Interview

Christian Ude wird 75: "Ich träume einfach nur davon, dass es noch lang so weitergehen kann"

Am Mittwoch wird Alt-OB Christian Ude 75 Jahre alt. In der AZ spricht er über das Leben als Rentner, seine Wünsche fürs Alter, Schwabing – und darüber, was er heute als junger Mann anders machen würde.
von  Felix Müller
"Erstmal ein Anlass zum Feiern!": Christian Ude kurz vor seinem 75. Geburtstag draußen am Kaiserplatz.
"Erstmal ein Anlass zum Feiern!": Christian Ude kurz vor seinem 75. Geburtstag draußen am Kaiserplatz. © Bernd Wackerbauer

München - Ein goldener Herbsttag, draußen am Kaiserplatz schlendernde Rentner, schlendernde Mütter, irgendwie scheint hier an einem ganz normalen Freitagmorgen jeder die Zeit zu haben, den Tag in Ruhe anzugehen. Drinnen empfängt der Hausherr, Cordsakko, ein singendes Lachen wie eh und je. Hier, mitten in Schwabing, ist Christian Ude groß geworden. Hier, mitten in Schwabing, wird er nun alt. Am heutigen Mittwoch feiert er seinen 75. Geburtstag.

AZ: Herr Ude, was haben Sie früher unterschätzt am Älterwerden, was fällt schwerer als gedacht?
CHRISTIAN UDE: Uns geht es doch heute beim Älterwerden viel besser, als das früher der Fall war. Früher waren Rentner abgestempelt, sollten Ruhe geben. Heute geht es vielen auch gesundheitlich viel besser. Ich habe viele Vorbilder beim Älterwerden. Zum Beispiel Hans-Jochen Vogel, der jenseits der 80 nochmal richtig Gas gegeben hat. Er hat sich früh aufs Altwerden eingerichtet. Aber auch beschlossen, aktiv zu bleiben.

Hans-Jochen Vogel ist gemeinsam mit seiner Frau früh in die Seniorenresidenz gezogen.
Mir ist im Augustinum oft erzählt worden, dass er nach dem gemeinsamen Abendessen mit dem Taxi zum Hauptbahnhof gefahren sei. Dann stieg er in den Nachtzug nach Berlin. Am nächsten Tag gab er drei Fernsehinterviews, fuhr mit dem nächsten Nachtzug wieder zurück und hat dann beim gemeinsamen Frühstück wieder teilgenommen. Als stilles Abtreten kann man sowas wirklich nicht bezeichnen.

Hans-Jochen Vogel hat auch jenseits der 90 noch Bücher geschrieben. Wird das bei Ihnen auch so sein?
Jenseits der 90 – das ist schon noch sehr weit weg. Aber im Moment sind Bücher in Arbeit.

"Die Gesellschaft hat in vielem verpasst, die Älteren einzubinden"

Wollen Sie selbst hier in Schwabing wohnen bleiben, so lange es irgendwie geht?
Wir sind fest entschlossen, hier nie mehr einen Auszug zu machen. Wir müssen uns das organisieren.

Sie brauchen mehr Hilfe?
Wir haben eine Haushaltshilfe. Aber ich merke es auch an anderer Stelle. Ich fühle mich wohler, wenn ein Enkel dabei ist, wenn ich Fahrrad fahre.

Was hilft der praktisch?
Noch nichts. Aber wenn ich ausrutschen oder stolpern würde, wäre sofort jemand da. Das beruhigt.

Sie haben mir mal erzählt, wie schwierig der Start ins Rentendasein war. Sie hätten nicht gewusst, wie man einen Zug raussucht, eine Fahrkarte kauft. Aus der Sicht des 75-Jährigen: Ist es nicht absurd, in so einer Politik-Blase gelebt zu haben? Da draußen kann man doch keinem erklären, dass Sie keine Fahrkarte kaufen können.
Das ist schon richtig. Aber es geht mir bis heute so. Das Erwerben eines Flugtickets finde ich so kompliziert, da muss immer jemand Jüngeres aus der Familie helfen. Und dieses Netz-Banking, oder wie heißt das nochmal?

Online-Banking.
Genau. Das habe ich immer noch nicht. Man muss aber auch sagen, dass die Gesellschaft da in vielem verpasst hat, die Älteren einzubinden. Mit einem Handy telefonieren kann jeder, große Dateien irgendwo hochladen nicht.

Wenn Sie hier draußen auf den Straßen unterwegs sind, wo viele reiche Ältere zu sehen sind: Ist Schwabing überhaupt noch ein Zustand?
Ach, die Alterung sieht man ja in allen Stadtteilen. Aber wir haben hier gleich einen Spielplatz, wir wachen morgens mit Kinderlachen auf. Wohlstand geht ja oft auch einher mit Kindersegen. Aber natürlich merkt man auch, dass wirtschaftlich Schwächere weg- und Geldigere herziehen.

Christian Ude beim Interview mit AZ-Lokalchef Felix Müller daheim in seinem Wohnzimmer in Schwabing.
Christian Ude beim Interview mit AZ-Lokalchef Felix Müller daheim in seinem Wohnzimmer in Schwabing. © Bernd Wackerbauer

Ude: Die Sache verändern – nicht die Sprache

Wie steht es um das Schwabinger Kulturleben?
Die Szene ist nach wie vor größer als anderswo.

Haben die Schanigärten Schwabing gut oder schlecht getan?
Sie haben eine Wunderwirkung. Für die Wirte ist der Sommer keine schlechte Zeit mehr. Es hat dem Straßenbild gutgetan. Es ist nun auch von Gastlichkeit und geselligen Leuten geprägt, weniger von Autos.

Sie sind kein Anwohner-Rentner, der sich über Lärm beschwert?
Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich ärgere mich, dass die Schanigärten nicht meine Idee waren.

Sie fremdeln sehr mit vielen Debatten dieser Jahre, wenn es um politisch korrekte Sprache geht zum Beispiel. Christian Ude gegen die jungen Progressiven – wie konnte es soweit kommen?
Ich sehe es ganz anders. Ich bin nach wie vor mehr bei den jungen Rebellen. Ich bin doch gegen das neue Spießertum! Es ist lächerlich, wenn ein Nachrichtensprecher keinen flüssigen Satz mehr sagen kann, weil er bei jeder Gruppierung, die Männlein und Weiblein umfasst, die Sprache abhacken muss. Ich kenne auf jeden Fall keine Ärztin, die sich beleidigt fühlt, wenn ich sage: Ich gehe zum Arzt.

Was stört Sie so sehr an diesen Debatten?
Der Hunger nimmt in Afrika zu wie seit Jahrzehnten nicht. Und wir stecken politische Energie in die Umbenennung eines Hotels Drei Mohren. Das sind doch sprachliche Feinheiten. Ich finde nach wie vor progressiv, dass ich die Sache verändern will – und nicht die Sprache.

"Ich bin sehr skeptisch, ob ich Olympia in der Stadt nochmal erlebe"

Der junge Christian Ude würde nicht mit dem alten Christian Ude fremdeln?
Nein. Nicht in diesen Fragen. In allen Fragen etwa der Freiheit und der sexuellen Toleranz bin ich genauso eingestellt wie früher. Ich sehe nur neue Formen der Spießigkeit bei den Jungen, ein Moralisieren und Abkanzeln, auch wenn es darum geht, wer was isst oder anzieht.

Wenn man zehn Jahre zurückdenkt: Ihre Rathaus-Regierung war ein 68er-Generationenprojekt, an den Schalthebeln ein Mieteranwalt, ein alter Hausbesetzer, der Rock'n'Roller Hep Monatzeder. Heute verbindet Grün-Rot viel weniger, oder?
Ja, das war damals eine rot-grüne Generation, das sehe ich wie Sie. Und es gab eine viel stärkere Ausrichtung, es gab ja auf der anderen Seite auch eine schwarz-gelbe Bevölkerungsschicht.

Viele Münchner Funktionsträger Ihrer Partei würden heute wohl lieber pragmatisch mit der CSU koalieren als mit den Grünen.
Die gibt es auf jeden Fall. Die Lager haben sich eben verwischt.

Bei Ihrem Abschied als OB haben Sie die Politik Ihres Nachfolgers kritisiert und damit gewaltig Staub aufgewirbelt. Aus dem Blick des 75-Jährigen: Schade, dass Ihr Abschied nicht besser geglückt ist?
Ich habe nur einen Punkt kritisiert: dass die SPD das Amt des Kreisverwaltungsreferenten im Vorbeigehen abgeben wollte, was für zwei Jahrzehnte so wichtig war für die Liberalität der Stadt. So ist es dann ja auch nicht gekommen.

Aber?
Betroffene der Kritik konnten es schwer verkraften. Aber aus der Stadtgesellschaft habe ich nicht die geringste Trübung meines Abschieds wahrgenommen.

Was war Ihre größte Fehleinschätzung in Ihrer Amtszeit?
Dass die Gegenstimmen größer sein könnten als der deutsche Sport, die Landesregierung, der Bundestag, die alle hinter einer Olympiabewerbung standen, konnte ich mir nicht vorstellen.

Werden Sie noch Olympische Spiele in München erleben?
Da bin ich sehr, sehr skeptisch.

Sie haben über München mal gesagt, Ihr Schreckensbild sei, wenn es eine Allerweltsstadt würde. Sind Sie sehr besorgt?
Ach, das ist auf manche Sektoren beschränkt. Im Einzelhandel zum Beispiel mit der Vereinheitlichung. Man sieht gar nicht mehr, ob man in Skandinavien oder auf Sizilien ist. Der familiengeführte Laden stirbt aus. Und in der Architektur verstehe ich immer weniger, warum wir immer noch Glaskästen bauen. Die Ökologen sagen, das ist der letzte Unsinn. Im Sommer ist es zu heiß und im Winter immer schwerer zu beheizen. Da haben die Erbauer von Alt-Schwabing doch mehr Ahnung gehabt mit den dicken Wänden – und mit Bäumen, die Schatten spenden.

Sprechen wir über Ihren 75. Geburtstag. Bedeutet der Ihnen etwas?
Ja! Erstmal ist es ein Anlass zum Feiern, was ich ja schon immer gerne gemacht habe. Dann ist 75 schon eine Zäsur, das merkt man. Man überlegt, was alles noch stattfinden wird und kann. Die weltpolitische Lage verdüstert sich ja leider eher, da werden Erwartungen bescheidener.

"Ich würde als Junger nicht wieder jeden Abend zur SPD gehen"

Für Sie persönlich: Wovon träumt der 75-jährige Christian Ude noch?
Ehrlich gesagt davon, dass alles so lange wie möglich noch so bleibt, wie es ist.

Eben, dass Sie hier wohnen bleiben können?
Ja, genau. Eben, dass wir als Großfamilie mit vielen Freunden und all unseren kulturellen Beziehungen so weitermachen können. Ich habe keinen Wunsch nach Veränderung mehr. Insofern bin ich konservativer geworden. Früher wollte ich die Welt verändern, heute bin ich froh, wenn sich so wenig wie möglich ändert.

Wie oft sind Sie noch auf Mykonos?
Dieses Jahr zwei Mal. Ich mache das nicht mehr, um den Stress aus München abzubauen, ich mache ja nur noch, was mir Freude macht. Bücher schreiben oder einen Kurs geben – für andere ist das vielleicht Arbeit. Nach Mykonos fahren wir, um Mykonos zu genießen.

Wie war das als junger Mann: Wollten Sie nie länger wegziehen aus München, mal raus in die große Welt?
Nie! Ein bisschen bereue ich natürlich heute, dass ich als junger Mann nach dem Abitur schon in so viele Aktivitäten verwickelt war.

Das würden Sie heute anders machen?
Ganz sicher. Ich würde nicht mehr jeden Abend auf einer SPD-Veranstaltung verbringen. Das wäre kein Lebensentwurf mehr für mich – abgesehen davon, dass es auch gar nicht mehr so viele SPD-Veranstaltungen gäbe. Heute wäre es mir wichtiger, ins Ausland zu gehen.

Welche Städte wären gut gewesen für den jungen Christian Ude?
Berlin und Wien finde ich schon immer wahnsinnig interessant. Paris, Istanbul und vor dem Brexit auch London. Es ist faszinierend, andere Welten zu sehen. Auch wenn ich mich hier in Schwabing am wohlsten fühle. Und das ist natürlich immer noch der Fall.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.