CSU-Arzt Hans Theiss übt scharfe Kritik: Das macht Markus Söder falsch

München - In der CSU ist ein offener Streit über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ausgebrochen. Hans Theiss, Professor und Arzt am LMU-Klinikum Großhadern sowie stellvertretender Fraktionsvorsitzender und gesundheitspolitischer Sprecher der CSU im Rathaus, hat Ministerpräsident Markus Söder in einem offenen Brief auf Facebook scharf angegriffen.
"Ich habe bisher aus parteiinterner Loyalität geschwiegen, aber was zu viel ist, ist zu viel", leitet Hans Theiss seine Rundum-Kritik ein. Bevor er ins Detail geht, stellt er klar: "Covid ist schlimmer als 'die übliche Grippe', jeder einzelne Tote ist einer zu viel und mein Mitgefühl gilt allen Patienten und Angehörigen, die um ihr Leben bangen."
Dann wird er persönlich: "Bei allem Respekt vor Amt und Person - im Kampf gegen Corona brauchen wir weniger Herrenchiemsee und mehr Ehrlichkeit bzw. politische Treffsicherheit."
Der Mediziner wirft seinem Parteikollegen eine Reihe von Fehlern vor. Diese Versäumnisse und Fehler kreidet der Kardiologe Ministerpräsident Markus Söder an:
Altenheime
Laut Theiss, der auch Intensivmediziner ist, sind die Infektionswellen in Altenheimen "Haupttreiber der Covid-Mortalität". Er wirft der Staatsregierung vor: "Hier gibt es bis jetzt keine schlüssigen Sicherheits- und Testkonzepte. Ab heute zweimal Mitarbeitertesten pro Woche kann doch nicht unser Ernst und nicht alles sein."
Zu wenig Pflegekräfte
Zudem sei zu wenig unternommen worden, Pflegekräfte zu rekrutieren: "Beatmungsgeräte kaufen reicht nicht. Es ist viel zu wenig getan worden, um genug Intensivpflegekräfte ans Bett zu bringen", so Theiss. "Hier müsste viel mehr investiert werden, um diese aus Teilzeit und anderen Berufen zurückzuholen, umzuschulen o. ä. - die Pflegekräfte machen einen herausragenden Job, aber es sind einfach zu wenige."
Nachverfolgung
Mit einer Frage drückt Hans Theiss seine Fassungslosigkeit aus: "Wir können 75 Prozent der Infektionsketten nicht nachvollziehen - wie bitte?". Der Arzt mahnt: "Man hätte die Warn-App rechtzeitig differenzieren und 'nachschärfen' können." Die Gesundheitsämter hätten besser und effektiver ausgestattet werden können.
Vereinsamung
Als vierten großen Punkt kritisiert Theiss, dass die neuen Regeln vor allem Alleinstehende treffen würden. "Die Weihnachtszeit besteht nicht nur aus Heiligabend. Ausgerechnet jetzt die Einsamen, Singles und auch normale Familien noch weiter zu isolieren, ist für mich gleichermaßen herz- und einfallslos." Der CSU-Fraktionsvize greift seinen Parteifreund an: "Hier schießt Du weit über das Ziel hinaus."
Mehr Non-Covid-Tote
Zuletzt richtet der Medizinprofessor den Blick auf diejenigen, die nicht an Corona erkrankt sind, aber dringend medizinische Hilfe benötigen. "Ich habe nach wie vor den Eindruck, dass mehr Menschen durch als an Corona sterben." Theiss vermisst breitenwirksame Aufklärung: "Wo sind die öffentlichen Kampagnen, die Herzinfarkt- und Krebspatienten die Angst vor dem Apothekengang und dem Krankenhaus nehmen? Angst(macherei) vor Corona führt leider auch dazu, dass viele ärztliche Behandlungen zu spät kommen."
Theiss schließt den Beitrag mit den Worten: "Ja, ich mag mich gerade parteiintern um Kopf und Kragen reden - aber letztlich bin auch ich nur ein kleiner einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn. Wir müssen in der Coronapolitik besser, differenzierter und einfallsreicher werden - Lockdowns und AHA-Regeln (...) reichen nicht."
Der Rundumschlag sorgt für viel Wirbel. Der Beitrag wurde mehr als 1.300 Mal auf Facebook geteilt, es gab aber auch viel Kritik. CSU-Generalsekretär Markus Blume schoss scharf zurück, er teilte der AZ mit: "Hans Theiss liegt seit Beginn der Corona-Krise konsequent falsch. Im April forderte er die kontrollierte Durchseuchung - eine Strategie, die weltweit gescheitert ist." Auch die aktuellen Äußerungen würden ihn besorgen: "Wenn ein Arzt behauptet, dass mehr Menschen durch als an Corona sterben, dann ist er in gefährlichem Fahrwasser unterwegs und ignoriert die Realität auf den Intensivstationen." Es sei immer einfach, "nölend am Seitenrand zu stehen, statt konstruktive Lösungen vorzuschlagen".
Ludwig Spaenle, der Münchner CSU-Parteichef, sagte: "Herr Theiss ist ein erfahrener Kardiologe und Medizinpolitiker, der seine Meinung kundgetan hat, die ich respektiere, die aber nicht die unsrige ist."