Chef des Café Luitpolds: "Wir brauchen Migranten"
München - Kardinal Marx war schon da, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Philosoph Richard David Precht - Stephan Meier hatte schon viele bekannte Köpfe aus Politik, Kultur und Wissenschaft zu Gast. Im Palmengarten seines noblen Kaffeehauses an der Brienner Straße veranstaltet er regelmäßig den "Salon Luitpold", in dem über gesellschaftliche, wirtschaftliche und philosophische Themen diskutiert wird. Das Café ist eines der feinsten der Stadt. Stephan Meier beschäftigt rund 50 Mitarbeiter. Vor Corona waren es zeitweise doppelt so viele. In der AZ spricht er über seine Erfahrungen als Arbeitgeber mit Flüchtlingen.
Stephan Meier (47) ist Bäckermeister, Konditor und promovierter Volkswirt. Seit 2009 führt er das Café Luitpold in der Brienner Straße.
AZ: Herr Meier, ich habe gehört, dass Sie nicht nur gute Erfahrungen gemacht haben als Arbeitgeber von Migranten.
STEPHAN MEIER: Sie spielen wahrscheinlich auf ein Erlebnis aus dem Frühjahr 2016 an, das ich im Freundeskreis erzählt hatte. Aber nur das zu erwähnen, würde ein unvollständiges, verzerrtes Bild ergeben.
Seltener Fall: Fehlende Motivation zur Arbeit
Was war damals?
Da hatte ich zwei junge Männer aus Ghana als Hilfskräfte in unserer Backstube beschäftigt. Ich hätte damals jeden Tag fünf bis zehn Migranten einstellen können, da viele Helfer und Netzwerke mir ständig Flüchtlinge vermitteln wollten. Diese beiden kamen von einem besonders vertrauenswürdigen Kontakt. Aber bereits nach kurzer Zeit hat der Backstubenleiter gesagt: Es passt nicht.
Was war das Problem?
Er sagte, sie seien nicht motiviert und wollten sich nicht einbringen.
Wie haben Sie reagiert?
Ich wollte mir selbst ein Bild machen. Deshalb haben wir uns zu viert zusammengesetzt und ich habe die beiden gefragt, was ihre Wahrnehmung wäre. Die Quintessenz war: "Wir sind doch nicht drei Jahre zu Fuß aus Ghana quer durch Afrika nach Deutschland gelaufen, um an fünf Wochentagen je acht Stunden zu arbeiten."
Ihre Antwort?
Wenn das Eure Einstellung ist, dann haben wir keine Basis. Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich das noch mal durch den Kopf gehen lassen sollen und wir am nächsten Tag noch mal reden. Aber da sind sie dann einfach nicht mehr erschienen. Aber dieser Geschichte dürfen Sie höchstens zehn Prozent Platz einräumen.
"Natürlich sind die Jüngeren leichter zu integrieren"
Machen Sie sonst nur positive Erfahrungen?
Ja. Im Handwerk und Dienstleistungsgewerbe wäre es heute undenkbar ohne Migranten. Ich kenne das von klein auf so. Ich bin mit einem Kindermädchen aufgewachsen, das als Wirtschaftsflüchtling aus Süditalien kam. Während der Schulzeit kamen viele Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Ich bin mit einer Französin verheiratet. Für mich gehören Migranten ganz selbstverständlich dazu. Natürlich gibt es auch Konflikte, vor allem Sprachschwierigkeiten zu Beginn und weil sie anders sozialisiert sind. Aber wir brauchen diese Menschen - und noch viel mehr.
Wie viele Migranten beschäftigen Sie?
Fast 50 Prozent meiner Mitarbeiter haben einen Migrationshintergrund, wenn man erste bis dritte Generation kombiniert. Fast alle haben aber heute die deutsche Staatsbürgerschaft. Mein Oberkellner Mohamed Krasniqi ist als 16-Jähriger nach Deutschland gekommen und hat als Tellerwäscher angefangen. Mittlerweile sind auch zwei seiner Söhne bei mir beschäftigt. Natürlich sind die Jüngeren leichter zu integrieren und auch diejenigen mit einem höheren Bildungsniveau, aber wir brauchen Menschen, die bereit sind sich einzubringen.

Wissen Sie viel über die Schicksale Ihrer Mitarbeiter?
Teilweise. Einer meiner Köche kam 2013 als unbegleiteter Flüchtling aus Afghanistan. Es ist eine ganz tragische Geschichte. Er erzählt authentisch und glaubwürdig, dass sein Vater für die Nato Tanklastwagen gefahren ist. Sie ahnen, was kommt. Der Lastwagen wurde abgeschossen, der Vater starb. Die Mutter hat dann ihren Ältesten, er war damals 13, nach Deutschland geschickt.
Damit es ihm hier besser geht.
Ja, und auch, um die Familie inklusive kleinere Geschwister in der alten Heimat zu unterstützen. Er überweist jeden Monat Geld nach Hause. Er hat eine Lehre als Koch gemacht. Heute ist er Chef de Partie und macht einen super Job.
"Diese Mitarbeiter brauchen mehr Input"
Welche Tipps würden Sie anderen Arbeitgebern geben?
Ich glaube, dass es in meiner Branche kaum einen gibt, der nicht längst einschlägige Erfahrungen gemacht hat. Aber ich denke, ein zentraler Erfolgsfaktor ist, dass man sich immer wieder Zeit nehmen muss, den Menschen zuzuhören.
Ist das alles?
Es erfordert natürlich auch viel Engagement und Kraft und Energie und Zeit. Vereinfacht gesagt, brauchen diese Mitarbeiter mehr Input, oft sind ja auch ihre Rituale und Symbole, mit denen sie aufgewachsen sind, andere. Für Neuankömmlinge aus anderen Kulturkreisen bedeutet ein kurzer Rock halt etwas anderes als bei uns. In dieser Hinsicht haben wir im Betrieb Gott sei Dank keine einschlägigen Erfahrungen gemacht.
"Da haben viele sicherlich eine steile Lernkurve"
Wie können wir verhindern, dass es zu solch "einschlägigen Erfahrungen" kommt?
Indem man die Menschen an die Hand nimmt und ihnen erklärt, wie das bei uns funktioniert in unserer offenen Gesellschaft. Ansonsten ist natürlich ganz klar, dass es viel einfacher ist, einen jungen Menschen zu integrieren. Bei den Älteren ist es tatsächlich so, dass sie sich viel schwerer tun.
Wie die beiden Ghanaer?
Ja, anscheinend müssen die erst ein paar Erfahrungen machen. Wahrscheinlich sind sie ja noch da und noch zwei, drei Mal von ihren Chefs damit konfrontiert worden, was hier die Regeln sind. Vielleicht haben sie auch irgendwann verstanden, dass beinahe grenzenloser Konsum und soziale Absicherung einen Preis haben. Da haben viele sicherlich eine steile Lernkurve gehabt. Aber wie gesagt, ohne all diese Menschen mit Migrationshintergrund könnten wir ein Geschäftsmodell, das von Handarbeit und Service am Gast geprägt ist, nicht aufrechterhalten. Insofern ist die Erfolgsgeschichte offensichtlich.
"Die Integrationsaufgabe wird nie zu Ende sein"
Was denken Sie über den Satz: "Wir schaffen das"?
Ich glaube, dass dieser Satz wichtig und gut war, auch wenn die Art und Weise und der Zeitpunkt und ohne Koordination mit den europäischen Nachbarn sicher nicht glücklich waren. Das würde die Bundeskanzlerin heute sicher auch so nicht mehr machen. Aber die ganze Welt liebt uns für diesen Satz. Er ist schon ein Aushängeschild. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte hat dieser Satz viel kompensiert und unserem Ansehen gutgetan.
Was denken Sie: Zu wie viel Prozent haben wir dieses Ziel erreicht?
So kann man das nicht formulieren. Die Integrationsaufgabe wird uns für immer bleiben. Weil die plurale Gesellschaft noch viel pluraler werden wird und ich hoffe, dass noch viele kommen werden. Die Integrationsaufgabe wird nie zu Ende sein. Es ist ja auch eine Geisteshaltung. Die christliche Nächstenliebe ist etwas, das ja relativ viele in Bayern mitbekommen haben. Nicht jeder wendet sie so an, dass der Migrant sie spürt, aber die weit überwiegende, oft schweigende Mehrheit denkt so. Ich bin überzeugt, die Grundfeste unserer Gesellschaft haben sich bewährt und - wir schaffen das.
- Themen:
- Flüchtlinge