unglaubwürdig bei seinen Stammwählern erwiesen. Die CSU hätte damit wohl über Jahrzehnte ein Glaubwürdigkeitsproblem an der Backe.
Die Freien Wähler hätten indes vom Absägen Aiwangers mit Stimmen bei der Landtagswahl profitieren können, gerade wenn sich Aiwanger zum politischen Opfer stilisiert hätte.
Schon jetzt erlebt Markus Söder beinahe täglich im Bierzelt, wie solidarisch sich viele mit seinem Vize zeigen. Vom Badesee bis zum Stammtisch diskutiert das Volk, dass das doch ein Schmarrn ist, den Hubsi für Sachen von vor über 30 Jahren so in die Mangel zu nehmen.
Markus Söder: In der Causa Hubert Aiwanger gab es ein "faires und geordnetes Verfahren"
Wobei: Nur ein Teil der Bevölkerung sieht das so, und das weiß auch Markus Söder. Erst recht außerhalb Bayerns, wo vielen dieser Aiwanger eh schon suspekt ist. Für Söder geht es kurzfristig um die Bayernwahl, langfristig aber um das Kanzleramt. Er weiß, dass ihm gerade ein zu lascher Kurs in Fragen des Antisemitismus das Format für Berlin absprechen könnte.
Söder gibt sich staatsmännisch, spricht von einem "fairen und geordneten Verfahren". Er wolle nicht nur nach Medienberichten entscheiden. Das überrascht schon, denn bei den 25 Fragen der Staatsregierung und Antworten Aiwangers erfährt der Leser gar nichts, was nicht schon in den Medien abgebildet war.
Hubert Aiwanger liefert 25 Antworten: "Nicht alle waren befriedigend", meint Markus Söder
"Die Antworten waren nicht alle befriedigend", räumt auch Söder ein. Wenig Neues, viel Bekanntes, zahlreiche Lücken, findet er. Aber in einem langen persönlichen Gespräch habe Aiwanger ihn überzeugt, dass das Flugblatt nicht von ihm sei und dass er den Vorfall insgesamt "als ein einschneidendes Erlebnis" betrachtet.
Der Ministerpräsident räumt auch ein, dass Aiwangers Krisenmanagement in der vergangenen Woche "nicht sehr glücklich" gewesen sei. Er hätte sich gewünscht, dass Aiwanger dies "früher, entschlossener und umfassender" aufgeklärt hätte.
Die Glaubwürdigkeit seines Vize habe gelitten, indem er alles abgestritten, dann teilweise eingeräumt und viele Widersprüche produziert habe. Die Entschuldigung sei erst "spät, aber aus meiner Sicht nicht zu spät" gekommen. Inzwischen habe sich Aiwanger aber von dem Flugblatt distanziert.
Söder mahnt Aiwanger: "Es ist wichtig, die Demut und Reue zu zeigen"
Für Söder sind all diese Punkte entscheidend, aber vor allen Dingen gebe es keinen Beweis, dass sein Vize das Flugblatt verfasst oder verbreitet habe. In der Tat hat Hubert Aiwangers Bruder Helmut am vergangenen Wochenende eingeräumt, Autor des Pamphlets zu sein. So wie er und Hubert Aiwanger es darstellen, hat Letzterer aus ehrenhaften Gründen die Strafe, die eigentlich seinem Bruder galt, auf sich genommen.
Helmut Aiwanger, der heute Waffenhändler ist, hat wegen dieser ganzen Affäre nun Ärger mit dem Landratsamt Landshut. Die Behörde prüft nun nämlich, ob er angesichts des Flugblatts zuverlässig genug ist, um Waffen verkaufen zu dürfen. "Eine Entlassung aus dem Amt wäre nicht verhältnismäßig", sagt Söder.
"Mein ernst- und gut gemeinter Rat: Auch wenn all die Sachen lange her sind – es ist wichtig, die Demut und Reue zu zeigen." Im Koalitionsausschuss sei man sich einig gewesen, dass Aiwanger "verloren gegangenes Vertrauen" zurückgewinnen müsse, "so dass er Gespräche mit jüdischen Gemeinden suchen müsse".
Söder erteilt einer neuen Koalition eine Absage: "Es wird in Bayern kein Schwarz-Grün geben"
Aiwanger sehe das ebenso, auch mit Charlotte Knobloch, Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, und Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, habe man gesprochen. Zum Schluss spricht Söder davon, dass man die Koalition fortsetzen werde: "Es wird definitiv in Bayern kein Schwarz-Grün geben!"
Und weiter: "Das war eine unschöne Woche, das hat Bayern geschadet.". Die Koalition sei durch die "Berichterstattung" – und nicht durch Aiwangers Verfehlungen – belastet worden.
Sieht also auch er eine Kampagne? Die Antwort bleibt Söder schuldig. Denn wie schon am Dienstag will er keine Fragen beantworten. "Damit ist die Sache abgeschlossen", sagt Söder.
Kurz darauf schreibt Aiwanger auf X (ehemals Twitter): "Jetzt bestätigt sich, was ich von Anfang an gesagt habe: Es gibt keinen Grund, mich zu entlassen, die Kampagne gegen mich ist gescheitert." Es war vermutlich nicht die Reue und Demut, die sich Söder gewünscht hatte.