Chritian Ude im AZ-Interview: "Und jetzt kommt die Freiheit"

AZ: Herr Ude, Sie waren 24 Jahre im Rathaus, fast 21 Jahre davon als Rekord-Oberbürgermeister, mehrmals Städtetagspräsident, wurden überall gefeiert – auch von CSU-Wählern. Jetzt fallen Sie am 1. Mai auf Null zurück. Wie fühlt sich das an?
CHRISTIAN UDE: Ich kann die Betrachtungsweise überhaupt nicht teilen. Es kommt nach den Jahren im Zwangskorsett eines überfüllten Terminkalenders die Freiheit. Wenn man über vier Jahrzehnte am Stück so ausgelastet war – als politisch tätiger Student, als Rechtsanwalt mit allabendlicher Mieterversammlung, als Bürgermeister und Oberbürgermeister –, dann ist es ein Riesengewinn an Lebensqualität, auf den ich jetzt schon fast ungeduldig warte.
Und worauf Freude Sie sich?
Mal ausschlafen zu dürfen, mal bei schönem Wetter einfach mit dem Radl durchs Isartal zu fahren oder einen Einkaufsbummel zu machen, Freunde einzuladen oder mit meiner Frau ins Kino oder Theater zu gehen. Und ich werde alle Einrichtungen, die in meiner Amtszeit geschaffen wurden, zum ersten Mal ausgiebig genießen können.
So wie Sie das schildern, ist Politik eine Sado-Maso-Veranstaltung.
Nein, man wird nicht ohne eigenes Zutun OB. Aber Ja, sie hat auch masochistische Züge, wenn ich an die Terminbelastung denke und an den Zwang, immer das selbe mehrmals zu hören, weil es in verschiedenen Gremien wiedergekäut wird.
Man hat aber nicht den Eindruck, dass es Ihnen etwas ausmacht, immer das Gleiche zu sagen.
Natürlich habe ich bestimmte Positionen, die ich nicht so beliebig wechseln kann wie andere Leute, die ich darum aber nicht beneide.
Wir bezweifeln, dass Sie einfach so ins Lenbachhaus gehen können, ohne nicht reflexartig eine Eröffnungsrede halten zu wollen...
Ich gebe ja zu, dass ich auch in Zukunft Artikel und Bücher schreiben werde, und dass ich sogar mit meiner Frau ein Filmprojekt verwirklichen will. Ich werde gelegentlich sogar auch als Redner auftreten.
In München gilt es als Höchststrafe, wenn man nach Ihnen eine Rede halten muss. Jetzt lüften Sie bitte das Geheimnis, wie Sie es schaffen, eineinhalb Stunden zu reden und dabei nicht mal auf einen Spickzettel schauen.
Die Weichenstellung war schon in der Schulzeit. Wir in der Theatergruppe wussten: Wir haben keinen Zettel, wir müssen frei sprechen. Andere glauben, ein Manuskript vorlesen oder auswendig lernen zu müssen. Aber in meiner Vorstellung ist eine Rede immer ein spontanes Gespräch mit dem Publikum. Man muss aber eine ganz klare Gliederung haben und eine Vorstellung vom Schluss. Die Schlusspointe habe ich wörtlich im Kopf.
Muss Ihr Nachfolger Dieter Reiter befürchten, dass Sie zu seinem Dauerratgeber werden?
Nein. Er ist in seinem Leben von mir bei drei wichtigen Entscheidungen beraten worden: Dass er stellvertretender Stadtkämmerer wurde, bevor er zum Wirtschaftsreferenten gewählt wurde und bei seiner OB-Kandidatur. Wir beraten uns wechselseitig, aber unter vier Augen und garantiert nicht über Zeitungskolumnen. Aber die SPD wird manchen Rat lesen müssen.
Zwei Ihrer Vorgänger haben sich bei Ihnen massiv eingemischt: Hans Jochen Vogel 2000 mit seinem Bürgerbegehren „Rettet den Olympiapark“ – gegen Ihren Plan, das Stadion umzubauen. Und Georg Kronawitter hat Sie 2004 im Hochhausentscheid besiegt. Was wird ihr Engagement sein?
Ich werde garantiert kein Bürgerbegehren einleiten. Solange vernünftige Politik im Rathaus gemacht wird. (Er lacht herzhaft.) Dieses Drohpotenzial gibt man nicht aus der Hand, auch wenn ich nicht scharf darauf bin, an Infoständen Unterschriften zu sammeln.
Vorher gibt es aber noch die größte Abschiedssause, die das Rathaus je erlebt hat. Man hört von 2300 geladenen Gästen im Deutschen Theater...
Nein, nein, es sind nur 1300 – ein kleiner Rahmen (lacht). Ich sehe da gar kein Problem. Sie glauben nicht, wie viele Beschwerden meine Mitarbeiter jetzt schon entgegennehmen müssen von Leuten, die nicht oder nicht mit Ehegatten eingeladen worden sind.
Jetzt sind Sie nicht als jemand bekannt, der Selbstzweifel hat. Sehen Sie trotzdem Fehler in Ihrer Amtszeit?
Ja. Ein Fehler war zum Beispiel Olympic Spirits, das inzwischen gemeinsam verdrängte Fehlvorhaben, bei dem die Sportarten der Olympischen Spiele digital an Bildschirmen probiert werden können. Das war vom ersten Tag an ein richtiger Flop. Dann würde ich mit meiner Erfahrung von heute nicht mehr in den Aufsichtsrat eines Fußballclubs gehen ... ...
wie Sie es bei bei Ihrem TSV 1860 gemacht hatten ...
... weil die Sachlichkeits- und Abwägungspflichten eines Kommunalpolitikers mit Fanwünschen unvereinbar sind. Da geht es nicht um Argumente, sondern um ein quasi religiöses Bekenntnis. Und einem Löwen-Fan kann man nicht ausreden, einen eigenen Palast zu bauen, wenn man die Miete im alten Haus nicht mehr zahlen kann. Die finden das schlüssig. Ich will aber nicht den Löwen-Fan in mir verleugnen.
Sport ist eben ein anderes Spielfeld.
Außerdem würde ich heute nicht mehr ein Jahrzehnt lang für eine Olympiabewerbung kämpfen. Weil es am Ende überhaupt nicht um die Qualität der Bewerbung geht, auch nicht um die segensreichen Wirkungen durch die Verkehrserschließung oder den Wohnungsbau.
Sondern?
Wir haben die Olympiabewerbung nicht in Garmisch und nicht in München verloren, sondern in Katar und Sotschi, das steht für mich fest. So lange diese Gigantomanie besteht, so lange eine Fußball-WM in der Wüste beschlossen wird, können Sie hier mit keiner Zustimmung rechnen.
Ein Bewerber, der nicht die Natur ruiniert und kein Schmiergeld zahlt, ist der Gelackmeierte?
So schaut’s aus.
War die zweite Bewerbung im vorigen Jahr also falsch?
Die zweite Bewerbung ist fachlich unangreifbar gewesen. Die Negativwelle kam von den Entscheidungen für Katar und Sotschi.
Wenn man auf ihrer Webseite Ihre Erfolge anschaut, muss man ein paar Meter nach unten scrollen, um alles zu lesen.
20 Punkte. Das ist für 20 Jahre Amtszeit doch vollkommen angemessen!
Reden wir mal über die Misserfolge. Sie haben drei Bürgerbegehren verloren, zum Beispiel die Abstimmung über die Frage der Tunnel am Mittleren Ring. Dabei nehmen Sie für sich in Anspruch, ganz nah an den Bürgern dran zu sein.
Ein Bürgerentscheid ist kein Instrument des Oberbürgermeisters, denn der hat ja schon die Mehrheit im Stadtrat. Es ist ein Instrument der Gegner, die sich gegen die offizielle Politik durchsetzen wollen. Wir haben aber auch mehrere Entscheide gewonnen, zum Beispiel für den Wohnungsbau. Oder beim Stadion.
Bei den Tunnels haben Sie Ihre Meinung geändert und sind richtiger Fan geworden...
Die lösen tatsächlich nach wie vor nicht alle Verkehrsprobleme, wie man jetzt am Englischen Garten sieht. Die finanziellen Lasten gibt es auch immer noch. Aber der Bürgerentscheid war deshalb gut, weil er einen ewigen Streit beendet und die Grünen danach einer Steuererhöhung für das Projekt zugestimmt haben. Das hätte sonst nie geklappt.
Sind Sie eigentlich dünnhäutiger geworden in den letzten Jahren? Wir haben den Eindruck.
Wirklich? Ich erinnere mich eigentlich nur an eine Situation, in der ich gesagt habe: Ich muss mir nicht alles gefallen lassen. Das war 2004, da gab es Probleme mit der eigenen Partei und außerdem die Korruptionsaffäre um das Stadion. Das war die einzige Phase, in der es die Überlegung gab: Man kann auch aufhören. Dünnhäutig wurde ich auch ein bisschen bei der Spitzenkandidatur, weil manche Medien die politischen Inhalte der Opposition nicht berücksichtigen wollten. Das hat mich richtig geärgert.
Hing das auch mit verletzter Eitelkeit zusammen, weil Sie plötzlich einen ungewohnten Gegenwind gespürt haben?
Sicher. Obwohl ich gewusst habe, dass das ein David-gegen-Goliath-Match wird.
Gab es in den 20 Jahren Momente, in denen Sie sich richtig verbiegen mussten und gegen Ihre Überzeugung gehandelt haben?
Ich bilde mir ein, dass ich nie das Gegenteil meiner Überzeugung getan habe. Dass man oft aber etwas verschweigt, was man sagen müsste – das ist sicher wahr.
Ein Opfer Ihres Abgangs wird Ihr Double Uli Bauer.
Nicht sofort. Wir planen eine gemeinsame Abschiedstournee durch Deutschland.
Herr Ude, was bleibt von Ihrer Ära bestehen?
So etwas soll man selbst nicht beurteilen. Dafür gibt es in München fünf Zeitungen und über eine Million Bürger.