Claus Schreer organisiert die Siko: Der Unermüdliche

Auch heuer organisiert Claus Schreer den Protest – auf der Straße kämpft er seit 50 Jahren
MÜNCHEN Ruhe geben, das ist für Claus Schreer so abwegig wie mit Hillary Clinton bei einer Tasse Tee Gemeinsamkeiten zu finden. „Ich werde das immer machen“, sagt Claus Schreer und zückt sofort den Protest-Aufruf gegen die Sicherheitkonferenz, die er „Nato-Kriegstagung“ nennt. Und schon ist er wieder beim Thema, denn der 72-Jährige will ja eigentlich gar nicht über sich sprechen, sondern über Kriegstreiberei, über die Rüstungsindustrie und die wirtschaftlichen Interessen, die die Nato durchdrückt. Auch heuer wieder organisiert Schreer in München die Demo gegen die Konferenz – auf der Straße kämpft er aber schon seit 50 Jahren. Manche nennen ihn den „street fighting man“ Münchens, den „personifizierten Protest“, oder „Berufsdemonstrant“. Er selbst nennt sich einfach nur konsequent. Politischer Protest, das ist sein Lebensinhalt.
Ende der 50er ging es los, als man ihn zur Bundeswehr einziehen wollte. Er verweigerte, was damals keineswegs einfach war. Seine gewaltlose Gesinnung musste er in einer Anhörung beweisen, Schreer ließ sich aber beim ersten Mal zur Aussage hinreißen, dass ein Attentat auf Hitler schon gerechtfertigt gewesen wäre. „Dann behaupteten sie, ich sei ja gar kein gewaltloser Mensch.“ In nächster Instanz setzte sich Schreer dann doch durch – der Weg als Unbequemer war da schon längst eingeschlagen.
Aufgewachsen in Dachau mischte der gelernte Grafiker schon Anfang der 60er bei Demos mit, 1961 war er beim ersten Ostermarsch in München dabei: 150 Leute, die bei Regen zum amerikanischen Raketenstützpunkt in Ingolstadt marschierten, ab 1962 organisierte Schreer selbst die Märsche. „Zum ersten Mal verhaftet worden bin ich im April 1968“, das weiß er noch ganz genau. Das war die Springer-Blockade in der Schellingstraße, als man die Auslieferung der „Bild“ stoppen wollte. Immer wieder ist Schreer seitdem in der Ettstraße gelandet. Notstandsgesetze, Pershingraketen, Naziaufmärsche, Atomkraft, PKK-Verbot, Jugoslawienkrieg, Irak-Krieg, Hartz IV – Schreer war immer dabei, natürlich auch bei der legendären Demo gegen den Weltwirtschaftsgipfel 1992.
Verurteilt wurde er nur einmal, weil er gegen das Versammlungsgesetz verstoßen hatte. Das war 2002, als München die Demonstration gegen die Siko verboten hatte – ein Highlight in Schreers Leben als „Störer“. Damals gingen 10000 Menschen auf die Straße, um gegen des Demo-Verbot zu demonstrieren. „Das war toll, dass sich die Menschen das nicht gefallen lassen haben.“ Ein Jahr später war es noch toller – da waren 30000 gegen den Irak-Krieg auf der Straße. Für Schreer ist es im Grunde unbegreiflich, dass es nicht viel mehr Menschen so machen wie er. „Die Deutschen sind so gleichgültig. Sie demonstrieren ja nicht mal, wenn es um ihre persönlichen sozialen Probleme geht.“ Das will er ändern – immer noch und immer wieder.
Auch wenn viele über den alt gewordenen Protestler belächeln. „Früher war es schlimmer, da sind wir mehr beschimpft worden“, sagt er da nur. „Schreer ist ein Unermüdlicher“, sagt Konstantin Wecker, der oft mit ihm gemeinsam auf der Straße stand. „Er ist für die linke Szene Münchens ungeheuer wichtig und gerade für die Jungen ein Vorbild, weil er nie aufgegeben hat.“
Ein Amt wollte Schreer nie haben – obwohl er mal für den Bundestag kandidierte und für den Stadtrat auch. Doch die Suche nach dem machbaren Kompromiss ist sein Ding nicht. „Zu sagen: Dann bombardieren wir eben nicht mehr jeden Tag, sondern nur vier Mal die Woche – das reicht mir nicht.“
Deswegen halten ihn viele für einen Betonkopf. Frühere Weggefährten, die den „Marsch durch die Institutionen“ angetreten haben, aber auch junge gemäßigte Linke. Konstantin Wecker bewundert die Geradlinigkeit Schreers. „An Fischer und Schröder sieht man ja, wohin der Marsch durch die Institutionen führen kann – sie sind Unternehmensberater. Da ist mir einer wie Scheer lieber. Ohne eine gewisse Sturheit ändert sich doch nix.“
Heute lebt Schreer von einer kleinen Rente, die er sich als freischaffender Grafiker angespart hat. „Aber ohne die Unterstützung meiner Frau, die berufstätig ist, würde es nicht reichen“, sagt er. Ein paar Wochen im Jahr, im Urlaub, da kann es Schreer auch mal aushalten ohne Zeitung, ohne Aufrufe und Demos. Am liebsten auf Kreta. Also vielleicht doch ein gemächlicher Lebensabend unterm Olivenbaum? Schreer schüttelt den Kopf. „Ich würde mich dann wahrscheinlich dort einmischen“, meint er und hält sogleich einen Vortrag über Umweltverschmutzung in Griechenland. „Die haben überhaupt kein ökologisches Bewusstsein.“ Da müsste man dringend was machen. Tina Angerer