Comeback der langen Nächte
Sexual-Therapeutin Gabriele Leipold (47) über die häufigsten Lustkiller, echte Krisen im Bett und darüber, wie Spaß und Sinnlichkeit zurückkommen
Das erste Vierteljahr ist das beste. Da begehren sich Frischverliebte hemmungslos und können die Hände kaum voneinander lassen. Doch wenn die rosa Brille abgefallen ist, wird’s merklich kühler im Liebeslager. „Nach zwei Jahren kriselt es in fast allen deutschen Betten“, sagt die Münchner Sexual-Therapeutin Gabriele Leipold. Nach 20 Jahren Praxis weiß sie: „Nach vier Jahren hat jedes dritte Paar fast keinen Sex mehr.“ Das muss aber so nicht bleiben. 80 von 100 Paaren, die Hilfe beim Sexberater suchen, nähern sich einander wieder an. Und mehr als die Hälfte schaffen es, wieder zärtlich miteinander zu sein. Was sind die größten Lustkiller in der Liebe? Wie kommen Spaß und Sinnlichkeit zurück? Die wichtigsten Tipps der Expertin:
Problem 1: SIE will nicht mehr, ER schon
Er möchte sie riechen, schmecken und lieben. Und sie? Hat wahlweise Kopfweh, Bauchweh oder – einfach keine Lust. Wieder mal. Das Problemthema Nummer Eins in deutschen Betten. Und in den Praxen der Sexualtherapeuten. Warum?
Die Lustkiller: Alltags-Müll: Im täglichen Job-Kinder-Küche-Stress hat sie vergessen, ihm nah zu bleiben. „Elternübertragung“: Er beschützt und maßregelt sie, und ist, unbemerkt, vom Geliebten in die Rolle ihres Vaters geschlüpft. Körperliche Arbeit: Die erschöpft und macht sie lustlos. Die Pille: Sie beraubt Frauen ihrer natürlichen Lustphasen. Die Schilddrüse: Eine Unterfunktion beeinträchtigt die Sexualhormone. Unerfüllte Phantasien: Sie träumt von Eiswürfelspielchen und davon, mit ihm sinnliche Filme zu sehen. Bloß, er ahnt von nichts.
So wird’s besser: Sexualtherapeutin Gabriele Leipold: „Gehen Sie vor wie ein Detektiv. Sprechen Sie darüber, wie der Alltag aussieht, strukturieren Sie Zeit, klären Sie Geldsorgen, räumen Sie den ganzen Alltagsmüll weg. Klären Sie hormonelle Probleme ab. Planen Sie gemeinsame Freizeit. Dringen Sie zu Ihren Gefühlen vor. Manchmal hat die Situation nichts mit dem Partner zu tun, sondern mit einer Vorgeschichte.“
Problem 2: ER will nicht mehr, SIE schon
Sie liebt das Kribbeln der Leidenschaft, fühlt sich körperlich angezogen von ihm, sehnt sich nach Zärtlichkeit und Sex. Aber er nicht. Warum?
Die Lustkiller: Schichtarbeit: Wenn er (als Arzt, Pfleger, U-Bahnfahrer, Pilot, Kameramann) die Nacht zum Tag machen muss, ist er erschöpft. Sex am Computer: Er schaut heimlich Sexfilme im Internet und legt Hand an sich selbst. „Stressfreier, effektiver und sauberer“ sei das als Sex mit einer Frau, sagen immer mehr Männer beim Therapeuten. Klar, dass nach so viel Vorarbeit daheim nichts mehr geht.
So geht’s besser: „Klären Sie, ob er sich sexuell überfordert fühlt. Stoppen Sie den Internet-Sexkonsum. Sprechen Sie über Sex-Phantasien, wagen Sie es, sich darauf einzulassen“, sagt Expertin Gabriele Leipold.
Problem 3: Einer dominiert den anderen
Der eine Partner ist passiver Genießer, der stetes Verwöhnen einfordert, der andere kommt immer mehr zu kurz. Der Lustkiller: Wer nur gibt und selten bekommt, verliert irgendwann die Lust am Verlangen des anderen.
So wird’s besser: „Sprechen Sie über Ihre Bedürfnisse – und die Ursachen. Wenn ein Mann von seiner Mutter früher rundumversorgt wurde, überträgt er diese Nehmer-Haltung später gern auf sein Sexleben. Viele Frauen, die Sex einfordern, suchen in Wahrheit nur Zuwendung und Anerkennung.“
Problem 4: ER kommt zu früh
Sie fängt gerade an, dahin zu schmelzen, da erreicht er schon den Zenit – und einen zu schnellen Samenerguss. Nach weniger als drei Minuten ist das schöne Liebesspiel vorbei, und die Enttäuschung ist groß.
Der Lustkiller: Angst: Er fürchtet womöglich unbewusst, jemand könnte ihm „zuvorkommen“. Anspannung: Er denkt beim Sex zu viel darüber nach, ob er es „gut“ macht und verliert den Kontakt zum Körper.
So wird’s besser: „Fragen Sie nach seinem Selbstwertgefühl. Fühlt er Eifersucht? Hat er Sorge, Sie zu verlieren? Findet er sie interessanter, begehrenswerter als sich selbst?“, sagt Gabriele Leipold. Wenn Sie mit ihm über diese Punkte reden, stabilisieren Sie sein Selbstwertgefühl.
Problem 5: ER kommt gar nicht
Eben noch lagen beide sich liebend in den Armen – da macht sein bestes Stück plötzlich nicht mehr mit.
Die Lustkiller: Hormonelle Probleme oder verengte Blutgefäße: Sie können eine stabile Erektion stören. Selbstbefriedigung: Wer schon satt ist, hat keinen Hunger mehr. Verunsicherung: Er fühlt sich nicht als „richtiger“ Mann.
So wird’s besser: „Klären Sie medizinische Ursachen. Fragen Sie, ob er ein gutes männliches Vorbild, eine Identifikationsfigur, eine stabile Vaterbeziehung hatte – oder wo er heute eine finden kann. Wer keine stabile männliche Identität hat, kann keine stabile Potenz entwickeln.“
Problem 6: SIE kommt nicht
Egal ob sie sich zärtlich, stürmisch oder hemmungslos lieben – sie kommt einfach nicht zum Höhepunkt. Viele jüngere Frauen wissen nicht, wie sich ein Orgasmus anfühlt.
Der Lustkiller: Die falsche Technik: Weil sie nie allein übt, kann sie ihm nicht sagen, wie er helfen kann. Missbrauch: Wer Gewalt in der Kindheit erfahren hat, spürt die Auswirkungen bis heute. Verklemmte Erziehung: Weil sie gelernt hat, dass Lust ein Grund zum Schämen ist, schämt sie sich heute noch.
So wird’s besser: Gabriele Leipold: „Lernen Sie, sich rundherum schön zu finden. Holen Sie sich Technik-Tipps von anderen Frauen und lieben Sie sich selbst.“ Klappt das nicht, könnte eine Therapie helfen.
Irene Kleber
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