Corona-Krise: Münchner Clubs und Bars im freien Fall

München - "Bis auf Weiteres geschlossen" steht auf dem Zettel an der massiven Eingangstür, die ins "Harry Klein" in der Sonnenstraße führt. Wo sonst Menschen tanzen, anstoßen und feiern, herrscht seit Mitte März wegen der Ausbreitung des Coronavirus' gähnende Leere. "Am meisten fehlt mir, die Musik zu hören. Wenn man den Bass fühlen kann, und zu sehen, was das mit den Menschen macht", sagt Betreiber David Süß.
Während Restaurants im Freistaat demnächst unter Auflagen wieder öffnen dürfen, ist für auf Getränkeausschank ausgerichtete Lokale bislang kein Ende der Corona-Zwangspause in Sicht. Die Not von Clubs, Bars und Kneipen ist groß. Die Hilfszahlungen der Staatsregierung halten Betreiber, Mitarbeiter und Verbände für dürftig. Im ganzen Land kämpfen Zehntausende Gastronomen um ihr Überleben.

30.000 Euro Soforthilfe reichen nur für zweieinhalb Monate
Das "Harry Klein" ist laut Statistik des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga eine von 320 Diskotheken im Freistaat, denen momentan die Perspektive einer nahen Wiederöffnung fehlt. Dieses Schicksal teilen demnach auch rund 3.700 Kneipen, 560 Bars und 900 "sonstige getränkegeprägte Gastronomiebetriebe". Etwa 37.000 Menschen sind landesweit in den genannten Lokalen beschäftigt.
Mit den Gästen bleibe der komplette Umsatz des normalen Tagesgeschäfts weg, sagt Süß. Seine zwölf Festangestellten hat er in Kurzarbeit geschickt, Dutzende Minijobber kann er aktuell überhaupt nicht bezahlen. Zwar habe es von der Landesregierung 30.000 Euro Soforthilfe gegeben, wegen der hohen Mietpreise für Club und Büro reiche das aber nur für zweieinhalb Monate.

Ministerium: Club-Öffnungen könne man noch nicht verantworten
Hat die Staatsregierung die Trinklokale vergessen? Nein, heißt es dazu vonseiten des Wirtschaftsministeriums – eine Wiederöffnung von Clubs, Bars und Kneipen könne man aber aktuell einfach nicht verantworten. "Wir müssen sehr vorsichtig vorgehen. Die derzeitige Lage lässt eine Öffnung noch nicht zu", sagt eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage.
Daniel Hahn betreibt im Schlachthofviertel das Kulturzentrum "Bahnwärter Thiel". Normalerweise erwartet die Besucher hier ein Potpourri aus Clubbetrieb, Theater und Ausstellungen – wegen Corona ist aber seit Wochen das Programm auf Eis gelegt. Auch Hahns zweites Kulturprojekt, das als Bar und Kulturbetrieb genutzte Schiff "Alte Utting", läuft seit Wochen nur auf Sparflamme.

"Wir haben wirklich kaum Einnahmen mehr, fast hundertprozentigen Ausfall. Und das jetzt zu einer Jahreszeit, die sonst die schwächeren Monate mitträgt", sagt Hahn. Die bewilligten Soforthilfen für die rund 300 Aushilfen, Werkstudenten und Festangestellten im Team beider Betriebe seien mit Stand Mitte Mai noch nicht angekommen.
"Es ist für die ganze Branche ein Albtraum"
Einzelschicksale seien das nicht, sagen beide Betreiber. Vielmehr befinde sich die gesamte Szene wegen der Pandemie im freien Fall. Das gelte aber nicht nur für die Betreiber und ihre Mitarbeiter, sondern auch für selbstständige Musiker und Künstler, die die Bühnen der Betriebe bespielten, betont Carola Kupfer, Präsidentin des Bayerischen Landesverbands der Kultur- und Kreativwirtschaft (BLVKK). "Es ist für die ganze Branche ein Albtraum."
Betreiber und Verbände fordern über die Soforthilfen hinausgehende direkte Hilfszahlungen in Form eines speziellen Rettungsfonds für die Branche. Andernfalls hätten viele Trinklokale kaum eine Chance, die Krise zu überstehen, heißt es in einer Mitteilung des Dehoga. Auch Pachtnachlässe und weitere Hilfszahlungen müssten erwogen werden.
"Wir müssten entschädigt werden, und zwar nicht über Kredite, die wir zurückzahlen müssen. Wir wollen einfach leben und überleben", sagt David Süß. Er kritisiert, dass Einzelselbstständige und Kulturschaffende beispielsweise im Vergleich zur Automobilindustrie viel beharrlicher um staatliche Unterstützung kämpfen müssen.
Corona-Regeln: 13 Gäste im "Harry Klein"
Der Staatsregierung sei der Hilfsbedarf der Branche durch die besonders langen Schließungen bewusst, betont die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. "Sowohl die Bundesregierung als auch die Bayerische Staatsregierung denken hier derzeit intensiv über mögliche Programme nach." Das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst verweist dazu außerdem auf ein von Markus Söder angekündigtes erweitertes Kulturhilfsprogramm.
Eine sofortige Wiederöffnung von Clubs, Bars und Co. hält David Süß trotz der finanziellen Sorgen für keine Option. "So lange die Infektionslage so ist, wie sie ist, kann man einen Club nicht sinnvoll betreiben", sagt er und rechnet vor: Normalerweise feiern im "Harry Klein" bis zu 267 Gäste auf 130 Quadratmetern – mit Berücksichtigung der Abstandsregelung von eineinhalb Metern dürften es im Augenblick nur 13 Gäste sein. "Das würde überhaupt keinen Sinn machen."

Was machen die Veranstalter, um in der Corona-Krise präsent zu bleiben? Um den Künstlern wenigstens virtuell eine Bühne zu geben, produziert Hahn mit seinem Team Livestreams. Auch im "Harry Klein" haben die Mitarbeiter ein technisches Set für Online-Streams installiert. Als einer von 40 Clubs in Bayern gehört der Technoclub zu der Plattform "United we stream" und überträgt regelmäßig Sets im Netz. Einnahmen werden solidarisch verteilt.
Die Gage für die Künstler falle aber im Vergleich zum normalen Tagesgeschäft sehr niedrig aus. Außerdem sei ein Stream nicht mit dem Gefühl der reellen Begegnung von Künstlern und Publikum zu vergleichen. David Süß steht auf der seit Wochen leeren Tanzfläche seines "Harry Kleins" und resümiert: "Das ist einfach nicht das, was wir machen wollen. Ich möchte, dass die Leute hier tanzen und hier Spaß haben. Ein Stream zuhause kann das niemals ersetzen."

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