Christian Springer: Viele Straßen sehen aus wie im Krieg

München - Christian Springer im AZ-Interview: Der Münchner Kabarettist unterstützt mit seinem Verein "Orienthelfer" Flüchtlinge im Libanon.
AZ: Herr Springer, bei der schweren Explosion in Beirut ist auch Ihr Büro der "Orienthelfer e.V." beschädigt worden. Was genau ist passiert?
CHRISTIAN SPRINGER: Am Nachmittag habe ich mit meiner Mitarbeiterin Sina in Beirut noch einen Post für Facebook abgesprochen über ein Projekt, um das wir uns im Libanon gekümmert haben. Am Abend wollten wir darüber sprechen, was ich am kommenden Montag nach Beirut mitbringe. Am späten Nachmittag kam dann nur ein Wort von ihr: "Explosion". Da wusste ich sofort, dass etwas Schlimmes passiert ist.

Wie ist aktuell die Lage?
"Orienthelfer" hat keine Basis mehr im Libanon. Vor vier Jahren habe ich privat eine Wohnung angemietet, um Hotelkosten zu sparen. Die liegt nahe an der Explosion: Vom Balkon sehe ich den Hafen. Die Wohnung ist zerstört, das Gebäude unbewohnbar. Die Wohnung war das Herzstück, hier haben Mitarbeiter gelebt, haben wir Konzerte veranstaltet, Opernsängerin Franziska Rabl hat gesungen, Bildungsminister Piazolo war da, Markus Rinderspacher, der deutsche Botschafter. Das Büro von "Orienthelfer" im Nachbargebäude ist ebenfalls zerstört. Eine deutsche Nachbarin liegt mit schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus. Am Montag wollte ich in Beirut zwei aus Bayern gespendete Feuerwehrfahrzeuge aus dem Zoll holen und an die Gemeinden im Libanon übergeben – diese Fahrzeuge sind jetzt Schutt und Asche.
"Es gibt kaum jemanden, der nicht betroffen ist"
Wie geht es Ihrer Mitarbeiterin?
Dass sie das im Büro mit nur einer leichten Verletzung überlebt hat, ist ein Wunder. Sie ist auf den Boden geschleudert worden, steht nach wie vor unter Schock. Sie hat mich von der Straße aus angerufen. 30 Meter vom Haus entfernt ist eine Rot-Kreuz-Station – ich hab’ sie angebettelt, da hinzugehen, aber sie hat gesagt: "Nein, mir geht’s gut. Vor der Station stehen Hunderte Leute, Mamas mit schreienden, blutenden Babys auf dem Arm – die haben das nötiger." Und das alles in einer Situation, wo man im Libanon wieder steigende Corona-Zahlen hat.
Und die anderen Mitarbeiter?
Waren außerhalb unterwegs, haben alle überlebt, sind aber mit ihren Wohnungen und Familien natürlich alle von der Zerstörung betroffen. Es gibt in dieser Millionenstadt kaum jemanden, der nicht betroffen ist.
Was wissen Sie über die Stimmung in der Stadt?
Ich habe ja die ganze Nacht telefoniert. Die Beiruter sagen, sie haben den Bürgerkrieg erlebt, aber so was Schlimmes haben sie noch nicht erlebt. In Beirut gibt es keine Fenster und keine Scheiben mehr. Die Holztüren sind mit dem Rahmen rausgerissen worden. Eine unfassbare Druckwelle. In Zypern hat man die Explosion für ein Erdbeben gehalten, Stärke 5,5 bis 6 auf der Richterskala. Ich habe einen Film gesehen von einem Hubschrauberflug über den Hafen: In der Größe einer Stadt ist alles platt. Die Tausenden Verletzten mit tiefen Schnittverletzungen resultieren aus dem Scherbensturm. In meiner Wohnung habe ich 20 Fenster: Wäre Sina dort gewesen, wäre sie tot.
Funktioniert die Versorgung der Verletzten?
Nachts um zwei habe ich mit der Besitzerin eines der hochklassigen Krankenhäuser gesprochen: Die sind voll wegen Corona, haben aber innerhalb einer Stunde 400 Verletzte angeliefert bekommen. Wer verletzt ist, sitzt auf den Gängen oder am Parkplatz vor den Krankenhäusern. Ein voll belegtes Krankenhaus musste evakuiert werden, weil es keinen Strom mehr gibt und alles zerstört ist.
"Der Teil des Hafens steht unter der Verwaltung der Hisbollah"
Weiß man irgendetwas über die Hintergründe?
Es ist im Teil des Hafens passiert, der unter Verwaltung der Hisbollah steht. Angeblich ist Ammoniumnitrat explodiert, das jedoch seit neun Jahren per Gesetz im Libanon gar nicht mehr gelagert werden darf. Komisch auch, dass es jetzt passiert ist, denn am heutigen Donnerstag sollte das Hariri-Tribunal zu Ende gehen, diese 15-jährige Untersuchung über das Bombenattentat auf den damaligen Präsidenten. Aber im Moment beschäftigt sich damit niemand – Beirut steht unter Schock.
Wie kann man helfen?
Die Menschen sind obdachlos, können nicht mehr in ihre Häuser. Man hat zu Blutspenden aufgerufen, doch man kommt gar nicht mehr in die Stadt rein, weil viele Straßen ausschauen wie im Krieg. Wir sammeln jetzt Spenden, mit denen wir Medizin, Essen etc. kaufen werden.
Und wie geht es Ihnen?
So was hinterlässt einen großen Schock, weil dieses Land eine politische Krise hat. Der Finanzminister ist am Tag vor der Explosion zurückgetreten, die Leute können kein Geld mehr von den Banken abheben, sind jetzt obdachlos geworden, Corona hat man auch noch – und 1,5 Millionen Flüchtlinge. Man muss dieses Land jetzt unterstützen. Es ist eigentlich schon im Abgrund drin.
Spendenkonto: Stadtsparkasse München Empfänger: Orienthelfer e.V. IBAN: DE92 7015 0000 0000 5741 11, BIC: SSKMDEMM