Corona-Stille in den Münchner Kliniken: Zahlen steigen, Betten bleiben leer

München - In den vergangenen Wochen haben sich zeitweise wieder sehr viel mehr Münchner mit dem Coronavirus angesteckt, kritische Inzidenzwerte wurden erreicht - doch in den Kliniken ist die Situation bislang ruhiggeblieben.
Derzeit liegen neun Covid-Patienten in den Häusern des LMU Klinikums
Sowohl im TU-Klinikum rechts der Isar, als auch in der LMU-Klinik und den Häusern der städtischen München Klinik werden derzeit nur wenige Menschen wegen einer Covid-Erkrankung behandelt. "Zur Hoch-Zeit haben wir 200 Corona-Patienten versorgt, davon 60 intensiv. Von diesen Zahlen sind wir derzeit weit, weit entfernt", sagte Axel Fischer, Geschäftsführer der München Klinik, am Donnerstag zur AZ. "Zur Zeit ist es relativ ruhig. Wir bewegen uns seit mehreren Wochen und Monaten auf einem Level mit zehn bis 20 Corona-Patienten, davon sind zwei bis fünf Intensivpatienten." Der Betrieb in den städtischen Häusern laufe wieder weitgehend normal. In den beiden Häusern des LMU Klinikums liegen derzeit neun Covid-Patienten.
Auch die Zahl der Todesopfer ist in München in den vergangenen Monaten deutlich langsamer gestiegen: Am 23. März wurde der erste Corona-Tote gemeldet, bis zum 5. Juli stieg die Zahl auf 200. Danach war der steile Anstieg der Todeskurve erstmal gestoppt. In den folgenden drei Monaten starben noch 29 Münchner (Stand 8. Oktober 2020).
Bedeutet diese Entwicklung, dass alles nicht mehr so schlimm ist? Warum erkranken derzeit offenbar weniger Menschen schwer? Und warum überleben mehr Patienten, mit schweren Krankheitsverläufen? Sind die Maßnahmen und ständig neuen Regeln gar überzogen? Drei Klinik-Ärzte geben in der AZ Antworten.
"Die Jüngeren stecken mehr weg. Aber auch sie kann es hart treffen
Jeden Tag, morgens um 6 Uhr blinkt bei Klinik-Geschäftsführer Axel Fischer das Handy kurz auf. Immer um diese Zeit bekommt er per Mail die aktuellen Zahlen. Rund 800 Covid-Patienten hat das Klinikum München seit Beginn der Pandemie behandelt. Gestern erfährt Axel Fischer, dass aktuell 21 Covid-Patienten stationär in den städtischen Häusern liegen, zwei von ihnen auf der Intensivstation in Schwabing.
Dort ist Niklas Schneider Chef, er stellt schon seit einiger Zeit fest: "Im Augenblick ist das Durchschnittsalter der Covid-Erkrankten viel niedriger als während der ersten Welle. Die Jüngeren sind körperlich meist fitter, sie können mehr wegstecken." Deswegen vermutet der Oberarzt, "sehen wir wahrscheinlich derzeit insgesamt weniger Patienten auf den Intensivstationen."
Trotzdem kann es - wenn auch seltener - Jüngere ebenfalls schwer treffen. "Derzeit liegt ein 39-Jähriger bei uns auf der Intensivstation, der keine Vorerkrankungen hatte", sagt Dr. Niklas Schneider.

RKI: Keine Anzeichen, dass sich das Coronavirus abgeschwächt hat
Im Klinikum rechts der Isar geht es ebenfalls deutlich ruhiger zu auf der Covid-Station - vier Patienten liegen hier, auch sie sind jünger. "Das Durchschnittsalter liegt mit 15 bis 50 Jahren deutlich unter dem der ersten Welle. Entsprechend seltener sind Risikofaktoren schwererer Verläufe", erklärt Infektiologe Christoph Spinner.

Dass das Virus sich abgeschwächt hat und weniger gefährlich geworden ist, dafür gibt es laut Robert-Koch-Institut (RKI) jedoch keine Anzeichen. Bernhard Zwißler, Direktor der Anästhesiologie in der LMU-Klinik, hat noch eine andere Erklärung, warum die Zahl der schweren Krankheitsverläufe gesunken ist: Die Risikogruppen seien besser geschützt - und würden sich auch selbst besser schützen.

"Die Älteren gehen mit dem Wissen aus den letzten Monaten heute anders um mit der Gefahr. Wenn wir uns zurückerinnern: Im März und April, war noch nicht wirklich klar, wie man sich am besten verhalten soll und was man besser unterlässt. Das Virus hat seinen Tribut gefordert", sagt der Anästhesist. Heute seien die besonders Gefährdeten vorsichtiger. "So lange das so bleibt, wird die Gruppe der Älteren nicht wieder in diesem Umfang erkranken", glaubt er.
"Am Anfang war Covid für uns Ärzte eine Blackbox"
Auch bei den Therapiemöglichkeiten hat sich viel geändert, seitdem die Pandemie vor sieben Monaten in München ankam. "In den ersten vier bis acht Wochen wussten wir sehr wenig von der Erkrankung", erklärt Prof. Zwißler. "Es gab keine medikamentösen Behandlungsoptionen, die auch nur andeutungsweise durch Studien belegt waren. Es herrschte viel Unsicherheit." Niklas Schneider aus dem Klinikum Schwabing drückt es noch drastischer aus: "Covid war wie eine Blackbox für uns."
Die Ärzte versuchen der Erkrankung immer einen Schritt voraus zu sein. "Das mussten wir bei Covid erst lernen", sagt Schneider. "Heute kennen wir die Risikoerreger für Sekundärinfektionen und wissen, welche Pilze oder Keime die vorgeschädigte Lunge angreifen. Wir haben zudem gesehen, dass viele Patienten Thrombosen, Lungenembolien und Schlaganfälle entwickeln. Es gibt Laborparameter im Blut, die uns frühzeitig Hinweise darauf geben können."
So wird in den Kliniken heute völlig anders therapiert als zu Beginn. Remdesivir, Cortison und auch blutverdünnende Mittel spielen dabei eine wichtige Rolle. "Die Überlebenschancen sind gestiegen", sagt Professor Zwißler.
"Covid ist keine Krankheit, die man locker wegsteckt!"
Doch die Spezialisten warnen: "Auch wenn wir jetzt besser therapieren, können wir nicht jeden retten. Es gibt nach wie vor kein Medikament, das das Virus abtötet", betont Niklas Schneider. "Wir müssen den gleichen Respekt haben wie am Anfang."
Damit die Zahlen nicht wieder nach oben schnellen und die Kliniken ihre Covid-Stationen vergrößern müssen, appelliert Zwißler: "Dass es aktuell nach den Zahlen nicht mehr so schlimm ist, verdanken wir nur der Tatsache, dass wir einigermaßen konsequent waren." Er warnt: "Covid ist keine Krankheit, die man locker wegsteckt!"
In seinem Umfeld gibt es gleich mehrere 40- bis 50-Jährige, die erkrankten. Die Verläufe seien mild gewesen. "Aber ausnahmslos jeder sagt: Man ist richtig, richtig krank. Auch, wenn Covid nach außen nicht spektakulär verläuft, kann die Krankheit uns ganz erheblich in Mitleidenschaft ziehen."