Christine Strobl: Nicht alles besser wissen, nur weil man Chefin ist ...

Abschied nach 30 Jahren: SPD-Bürgermeisterin Christine Strobl über die Geräuschkulisse am Marienplatz, Bittbriefe – und die Frage nach ihrem Lieblings-OB.
Irene Kleber |
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Die letzte Vollversammlung vor der Wahl: OB Dieter Reiter (m.) zwischen seinen Bürgermeistern Manuel Pretzl (CSU) und Christine Strobl (SPD).
Daniel von Loeper 3 Die letzte Vollversammlung vor der Wahl: OB Dieter Reiter (m.) zwischen seinen Bürgermeistern Manuel Pretzl (CSU) und Christine Strobl (SPD).
Dezember 2011: Christine Strobl, wo sie immer gern ist – im Tierpark Hellabrunn. Hier tauft sie den kleinen Elefanten Ludwig.
Daniel von Loeper 3 Dezember 2011: Christine Strobl, wo sie immer gern ist – im Tierpark Hellabrunn. Hier tauft sie den kleinen Elefanten Ludwig.
Mai 2006: Bürgermeisterin Christine Strobl gibt im Olympiapark den Startschuss zum Münchner Firmenlauf und joggt dann 6,75 Kilometer mit.
Petra Schramek 3 Mai 2006: Bürgermeisterin Christine Strobl gibt im Olympiapark den Startschuss zum Münchner Firmenlauf und joggt dann 6,75 Kilometer mit.

München - Ihr Bürgermeisterbüro im Rathaus liegt hell in der Sonne. Vor den Fenstern ragt der Alte Peter auf, vom Marienplatz dringen leise Geräusche herauf in den zweiten Stock. An der Stirnseite, auf blitzsauberem Parkett, steht Christine Strobls Schreibtisch ziemlich aufgeräumt.

Auf einem Sideboard eine goldene Nofretete-Statue, Mitbringsel einer ägyptischen Delegation. In der Ecke ein Baustellenschild, auf dem ein Mädchen mit Pferdeschwanz schaufelt. Daneben ein handgenähtes Münchner Kindl. Viel mehr Deko gibt es nicht in diesem gut 50 Quadratmeter großen Zimmer 213, das nun 14 Jahre Christine Strobls zweites Zuhause war, nur ein paar Schritte vom OB-Büro entfernt.

Am 30. April, ein Donnerstag, wird Münchens Dritte Bürgermeisterin (59) es räumen. Dann wird Schluss sein mit 14-Stunden-Arbeitstagen. Mit an die 100 Reden im Jahr. Schluss mit der Politik in Münchens Zentrum der Macht – nach 30 Jahren im Rathaus.

AZ: Frau Strobl, noch sechs Wochen bis zu Ihrem letzten Arbeitstag am Marienplatz. Wie groß ist die Freude?
CHRISTINE STROBL: Ich schreie nicht nur Hurra, das wäre ja furchtbar. Es ist schon ein Privileg, jeden Tag mit Blick auf den Alten Peter dazusitzen, zu hören, wie sich die Geräuschkulisse am Marienplatz übers Jahr verändert, der klingt ja im Sommer ganz anders, als wenn Christkindlmarkt ist. Das ist schon toll.

Wehmut?
Ein bisschen Wehmut ist schon dabei.

Was nehmen Sie zur Erinnerung mit nach Hause aus diesem Büro?
Viele Akten sind schon in der Registratur. Meine persönliche Ablage mit Zeitungsartikeln oder Zahlen wird entsorgt. Aber mein Baustellenschild hier nehme ich mit.

Sind Sie das da drauf – mit Pferdeschwanz, die die Berge von Arbeit abträgt?
Na, passen würde das. Ich hab's vor gefühlt einem Jahrzehnt von der Gleichstellungsstelle bekommen. Als Symbol, wie viel Arbeit es bei dem Thema noch zu tun gibt. Die Baustelle ist quasi noch nicht fertig. Das Schild war immer wieder ein Ansporn für mich.

Da hinten steht ein Pilgerweg-Schild mit Pfeil aus dem Fenster raus. Möchten Sie künftig pilgern gehen?
Nein, also sowas mache ich nicht. Das steht da seit dem Papstbesuch.

Strobl nahm an über 2.000 Sitzungen teil

Unter Christian Ude und Rot-Grün waren Sie acht Jahre Bürgermeisterin, unter seinem Nachfolger Dieter Reiter in der rot-schwarzen Groko nun sechs Jahre. Welcher Abschnitt hat Ihnen mehr Spaß gemacht?
Beide. In meinem Aufgabenbereich Soziales, Sport, Schule war die Zusammenarbeit mit dem Stadtrat immer gut. Es hat auch keinen Einschnitt gegeben, als der Koalitionspartner gewechselt hat. Wir haben ja eine andere CSU als die, mit der ich 1990 angefangen habe.

Wo vor allem fällt Ihnen das auf?
Nehmen wir mal die heftige Auseinandersetzung 1993, als die CSU die Gleichstellungsstelle abschaffen wollte. Sowas wäre kein Thema mehr jetzt.

Die letzte Vollversammlung vor der Wahl: OB Dieter Reiter (m.) zwischen seinen Bürgermeistern Manuel Pretzl (CSU) und Christine Strobl (SPD).
Die letzte Vollversammlung vor der Wahl: OB Dieter Reiter (m.) zwischen seinen Bürgermeistern Manuel Pretzl (CSU) und Christine Strobl (SPD). © Daniel von Loeper

Womit haben Sie in den Bürgermeisterjahren die meiste Zeit verbracht?
Mit Sitzungen, schätze ich, es werden an die 2.000 gewesen sein. Ausschusssitzungen, Aufsichtsratssitzungen, Arbeitskreissitzungen, Kommissionssitzungen.

Ihr Vorzimmer sagt, Sie hätten auch um die 40.000 Bürger-Anliegen beantwortet. Aber nicht alle selbst, oder?
Doch. Ich lese jede Post, die reinkommt. Die Antworten erfolgen abgestimmt mit der Verwaltung. Und manchmal, wenn die Leute mich dann auf der Straße ansprechen, erinnere ich mich sogar an ihren Brief.

Um welche Sorgen ging es meistens?
Lange war das Thema Kinderbetreuung virulent. Das hat aber seit ein, zwei Jahren sehr nachgelassen, weil wir seither viel mehr Kitaplätze gebaut haben. Jetzt geht es oft um Sorgen ums Wohnen. Und um soziale Notfälle.

Welcher Fall hat Sie am meisten berührt?
Einzelfälle kann ich hier natürlich nicht erzählen. Es geht oft um Sorgerechtsfälle, um Kinder-Inobhutnahmen. Oder jemand fliegt aus der Wohnung und braucht dringend Unterstützung. Jemand bekommt sein Geld vom Amt nicht, weil das Wochenende naht. Es gibt einige harte Schicksale in dieser Stadt. Das geht mir schon nah, und natürlich habe ich etliche Fälle gedanklich auch mit nach Hause genommen.

Strobl hat schon mögliche Nachfolger im Blick

Zu Ihren Erfolgen gehört das größte Schul- und Kita-Bauprogramm der Republik, das Sie 2014 in München angeschoben haben.
Stimmt. Dem Stadtrat die Riesensumme von 6,5 Milliarden Euro dafür zu entlocken, war schon toll. In den Jahren davor konnte man einfach merken, dass viele Schulen mit Einzelproblemen daherkamen. Da waren die Toiletten marode, dort wollte man eine Turnhalle oder mehr Klassenzimmer haben. Dazu kam das Wachstum an Schülerzahlen. Es war schnell klar, dass man da mit Klein-klein nicht mehr weiterkommt, sondern es brauchte einen großen Wurf und ein schnelleres Tempo in der Verwaltung.

Aktuell baut und plant die Stadt 16 Gymnasien, neun Realschulen, fünf Berufsschulzentren, 27 Grundschulen, 69 Kitas und 69 Pavillonanlagen. Geht das schnell genug, gemessen an den steigenden Kinderzahlen?
Ich denke ja. Die Verwaltung ist gut aufgestellt für diese Aufgabe.

Dezember 2011: Christine Strobl, wo sie immer gern ist – im Tierpark Hellabrunn. Hier tauft sie den kleinen Elefanten Ludwig.
Dezember 2011: Christine Strobl, wo sie immer gern ist – im Tierpark Hellabrunn. Hier tauft sie den kleinen Elefanten Ludwig. © Daniel von Loeper

Was war Ihr schönster Moment im Amt?
Alle die Momente, in denen ich jemandem wirklich helfen konnte. Vor zwei Wochen erst kam eine Dame auf mich zu, die ich vor Jahren mal unterstützt habe, und hat sich so mitreißend bedankt. Das sind schöne Momente.

Nun machen Sie Platz – wer soll denn jetzt in Ihre Fußstapfen steigen?
Jemand aus meiner Fraktion, natürlich. Ich sehe da drei Leute, mag aber keinen Namen nennen.

Was werden die größten Aufgaben sein für Ihre Nachfolgerin oder den Nachfolger?
Personal finden, nicht nur für Kitas. Es nützt ja wenig, wenn wir bauen, aber wegen fehlendem Personal keine Gruppen öffnen können. Und dann kann ich nur raten: Achtet auf die armen Münchner. Schaut darauf, dass die Schere zwischen den Armen und Reichen nicht noch weiter aufgeht.

Welche Tipps geben Sie für den Start mit?
Man sollte nicht glauben, dass man alles besser weiß, nur weil man die Chefin ist. Wir haben viele gute Leute in der Verwaltung, die mit Details vertraut sind. Auf die sollte man auch mal hören.

Strobl will erstmal "gar nichts" machen

Bei aller Wehmut, was werden Sie in Zukunft nicht vermissen?
Die 32 Grad in meinem Büro im Sommer. Wir liegen auf der Südseite, da knallt die Sonne so rein – das ist Wahnsinn.

Sie haben im Herbst eine Abschiedsrede angekündigt. Wem wird die nicht gefallen?
Ich weiß gar nicht, ob eine Abschiedsrede vorgesehen ist. Aber für den Fall, dass ja: Ich war immer relativ offen, ich brauche zum Schluss keinem mehr die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Und manchmal ist es auch vernünftiger, Dinge für sich zu behalten.

Mai 2006: Bürgermeisterin Christine Strobl gibt im Olympiapark den Startschuss zum Münchner Firmenlauf und joggt dann 6,75 Kilometer mit.
Mai 2006: Bürgermeisterin Christine Strobl gibt im Olympiapark den Startschuss zum Münchner Firmenlauf und joggt dann 6,75 Kilometer mit. © Petra Schramek

Was also kommt nach dem 30. April?
Ich mache erst mal gar nichts und dann schaue ich mal.

Von einer 70-Stunden-Woche runter auf Null? Das geht doch gar nicht...
Doch, und wie das geht.

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