Clown Sarah: "Wenn niemand lacht, ist das schon hart"

Wer sich mit ihr treffen will, darf nur ganz alte Schuhe anziehen: Der Weg zum Wohnwagen, der mehr nach Camping als nach Zirkus aussieht, ist ein einziger Schlamm-Marathon. Hier im Viehhof residiert jetzt Circus Roncalli bis zum 8. Dezember. Am heutigen Freitag findet die Premiere statt – und für die Eröffnung ist sie zuständig: Sarah Melbinger (25), eine der wenigen weiblichen Clowns weltweit. Die Münchnerin ist seit knapp zwei Jahren bei Roncalli. Erstmals tritt sie jetzt in ihrer Heimatstadt auf. Und erst seit kurzem hat sie ihren eigenen Wagen, der rechts hinter der Manege steht. Zwölf Quadratmeter ist er groß. Für Sarah Melbinger Luxus. Schließlich lebte sie davor auf fünf Quadratmetern, musste sich einen Wagen mit zwei Artisten teilen. In der AZ spricht sie über ihr Leben zwischen Lachen und Leidenschaft.
AZ: Frau Melbinger, warum machen Sie sich zum Clown?
SARAH MELBINGER: Schon als Kind, ich bin die Jüngste mit zwei Schwestern, wollte ich unbedingt auf die Bühne. Ich war schon immer ein Spaßvogel, wollte alle gern zum Lachen bringen. Als Teenie überlegte ich, Schauspielerin zu werden. Doch dann, als ich 15, 16 war, war Roncalli in München zu Besuch.
Ihr Schlüsselerlebnis?
Absolut. Mit meinen Eltern besuchte ich eine Vorstellung und es war so unfassbar toll. Vom ersten Moment an, wenn sie einem die Karte abreißen, taucht man in eine andere Welt ein. Die alten Zirkus-Wagen, es riecht nach gebrannten Mandeln – ich steh total auf diese Nostalgie, die Poesie, die alte Zeit. Ich liebe auch Trödel- und Flohmärkte. Plötzlich war mir klar: Ich will Clown werden.
Ziemlich ungewöhnlicher Berufswunsch...
... viele Leute schauen mich stutzig mit diesem Hast-du-Flöhe-Blick an, noch heute, wenn ich erzähle, was ich mache. Als wäre ich durchgeknallt oder durchgebrannt.
Wie wird man Clown?
Ich habe in München Theaterwissenschaften studiert und parallel mit einer Pantomime-Trainerin gearbeitet. Mehrmals die Woche hat sie mich privat unterrichtet. Das ging drei Jahre so, dann hab ich das Studium abgebrochen. Beides war nicht möglich, meine Pantomime-Leidenschaft größer. Ich habe auch selbst weitertrainiert, täglich Improvisieren und Spielen geübt. Habe gelernt, wie ich mich schminken muss.
Wie sieht eine Clown-Bewerbung aus?
Ich habe Bernhard Paul, dem Chef von Circus Roncalli, der ja selbst als Clown angefangen hat, Videos und Bilder von mir geschickt. Immer wieder. Irgendwann durfte ich bei ihm an der Kasse arbeiten.
Nicht unbedingt Ihr Ziel.
Immerhin konnte ich sehen, wie hart die Lebensbedingungen beim Zirkus sind. Aber es hat mich nicht abgeschreckt, sondern fasziniert. Nach sehr langen harten Monaten durfte ich Bonbons und Flyer verteilen – verkleidet. Für mich ein Riesen-Schritt. Ich war noch kein Clown, mehr so eine skurrile Figur, aber ich fand’s gut. Ich wollte die Zirkus-Welt immer mehr kennen lernen.
Was haben Sie gelernt?
Was für ein Luxus Intimität ist. Als ich in dem winzigen Wagen auf fünf Quadratmetern lebte, also da kriegt man viel mit, was man nicht mitkriegen will. Ich hatte nicht mal eine Heizung, traute mich nicht, zu fragen, wie es wärmer wird. Ich glaube, Herr Paul fand’s gut, dass ich nie gemeckert habe.
Heute sind Sie zuständig fürs Warm-Up. Ein kleiner Ritterschlag?
Es wurde ein Platz frei, die Idee kam von Herrn Paul. Er ist ein visueller Mensch, dachte sich die Putzfrauen-Figur aus, die ich dann ausgearbeitet habe. Neben mir gibt es fünf männliche Clowns, ich bin ja noch mehr so ein Clown-Azubi.
Warum gibt es so wenige weibliche Clowns?
Erstmal sterben Clowns leider aus. Ich finde es außerdem schlimm, als Clown-Frau bezeichnet zu werden. Ein Clown ist neutral, auch wenn es deutlich mehr Männer gibt. Das liegt daran, dass der Clown ein lange verteiltes Rollenbild hat. Es gibt den Dummen August, den Weißclown, aber keinen weiblichen Clown. Ich habe kein Vorbild, kann mich nicht wie die Männer an jemandem orientieren. Männer können mehr Comedy machen, Frauen sind anders komisch, subtiler.
Wie sieht Ihr Alltag aus?
Die halbe Zeit bin ich mit Schminken und Abschminken beschäftigt. Dazwischen trainiere ich – meinen Rücken, die Bauchmuskeln. Als Clown muss man fit sein, beweglich und gelenkig. Man kann einen krummen Rücken spielen, aber man darf keinen haben.
Das Schönste am Job?
So simpel es klingt: das Lachen. Wenn niemand im Publikum lacht, ist das schon hart.
Das Schlimmste?
Ich bin ein Familienmensch, aber neun Monate auf Tour. Das macht traurig, aber nicht einsam. Roncalli ist meine Zweitfamilie. Zirkus ist ein Biotop, eine beschützte Blase.
Wie viel verdient ein Clown?
Es gibt keine Clown-Tarifverträge. Mir wurde mal gesagt, dass die Standard-Gage eines Artisten 200 Euro beträgt – aber ob das stimmt? Darüber wird nicht gesprochen. Das Gefälle ist riesig. Ich bin froh, dass ich fest angestellt bin.
Ihr Traum?
Ich wünsche mir einfach, dass ich bleiben darf.