Corona-Lockdown: Wirtschaftsanwalt über möglichen Pachterlass

München - AZ-Interview mit Clemens Engelhardt: Er ist Partner der Kanzlei trustberg LLP und Professor für Wirtschaftsrecht.
Lockdown: Geschäftsgrundlage des Pachtvertrages beeinträchtigt
AZ: Herr Engelhardt, Media Markt und andere zahlen keine Mieten mehr. Darf das ein Münchner Wirt oder der Gemüseladen ums Eck auch?
CLEMENS ENGELHARDT: Recht und Gesetz gelten für alle gleich. Aber machen wir uns nichts vor – wirtschaftliche Potenz gibt Verhandlungsmacht. Hier setzen wir an und wollen helfen.
Muss man nicht fürchten, die Miete später hoch verzinst nachzahlen zu müssen?
Für April bis Juni 2020 besteht Kündigungsschutz im Falle der Nichtzahlung. Wer sich weiter nicht mit dem Thema befasst, muss später nachzahlen und dies auch mit Zinsen. Pacta sunt servanda, wie der Lateiner sagt – Verträge sind zu erfüllen. Aber: Dies gilt nicht, wenn das Festhalten am Vertrag für eine Partei unzumutbar wird und anzunehmen ist, dass die Mieter und Vermieter die aktuelle Lage im Vertrag berücksichtigt hätten, wenn man geahnt hätte, was da alles auf einmal möglich ist.
Für Wirte heißt das?
Wenn ein Wirt nicht öffnen darf, kann man annehmen, dass die Geschäftsgrundlage des Pachtvertrages hiervon betroffen ist. Kaum ein Jurist zieht mehr in Zweifel, dass das bloße Betreibenkönnen der Gastronomie auch die Grundlage des Pachtvertrages ist. Dies gilt für viele andere Unternehmen auch.
"Wirte können nicht auf Online-Geschäft umstellen"
Ist es nicht auch möglich, dass der Staat einspringen muss – immerhin hat er den Lockdown angeordnet?
Ich weiß bis heute nur von einem Gericht, das gegen eine Friseurin entschieden hat. Wir müssen hier abwarten, was laufende Verfahren ergeben.
Muss ich Bedürftigkeit nachweisen, um einen Anspruch darauf zu haben, die Miete auszusetzen?
Wirt, Händler oder Fitnessstudiobetreiber: Man wird darlegen, warum die Zahlung der Miete im Einzelfall nicht zumutbar ist. Nur dann besteht ein Anspruch auf Reduzierung der Miete ohne Nachzahlung und ohne Zinsen. Wirte können nicht auf Online-Geschäft umstellen. Und auch die Mehrwertsteuerreduzierung dürfte letztlich kaum ins Gewicht fallen. Das Außerhausgeschäft hat vielen auch nur zehn bis 20 Prozent des Umsatzes gerettet.
Kompromisse: Recht auf Vertragsanpassung
Was ist die zivilrechtliche Grundlage, um die Miete nicht zu zahlen?
§ 313 BGB gibt ein Recht auf Vertragsanpassung. Natürlich nur, wenn das Festhalten am Vertrag nicht zumutbar ist und Mieter und Vermieter Corona-Schließungen und Auflagen für den Re-Start geregelt hätten, wenn sie davon auch nur etwas geahnt hätten. Wer heute einen Pachtvertrag für ein Restaurant oder Ladengeschäft neu abschließt, wird regeln, wie beispielsweise mit einer zweiten Corona-Welle umzugehen ist. Der Mieter wird für Schließungsmonate Mietentfall fordern, der Vermieter wird die laufenden Kosten des Eigentums zum Beispiel Kreditkosten entgegenhalten. So findet sich ein fairer Kompromiss. Für laufende Verträge eröffnet § 313 BGB – Störung der Geschäftsgrundlage – die Verhandlungen. Und dieses Recht steht jedem zu.
Sie vertreten derzeit viele Hotels, wird da schon vor Gericht gestritten oder verhandeln Sie mit Vermietern?
Fast alle Immobilieneigentümer zeigen sich kompromissbereit. Natürlich gibt es traurige Ausnahmen. Dort wird es womöglich zum Streit kommen. Wir sehen die Mieter aber in der deutlich besseren Position – natürlich vom Einzelfall abhängig.
Corona-Betroffenheit: Für drei Monate Kündigungen ausgeschlossen
Kann mein Vermieter dann nicht einfach die Kaution behalten, wenn ich nicht zahle?
Das ist rechtlich kompliziert. Unterschiede bestehen schon bei der Art der Kaution – Barkaution oder Bürgschaft oder Kautionsversicherung – sowie in den Mietverträgen.
Muss ich nicht fürchten, rausgeschmissen zu werden, wenn ich die Miete nicht zahle?
Der Gesetzgeber hat schnell reagiert und für drei Monate Kündigungen ausgeschlossen. Voraussetzung ist natürlich eine Corona-Betroffenheit. Aber damit ist es nicht getan. Es müssen Lösungen auch für die kommenden Monate gefunden werden.
Was raten Sie Mietern?
Betroffene Unternehmer sollten bis zur Normalisierung des Geschäftes die Zahlung der Mieten unter dem Vorbehalt der Rückforderung vornehmen. Mieter und Vermieter sollten jetzt gemeinsam Lösungen finden. Konzentration auf Re-Start ist wichtig, aber beim Thema Miete sollte man nicht untätig bleiben.
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