Christian Ude: "Ich bin voll haftbar für Dieter Reiter"
München - Drei Jahre ist Christian Ude, der gebürtige Schwabinger, der von 1993 bis 2014 Oberbürgermeister von München war, jetzt Rentner - eine halbe Legislaturperiode. Als Treffpunkt schlägt er die Frieisische Teestube vor, gleich bei ihm um die Ecke in Schwabing. Hierher sei er schon in den Sechziger-Jahren zum Lernen gekommen. "Immer, wenn es in der Wohngemeinschaft zu laut zum Lernen war."
Hier ist Ude daheim. Vom Nebentisch grüßen die Leute, der Wirt fragt: "Wie immer?". Ude ist konzentriert wie eh und je, vielleicht ein bisschen entspannter. Eine Stunde hat er Zeit, dann wartet der nächste Termin. Was ansteht? Ude sagt, er müsse noch die Küche aufräumen. Seine Frau erwarte Besuch.
AZ: 2014 hörte man oft den Satz, dass München ohne OB Ude nicht mehr vorstellbar sei. Konnten Sie es sich vorstellen?
CHRISTIAN UDE: Selbstverständlich. Ich habe als Schuljunge noch Thomas Wimmer erlebt, dann Hans-Jochen-Vogel und Schorsch Kronawitter. Immer, und auch bei mir, wurde Unersetzbarkeit angedichtet. Aber kein Mensch ist unersetzbar. Jede Zeit fordert einen anderen OB-Typ. Und Dieter Reiter ist jetzt aus genau dem richtigen Holz geschnitzt.
Was meinen Sie damit?
Ich glaube, dass ich für die Zeit, in der der die Großstadt-Gesellschaft immer komplizierter geworden ist, die richtigen Antworten hatte. Und jetzt ist Dieter Reiter der Richtige. Er ist tatkräftig, sehr verwaltungserfahren, auch in der Lage, zuzuspitzen.
Wie erinnern Sie sich an den 30. März 2014, den Tag der OB-Stichwahl? War viel Wehmut dabei nach 21 Jahren im Amt?
Nein. Es waren Augenblicke der Erleichterung. Ich bin ja sozusagen voll haftbar für Dieter Reiter. Ich hatte ihn schon vorgeschlagen als stellvertretenden Kämmerer, als Wirtschaftsreferenten, dann als OB-Kandidaten. Deswegen war es auch meine Sache, wie es ausgeht. Eine Stichwahl ist für den Favoriten immer schwierig. Ich war sehr erleichtert, dass es gut gegangen ist, ich einen sozialdemokratischen Nachfolger bekomme.
Wochen später, bei Ihrer Verabschiedung im Deutschen Theater, haben Sie die Koalitionsverhandlungen Reiters mit der CSU scharf kritisiert.
Mit Verlaub: Ich habe nur einen Punkt kritisiert. Und: Ich bin ausgesprochen froh, dass ich es getan habe. Ich war verärgert darüber, dass die SPD ausgerechnet am Tag vor meiner Verabschiedung bekanntgegeben hatte, das Kreisverwaltungsreferat der CSU zu überlassen.
Warum hat Sie das so aufgebracht?
Dieser Vorgang hat mich nach meiner jahrzehntelangen Erfahrungen mit Kämpfen um Liberalität und die soziale Ausgestaltung des Ausländerrechts verärgert. Die SPD kann in München keine Wahlen gewinnen ohne die schwul-lesbische Szene oder die griechische und türkische Community. Diese Gruppen fanden immer gut, das KVR mit einem liberalen Fachmann zu besetzen und aus dem Parteienstreit herauszuhalten.

30. März 2014: OB Christian Ude feiert den Wahlsieg seines Wunschnachfolgers mit Dieter Reiter und dessen Frau Petra. Foto: dpa
"Die Münchner Liberalität ist stärker als ein Wahlergebnis"
KVR-Chef wurde dann Thomas Böhle, ein SPD-Mitglied.
Böhle ist nicht überparteilich, Aber er ist eine überparteilich anerkannte juristische Autorität und eine sehr sensibel vorgehender Referent. Ich bin stolz darauf, dass man das Kreisverwaltungsreferat doch nicht der CSU überlassen hat. Einen Fehler habe ich im Deutschen Theater trotzdem gemacht.
Welchen?
Ich will überhaupt nicht beschönigen, dass ich aus Verärgerung über die Bombe, die am Tag davor geplatzt war, die persönlichen Glückwünsche an Dieter Reiter unter den Tisch habe fallen lassen. Das war nicht in Ordnung und dafür habe ich mich entschuldigt.
Die "SZ" schrieb damals, mit Rot-Grüne ende auch ein Münchner Lebensgefühl. Drei Jahre später: Hat sich das München-Gefühl verändert?
Das hatte ich auch befürchtet. Aber es hat sich nicht bewahrheitet. Die Münchner Liberalität ist so stark, dass sie nicht durch ein einzelnes Wahlergebnis aus dem Sattel gehoben werden kann. Und im Flüchtlingsjahr 2015 hat die Münchner CSU eine ausgesprochen gute Rolle gespielt, sie ist ein Bestandteil der Willkommenskultur.
Also gibt die CSU Ihnen keinen Anlass mehr zur Sorge?
Sie ist mit ihrem Repräsentanten Josef Schmid tatsächlich liberaler geworden und nicht mehr so scharfmacherisch wie in den 90er-Jahren.
Plötzlich scheint denkbar, dass die Große Koalition im Rathaus scheitert. Wäre das für Christian Ude eine schlechte oder eine gute Nachricht?
Ich habe diese Sorge gelesen, weiß aber nicht, wie das gehen soll. Der OB ist völlig unabhängig vom Stadtrat bis 2020 gewählt, der Zweite Bürgermeister ist es aber auch. Referenten sind gewählt. Wie sollte ein Koalitionsbruch aussehen?
Man entscheidet sich, wechselnde Mehrheiten zu suchen.
Das haben wir ja schonmal gehabt. Und ich kann mich erinnern, dass es keine glückliche Konstellation war. Ein Haushalt verlangt nun mal eine Mehrheit im Stadtrat. Ich glaube, dass wir gerade eine Aufwallung der Gefühle im Vorfeld der Bundestagswahl erleben.
Die am Ende nicht zum Ende von Schwarz-Rot führen wird?
Genau. Weil ich die Alternative nicht sehe. Wie will man verantwortlich mit der Stadt umgehen? Wie zeigen, dass man gut regiert hat? Das sehe ich nicht.
Der aktuelle Streit hat sich am Wiesn-Bierpreis entzündet. Haben sich die SPD-Oberbürgermeister nie getraut, sich mit den Wirten anzulegen? Oder fanden Sie die Preisentwicklung unproblematisch?
Es ist immer selbstverständlich gewesen, Wiesn-Fragen nicht zu einem Kasperltheater zu machen. Sondern sie diskret, vertrauensvoll und intern zu regeln. Ich finde übrigens besonders kurios, dass die CSU jetzt plötzlich den Bierpreis zum Anlass für klassenkämpferische Töne nimmt. Die haben 30 Jahre gegen eine wirksame Mietpreisbremse gekämpft, mit der es für Münchner Familien schnell um mehr als 1.000 Euro im Jahr geht. Beim Bierpreise geht es für einen trinkfesten Münchner, der mehrmals auf die Wiesn geht, vielleicht um 3 oder 4 Euro.
"Raussuchen, wie man zum Bahnhof kommt: völlig neu für mich"
Reden wir übers Rentnersein. Nach drei Jahren: Was haben Sie daran unterschätzt?
Churchill hat nach einer verlorenen Wahl mal gesagt, er vermisse "informations and transport". So war ich vorgewarnt. Nun ist die Beschaffung von Informationen heute mit dem Internet viel einfacher. Aber natürlich geht das mit Mitarbeitern besser. Mir Flugtickets zu besorgen, sich selbst zu fragen, wann man starten muss, um rechtzeitig am Flughafen zu sein, wie man Bahntickets kauft und zum Bahnhof kommt: Das sind völlig neue Fragen, die mich am Anfang stark gefordert haben.
Schauen Sie online Stadtrats-Debatten an?
Überhaupt nicht. Das habe ich von meinen Vorgängern Hans-Jochen Vogel und Schorsch Kronawitter gelernt. Sie haben vorgelebt, dass man als früherer Amtsinhaber akzeptieren, respektieren und beherzigen muss, dass man eben nicht mehr zuständig ist.
Rufen Sie Dieter Reiter nie an, um ihm Ihre Meinung zu sagen?
Nein. Aber es gibt in den Referatsleitungen oder bei städtischen Unternehmen Menschen, die mich um Rat fragen. Wer will, bekommt einen persönlichen Rat. Der bleibt dann aber auch persönlich.
Sie wollen für den Bundestagskandidaten Florian Post in den Ring steigen. Haben Sie nochmal Lust auf Wahlkampf?
Ich habe immer Lust gehabt, immer irgendwo Wahlkampf gemacht. Das war die Kür für mich.
Themen, die Sie beschäftigen, sind die Türkei und ein westlicher Islam in München. Hätten Sie sich vor Erdogans Referendum gewünscht, dass sich Deutschtürken, ihre Verbände und mancher Imam öffentlich kritischer positionieren?
Natürlich hätte ich mir das erhofft. Wobei es schon starke Aufrufe gibt, mit Nein zu stimmen. Sehr enttäuscht bin ich auf jeden Fall von Ditib.

Christian Ude im Gespräch mit AZ-Lokalchef Felix Müller am Schwabinger Pündterplatz. Gleich um die Ecke lebt der Alt-Oberbürgermeister. Foto: Daniel von Loeper
"Politisch würde ich eine Ditib-Moschee nicht mehr unterstützen"
Jenem Verband, der dem türkischen Staat untersteht – und dessen Pläne, in Sendling eine Moschee zu bauen, sie als OB unterstützt haben.
Ich war in der Vergangenheit der Meinung, Ditib garantiere, dass eine Gemeinde nicht radikalisiert wird. Wenn ein Nato-Land die Gemeinden im Auge behält, dass sie sich auf Religion beschränken und nicht politisch agieren, dann ist das ja erstmal zu begrüßen. Jetzt geschieht das genaue Gegenteil. Ein unerträglicher Zustand.
Wie würden Sie mit diesem Wissen mit dem Wunsch nach einem Moscheebau umgehen?
Natürlich würde ich einen Bauantrag korrekt behandeln. Aber ich würde mich politisch nicht mehr so engagieren für eine Ditib-Moschee, die staatllich instrumentalisiert wird. Aber...
...aber?
Aber umso wichtiger finde ich, zu betonen, dass der Islam als Weltreligion in München eine positive Rolle spielt. Dass er hier weltoffen und zeitgemäß repräsentiert wird. Ich setze voll auf das Münchner Forum für Islam.
Das mit seinem Bauprojekt ebenfalls gescheitert ist.
Wir sollten langsam von den großen Bauprojekten als Maßstab wegkommen. Ich würde als Löwen-Fan auch sagen: Der Tabellenplatz ist wichtiger als die jahrzehntelange Diskussion um ein eigenes Stadion. Mit einem großen Bauwerk lösen sich nicht alle Probleme in Wohlgefallen auf, weder bei Sportvereinen, noch bei Religionsgemeinschaften. Aber in München haben sich die Imame früh gegen jede Form von Gewalt positioniert und erklärt, um die Opfer zu trauern. Das ist der Initiative des Forums zu verdanken.
Zum Abschluss noch zu den Löwen: Irgendeine Hoffnung, dass der TSV 1860 wieder zu einem bodenständigen Verein mit eigener Identität wird?
Eine Identität gibt es ja noch. Darunter leiden die Anhänger: dass sie daraus nicht einfach aussteigen können. Ich wundere mich ja nur, wie ernst die Fans und Medien die Ankündigung nehmen, ein Stadion für 50.000 Zuschauer bauen zu wollen. Aber diese Debatten gehören eben zu den Münchner Spielen. Als Rentner macht es mir Spaß, sie zu beobachten.