Interview

Chef-Türmer am Alten Peter: Joachim Wallner hat die allerschönste Aussicht im Job

Die Peterskirche am Marienplatz sucht einen Türmer. Aber was macht man eigentlich in diesem Beruf? Und geht das ohne Höhenangst? Die AZ hat den Chef-Türmer Joachim Wallner gefragt.
von  Irene Kleber
So, jetzt hängt er, der schwarze Trauerflor für den verstorbenen emeritierten Papst. Auch diesen Job hoch oben auf dem Alten Peter übernimmt Joachim Wallner, der Türmer.
So, jetzt hängt er, der schwarze Trauerflor für den verstorbenen emeritierten Papst. Auch diesen Job hoch oben auf dem Alten Peter übernimmt Joachim Wallner, der Türmer. © Daniel von Loeper

AZ-Interview mit Joachim Wallner. Früher war der Moosacher (48) Chemie-Ingenieur. Vor sieben Jahren hat er umgesattelt, wacht jetzt als Türmer über den Alten Peter am Marienplatz, lässt Touristen und Münchner den Turm besteigen - und hat so im Job die allerschönste Aussicht über München.

München - Im Mittelalter war das so: Da saßen die Türmer rund um die Uhr 56 Meter hoch droben in der Turmwächterstube. Die Blicke aus dem Alten Peter immer über die Dächer Münchens schweifend, bis zum Horizont. Wenn sich finstere Gestalten näherten oder irgendwo Feuer zu sehen war, schlugen sie Alarm. München, wenn man so will, war ihnen anvertraut, Feurio!

Der Türmer als Brandmelder der Stadt

Bis 1901 war der Türmer noch erster Brandmelder der Stadt. Heute sitzt er mal unten im Kassenhäusl, wo die Touristen Schlange stehen, um hochzusteigen und "Münchens schönste Aussicht" zu genießen.

Joachim Wallner auf dem Alten Peter.
Joachim Wallner auf dem Alten Peter. © Daniel von Loeper

Mal schnauft er die 306 Stufen hinauf und wieder herunter, um nach dem Rechten zu sehen zwischen Eingangstür und Glockenstuhl. Und manchmal, freilich, steht er einfach oben auf der Aussichtsplattform. Und schaut.

"Seilbahn-Fahren mag ich immer noch nicht"

AZ: Herr Wallner, man sagt, Sie haben Höhenangst. Unsinn, oder?
JOACHIM WALLNER: Kein Unsinn. Hab ich wirklich. Aber mit den Jahren habe ich mich an die Höhe im Turm gewöhnt. Die 56 Meter sind nicht mehr schlimm. Im Gegenteil, wenn ich am Abend runterschaue, komme ich innerlich zur Ruhe wie in den Bergen. Das sind Momente, die nur mir selber gehören. Aber Seilbahn fahren mag ich immer noch nicht.

"Eine Leichtigkeit spüren"

Sie müssen ja zig Mal in der Woche den Turm für Sicherheitschecks begehen, wieso haben Sie sich das überhaupt angetan?
Weil ich am Turm so eine Leichtigkeit spüre. Wenn ich morgens hier ankomme, bevor die Touristen da sind, ist der Petersplatz ein Dorf. Das ist die Zeit der Münchner. Da treffe ich die Bäckerin und den Spaziergänger Willi. Der Münzsammler Otmar schaut vorbei.

Geschichten erzählen, Auskunft und Wirtshaus-Tipps geben

Die stille Altstadt mögen Sie?
Sehr. Morgens ist München Heimat, und am Abend, wenn alle Gäste weg sind, auch. Aber dazwischen ist es auch schön. Wenn ich am Kassenhäusl Tickets für die Aussichtsplattform verkaufe, treffe ich nur auf gut gelaunte Ausflügler. Ich kann Geschichten über München erzählen, Auskunftsbüro spielen oder Wirtshaus-Tipps geben.

Viele alte Münchner erzählen mir auch Geschichten aus ihrer Kindheit, Dinge, die sie mit dem Alten Peter verbinden. Wenn was im Turm kaputt ist, lasse ich es reparieren. Manchmal habe ich auch für den Mesner von Sankt Peter was zu tun.

Trauerbeflaggung und Heiratsanträge

Kirchendiener sind Sie auch?
Ein bisschen. Nachher hänge ich zum Beispiel eine Fahne mit Trauerflor für den verstorbenen, emeritierten Papst auf den Turm. Aber wenn jemand einen Heiratsantrag auf der Plattform machen will, organisiere ich das auch.

Wie romantisch. Wird hier oben oft Ja gesagt?
Fünf, sechs Mal im Jahr bestimmt. Neuerdings sind das oft Frauen, die die Heiratsanträge machen. Kürzlich hat eine 50-jährige Dame ihren Mann komplett überrascht. Das sind dann die Momente, in denen wir unten im Kassenhäusl mal nicht in die Kameras schauen, die zur Sicherheit in allen Stockwerken hängen, da lassen wir den Gästen Privatsphäre.

Das Weltgeschehen zeigt sich am Turm

Man sieht jetzt wieder richtig lange Touristenschlangen am Alten Peter.
Ja, fast mehr noch als vor Corona. Und die Leute sind wirklich anders als früher.

Inwiefern?
Die Menschen sind anständiger geworden. Sie beschweren sich nicht mehr so schnell, wenn sie mal warten müssen, weil wir nicht mehr Leute in den Turm lassen können. Auf die Plattform passen höchstens 60 und im Treppenhaus ist es eng.

Lange Schlangen den ganzen Tag - außer um 11, 12 und 17 Uhr, wenn ein paar Meter weiter am Marienplatz das Glockenspiel zu sehen ist.
Lange Schlangen den ganzen Tag - außer um 11, 12 und 17 Uhr, wenn ein paar Meter weiter am Marienplatz das Glockenspiel zu sehen ist. © Daniel von Loeper

Sie sind ans ruhige Schlangestehen gewöhnt, meinen Sie?
Genau, das merkt man hier. Und die Mischung ist anders. Die Russen fehlen seit dem Krieg komplett, die hat man früher an ihren gerollten Geldbündeln erkannt. Asiaten fehlen auch, wegen Corona. Dafür sind viel mehr deutsche Gäste da, die wohl nicht mehr so viel ins Ausland fahren. Und wir merken den Zuzug nach München, weil so viele Neumünchner auf den Alten Peter steigen.

Das Weltgeschehen zeigt sich am Turm?
Ja, hier sehen wir quasi das Große im Kleinen.

Unbändiger Wille und Höhenangst

Welche Begegnungen mit Gästen sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Ach viele. Die Rollstuhlfahrerin, eine Münchnerin, Mitte 30, die unbedingt die 306 Stufen hinauf wollte. Sie hat sich wirklich kaum auf ihren Beinen halten können, aber sie hat ihren Rollstuhl unten stehengelassen und sich da alleine hinauf geschleppt, und auch wieder herunter. Das hat mich tief beeindruckt. Oder diese Höhenangst-Geschichte.

Aha?
Eine Schülerin ist, als sie oben angekommen war, in totale Panik ausgebrochen, hat angefangen zu weinen und zu schreien und konnte sich keinen Meter mehr bewegen.

Was haben Sie gemacht?
Ich bin zu ihr hochgelaufen, hab sie an den Händen genommen und gesagt: Vertrau mir, schau mich an. Und ich bin dann Schritt für Schritt, ich rückwärts, sie vorwärts, die Treppen heruntergegangen.

Psychologe sind Sie also auch noch. Sind Sie auch fürs Glockengeläut zuständig?
Nein, das macht der Mesner. Diese Woche hat er täglich um 16 Uhr eine Viertelstunde lang das große Geläut, also alle sieben Glocken für den verstorbenen Papst Benedikt läuten lassen. Wir haben mit dem Schutzpatron Petrus ja eine besondere Verbindung zum Papst.

Mit Brandmeldungen aus der Stadt haben Sie heute gar nichts mehr zu tun?
Nein. Unsere eigenen Alarme hier in Sankt Peter sind aufregend genug. Bei uns war vier Mal Feueralarm letztes Jahr.

Türmer gesucht: Freundlich und kontaktfreudig muss man sein

So oft brennt's im Alten Peter?
Nein, eben nicht. Aber wenn die Ministranten es mit dem Weihrauch übertreiben und der Luftdruck entsprechend ist, geht der Rauchmelder los. Oder einmal hat die Putzkolonne statt einem Staubsauger einen Laubbläser benutzt, das hat so viel Staub aufgewirbelt, dass der Alarm losgegangen ist. Ich weiß dann zwar schon immer sehr schnell, dass eigentlich nichts ist, aber die Feuerwehr muss trotzdem ausrücken und sich selber vergewissern.

Jetzt sucht Sankt Peter wieder einen Türmer für Ihr Team, was muss man können dafür?
Wir haben zwölf Mini-Job-Türmer, das sind zum Beispiel Studenten, junge Männer aus dem Priesterseminar oder Rentner, und hier suchen wir immer wieder jemand Neues. Freundlich und kontaktfreudig muss man sein, gut Englisch, gern auch Italienisch können, flexibel und verantwortungsvoll sein und der katholischen Kirche verbunden. Alles andere hier kann man lernen.


Die Aussichtsplattform im Alten Peter ist Mo-Fr von 9-18.30 Uhr, Sa/So/feiertags von 9-19.30 Uhr geöffnet. Eintritt: 5 Euro (ermäßigt 3 Euro, Schüler 2 Euro). Mehr Infos: www.alterpeter.de

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