Claudia Stamm tritt aus Fraktion und Partei der Grünen im Landtag aus
München - Paukenschlag bei den bayerischen Grünen: Die Landtagsabgeordnete Claudia Stamm ist aus der Partei ausgetreten. "Ich habe lange mit mir gerungen, doch mir fehlt oftmals eine klare Positionierung der Grünen", sagt die 46-Jährige, bislang haushaltspolitische Sprecherin der Fraktion. "Ein Kurs, der so schwammig ist – mit dem kann ich nicht mitgehen."
Neben Stamm verließen auch Werner Gassner vom Ortsverband Zentral und der früheren München-Chef Nikolaus Hoenning die Grünen. Er liegt schon seit Jahren mit der Parteispitze über Kreuz.. Claudia Stamm, die ebenfalls nicht unumstritten ist, will als Fraktionslose im Landtag bleiben.
Für die Landesvorsitzenden Sigi Hagl und Eike Hallitzky sowie Fraktionschefin Katharina Schulze ist das ein Unding: "Bei der Landtagswahl haben die Wähler 18 Grüne-Abgeordnete gewählt. Wir halten es für geboten, dass sie ihren Sitz zurückgibt", sagen sie.
Stamm will eigene Partei gründen
Für viele Parteifreunde kam Stamms Ausscheiden überraschend – zumal die Austrittserklärungen erst am Morgen zugestellt wurden, kurz vor einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Sie habe Landeschef Eike Hallitzky noch anrufen wollen, ihn aber nicht erreicht, sagt Stamm. "Alle, die mir wichtig sind, habe ich per Mail oder WhatsApp informiert."
Gemeinsam mit den beiden anderen "Abtrünnigen" sowie Stephan Lessenich, Direktor des Instituts für Soziologie an der LMU und der Juristin Sabine Richly will die Tochter von Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) nun eine neue – noch namenlose – Partei gründen, die bei den nächsten Landtagswahlen an den Start gehen soll. "Wir wollen einstehen für Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit, für gesellschaftliche Vielfalt, ökologische Transformation und nachhaltige Friedenssicherung", sagen sie.
Stamm wirft den Grünen Anpassung vor
Eigentlich klassische Grünen-Themen, denen Stamm jedoch auf Bundes- wie auf Landesebene vorwirft, "Positionen aufzulösen, um sich smarter und kompatibler zu machen". Sei es in der Asyl-, der Friedenspolitik, bei der Erbschaftssteuer oder dem Teilhabegesetz.
Das führe dazu, dass viele Menschen nicht mehr wüssten, wen sie wählen sollen. "Beispiel Ehrenamtliche: Da kocht’s und brodelt’s, weil sich die Leute nicht gehört fühlen, von keiner Partei", sagt Werner Gassner. Unter anderem, weil in Baden-Württemberg mit grüner Beteiligung nach Afghanistan abgeschoben werde. "Das geht mir total gegen den Strich. Dazu kann ich nicht mehr stehen."
"Wo bleibt die Haltung?"
Auch beim Thema "Ehe für Alle", "eigentlich ein urgrünes Thema" lasse die Spitze die Betroffenen im Regen stehen. Gassner: "Von Cem Özdemir kommt da gar nichts." Dass die Grünen gefordert hatten, die Bundeswehr nach Syrien zu schicken, sei eigentlich undenkbar, sagt Stamm. "Und beim Bundesteilhabegesetz hatten wir einen eigenen Entwurf. Trotzdem haben sich die Grünen enthalten – wo bleibt denn da die Haltung?"
Eine langwierige Diskussion in der letzten Fraktionssitzung – auf der Agenda standen unter anderem die Nationalpark-Strategie der Partei und die Zweite Stammstrecke – sei das "I-Tüpfelchen" für ihren Entschluss zum Ausstieg gewesen.
Fraktionschefin Katharina Schulze reagierte überrascht und verärgert auf die Neuigkeit. "Wir bedauern den Austritt und gleichzeitig respektieren wir diesen Schritt", wiederholte sie wie ein Mantra auf einem (ebenso eilig) anberaumten Pressebriefing. Stamms Entscheidung habe sich nicht angekündigt.
Bedauern und Erleichterung nach Stamms Austritt
Eine Aufweichung grüner Standpunkte wies Schulze von sich. "Unsere politische Haltung ist klar: Ökologie und Weltoffenheit. Außerdem sind wir die erste Adresse, wenn es um den Schutz von Geflüchteten geht und arbeiten Hand in Hand mit den Helferkreisen." Auch das sagt sie mehrmals. Schon lange war parteiintern von einem persönlichen Konflikt Stamms mit Katharina Schulze die Rede gewesen.
Nun ist in der vorderen Riege der Öko-Partei teils die Rede davon, dass es „schade“ sei, dass Stamm geht – es gibt aber auch Erleichterung. "Besonders integrativ war sie ja nicht gerade", sagt einer. "Diese Haltung, dass sie die Einzige sei, die weiß, wie es läuft: Das hat viele genervt."
Viele verwiesen darauf, dass doch gerade bei den bayerischen Grünen Platz gewesen sei für die Positionen Stamms, etwa in der Asylpolitik. Auf Parteitagen habe sie auch Unterstützung erfahren. "Wenn wir in Baden-Württemberg bei Kretschmann wären, wäre es anders", hieß es, "aber hier stehen doch viele für linke Positionen."