Christian Ude im Interview: „Es hat seinen Reiz, dass es mal vorbei sein wird“
Hier spricht OB Ude über das nahende Ende seiner Amtszeit, den möglichen Nachfolger, Olympia-Widerständler in Garmisch und einen Auftritt von Seppi Schmid, den er peinlich findet
AZ:Herr Ude, wie zufrieden sind Sie mit diesem Jahr?
CHRISTIAN UDE: Es war ein recht gutes Jahr für München. Vor allem wirtschaftlich gesehen war es besser als sämtliche Prognosen. Aber es gab auch mindestens zwei strapaziöse Themen, die einige Wochen belastet haben. Nämlich zum einen die Sterilgut-Affäre an den städtischen Krankenhäusern und zum anderen die Streitigkeiten in der Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen um Grundstücksfragen für unsere gemeinsame Olympia-Bewerbung. Beide Ereignisse waren eigentlich von überschaubarer Bedeutung, haben aber beachtliche mediale Beben ausgelöst. Umso mehr freut es mich, dass im Endspurt des Jahres wirklich alle Themen, die mir in diesem Jahr wichtig waren, in trockene Tücher kamen. Das gilt ganz besonders fürs Klinikum.
In trockenen Tüchern? Davon kann doch in Garmisch im Bezug auf die Grundstücke für Olympia noch keine Rede sein!
Da ich über die Gespräche mit jedem Grundstückseigentümer gut unterrichtet bin, sehe ich es sehr viel entspannter. Da sind von einem Anwalt Grundstücke ins Feld geführt worden, die für die Spiele gar nicht benötigt werden. Das halte ich mehr für einen gelungenen Werbegag als für ein gravierendes Problem. Wir haben eine Handvoll Grundstückseigentümer, mit denen wirklich noch klärende Gespräche stattfinden müssen. Da gab’s bei München ’72 viel dramatischere Vorgänge – bis hin zu Umplanungen in letzter Minute. Nur hat damals keine Szenerie von Olympiagegnern darauf gelauert, ob es wieder irgendeinen Anlass gibt, Sand ins Getriebe zu werfen.
Gar kein Verständnis für die Garmischer Bauern?
Es ist doch nicht so, dass der Garmischer Bauernstand gegen die Spiele wäre. Der Bauernverband vor Ort hat sich dafür ausgesprochen. Die Probleme machen Grundstückseigentümer, die nur zu einem geringen Teil mit Landwirtschaft zu tun haben. Man sollte nicht den Eindruck erwecken, als seien es alles Heimatretter. Ein Fall ist inzwischen in die Presse geraten, deswegen darf ich ihn als Einzigen kommentieren. In diesem Fall ist bekannt geworden, dass zur Bedingung der Zustimmung gemacht wurde, dass ein Schwarzbau genehmigt wird.
Und was ist mit den anderen Grundstücksbesitzern? Werfen Sie allen das Motiv der Selbstbereicherung vor?
Bei anderen ist es zum Teil tiefe Verunsicherung, es könne wieder etwas passieren, was die Familie schon 1936 durchgemacht hat, wo tatsächlich Enteignungen durchgezogen wurden und Entschädigungen nicht gezahlt worden sind. Allerdings meine ich, dass 65 Jahre Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland ein schöner Zeitraum sind, um die Unterschiede zum Dritten Reich zur Kenntnis zu nehmen.
Man hat den Eindruck, dass kaum ein Thema Sie in den letzten Jahren emotional so berührt hat wie Olympia.
Mir persönlich war das Jüdische Zentrum ein mindestens ebenso großes Anliegen – oder gleich zu Beginn meiner Amtszeit die Realisierung der Neuen Messe München. Der Unterschied ist: Da gab es kaum Widerstände. Erst durch Querschüsse wird ein Thema plötzlich zum öffentlichen Zankapfel. Und umso mehr muss man es dann öffentlich verteidigen.
Manchmal scheint es so, als nähmen Sie Kritik an der Bewerbung persönlich.
Nein, das ist nicht richtig. Aber es ist ein Anliegen, für das gekämpft werden muss, weil es kein Selbstläufer ist.
Gesetzt den Fall, die Spiele kämen nicht, wäre das für Sie eine persönliche Niederlage?
Nein, man müsste dann klären, warum es gescheitert ist. War eine andere Bewerbung besser? Dann wären wir alle miteinander nicht gut genug gewesen. Aber ich bin ohne Schönrederei sehr optimistisch, dass wir erfolgreich sein werden.
2018 sind Sie auf jeden Fall nimmer Bürgermeister, egal, ob die Spiele kommen oder nicht. Das bringt uns auf Ihr neues Lieblings-Wortspiel.
Was soll das denn sein? Jetzt bin ich aber gespannt.
Sie sagen in letzter Zeit immer wieder, dass bis Ende 2011 in der OB-Kandidatenfrage bei der SPD „Ross und Reiter“ benannt werden sollen. Ist das wörtlich gemeint?
Ich weiß nicht, wer das Ross ist. Obwohl es eine wunderschöne AZ-Karikatur gab. Bei meiner Wahl 1993 saß ich auf einem Pferd namens Kronawitter. Und Peter Gauweiler auf einem Ross namens Kiesl. Vielleicht hab’ ich das im Unbewussten gehabt.
Ach so. Und dann gibt es da noch den Mann namens Dieter Reiter, den Wirtschaftsreferenten. Der hat inzwischen eine Favoritenrolle, oder?
Er hat sein Interesse bekundet. Genauso wie Alexander Reissl auch. Beide haben ein herausgehobenes Amt, Wirtschaftsreferent oder Fraktionsvorsitzender. Der Fraktionsvorsitzende ist schon längere Zeit ein Allrounder der Kommunalpolitik. Dieter Reiter hat aber auch die Stadtverwaltung von der Pike auf gelernt und ist jetzt Referent eines überragend wichtigen Querschnittsreferats. Ich sehe in beiden Fällen eine geeignete Plattform.
Wer ist Ihr Favorit?
Ich habe einen, aber ich denke, es ist nicht gut, wenn ein Oberbürgermeister seine Präferenz auch äußert und damit die Partei unter einen gewissen Zugzwang setzt. Klar ist: Wenn es zum Schluss mehr als einen Interessenten für die Kandidatur gibt, muss es eine Mitgliederbefragung geben.
2014 ist gar nicht mehr so lang hin. Gibt’s Tage, an denen Sie sich darauf freuen, dass es dann vorbei ist?
Nicht Tage, aber Abende. Also wenn ich spätabends heimkomme und erst so gegen Mitternacht auf dem Zahnfleisch daherkomme, nachdem ich einen nicht enden wollenden Abendtermin hatte, dann denke ich mir: Es hat auch seinen Reiz, dass es mal vorbei sein wird. Aber bis dahin habe ich noch viel vor!
Gab es im letzten Jahr eine Phase, in der Sie den Zeitpunkt öfter herbeigesehnt haben?
Nein, im letzten Jahr überhaupt nicht. Mich hat während des Jahres immer stärker und positiver überrascht, wie zuverlässig und vertragstreu die grüne Stadtratsfraktion ist. Selbst wenn es ihr wirklich nass reingeht und sie unter Druck gesetzt wird von außen. Und ich finde auch, dass die SPD jetzt immer besser in die Gänge kommt. Da gab es nach den Wahlniederlagen 2009 schon eine mehrmonatige Schockstarre, die seit dem Sommer überwunden ist.
Jetzt haben die Rathaus-Grünen Lob bekommen, die SPD auch. Fehlt noch die CSU.
Das war schon peinlich, als CSU-Fraktionschef Josef Schmid bei der letzten Haushaltsdebatte genau ein neues Beispiel für die angebliche Geldverschwendung von Rot-Grün benennt – einen Kosmetikkurs, für den es angeblich Fördergelder gab. Und dann stellt sich dieses Argument als falsch heraus. Das sollte einem Fraktionschef nicht passieren.
Also kein Lob.
Die CSU findet insgesamt zu einem immer sachlicheren Stil. Übrigens wird auch das menschliche Klima besser – das erzählen mir Abgeordnete aus allen Parlamenten. Der Schützengraben zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün hat an Bedeutung verloren. Zu Beginn von Rot-Grün wäre es undenkbar gewesen, dass man sich über den Graben hinweg duzt, wie es heute fast an der Tagesordnung ist.
Aber täte es der Profilschärfung nicht gut, wenn die Gräben weiter erkennbar sind?
Natürlich kann politisches Profil dabei auf der Strecke bleiben, das muss aber nicht zwingend so sein.
Wie zufrieden waren Sie mit der SPD außerhalb Münchens im letzten Jahr?
Es wäre absurd zu sagen, wir legen die Hände zufrieden in den Schoß, solange die Umfragewerte so mäßig sind. Die SPD muss eine unglaublich schwierige Vergangenheit aufarbeiten. Sie hat sich in den Jahren ihrer Bundesregierung manche Verdienste erworben, von denen sie heute nichts wissen will. Und sie hat andererseits Entscheidungen getroffen, die Wählergruppen verprellt haben. Sich da neu aufzustellen, ist wahnsinnig schwierig. Jede Korrektur gilt als Schuldeingeständnis, jede unterbleibende Korrektur gilt als Sturheit, die extra bestraft gehört. Deshalb plädiere ich für Geduld.
Stichwort Profillosigkeit. Was muss sich da ändern?
Die SPD muss sehr viel offener werden. Sie war einmal selbstverständlich die Partei für junge berufstätige Frauen. Dass kann ich heute nicht mehr als Selbstverständlichkeit wahrnehmen. Inzwischen haben Grüne, FDP und CDU weibliche Persönlichkeiten in Führungspositionen gebracht und die soziale Wirklichkeit von Familie und Beruf aufgegriffen. Jetzt hat die SPD kein besonders inniges Band mehr zur weiblichen Mehrheit der Bevölkerung. Das Gleiche gilt für die Studentenschaft. Früher war es selbstverständlich, als Student SPD zu wählen. Diese Selbstverständlichkeit ist auch verloren gegangen. Diese Gruppen muss man zurückgewinnen.
Haben Sie je gezweifelt, ob die SPD für Sie selbst noch die richtige Partei ist?
Nein, ich habe mir den Beitritt damals sehr gut überlegt. Ich habe mit der SPD nie ein grundlegendes Problem gehabt, außer dass die ökologischen Fragen in der Ära Helmut Schmidt vernachlässigt wurden – während sich eine neue Kraft ihrer angenommen hat. Deswegen schien mir eine rot-grüne Zusammenarbeit alternativlos. Die SPD und mein persönlicher Freundeskreis sind außerdem überhaupt nicht voneinander zu trennen. Was mich aber befremdet hat bis auf die Knochen, war manches wirtschaftsliberale Projekt der Regierung Schröder.
Aber Sie haben nie gezweifelt, ob Sie in der SPD noch zu Hause sind?
Nein, ich habe gezweifelt, ob andere dort noch richtig sind. Bei Wolfgang Clement als Wirtschaftsminister zum Beispiel habe ich mich manchmal gefragt: Was ist da noch sozialdemokratisch? Aber irgendwann scheint ihm das selbst aufgefallen zu sein.
Julia Lenders