Charlotte Knobloch: „Ich bin nicht arbeitslos“

MÜNCHEN - Charlotte Knobloch zieht sich von der Spitze des Zentralrats der Juden in Deutschland zurück.Sie sagt: „Dieser Amtssitz war bis jetzt ein Schleuderstuhl ins Jenseits.“ Eine Bilanz
Es muss schön sein, dankbar zurück zu blicken. Charlotte Knobloch tut es.
„Mein Leben ist bestimmt von vielen Wundern. Dass ich hier sitze, ist auch ein Wunder“, sagt die 78-Jährige und wirft einen Blick aus dem Fenster des neuen jüdischen Zentrums auf die Hauptsynagoge im Herzen Münchens.
Wie kaum jemand sonst hat Knobloch ihr Leben einem neuen Miteinander von Juden und Nicht-Juden verschrieben. Ein Engagement, das sie auch nach ihrem Rückzug von der Spitze des Zentralrats der Juden am nächsten Wochenende fortführen will.
Bereits im Frühjahr hatte Knobloch ihren Rückzug angekündigt. Vorausgegangen waren Indiskretionen und mangelnde Unterstützung aus der Zentralratspitze, die Beobachter als eine Demontage der Präsidentin werteten. Knobloch selbst mag über die Umstände ihrer Entscheidung nicht sprechen. „Lassen wir das im Bereich der Spekulationen“, sagt sie dazu lediglich und lächelt vielsagend.
Dafür, nicht erneut zu kandidieren, gibt es für sie aber einen triftigen Grund. Nach dem Tod ihres Vorgängers Paul Spiegel habe sie ihren Präsidiumskollegen gesagt: „Dieser Amtssitz war bis jetzt ein Schleuderstuhl ins Jenseits.“ Und sie wolle nicht die nächste in der Reihe sein.
An Tatkraft, Gestaltungswillen und Ämtern mangelt es Knobloch weiterhin nicht. Ihre Amtszeit als Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern läuft noch zwei Jahre. Ferner ist sie seit 2003 Vizepräsidentin des Europäischen Jüdischen Kongresses und seit 2005 Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses. „Ich bin absolut nicht arbeitslos, auch nicht ideenlos“, sagt sie – und kündigt an, sich weiter einzubringen.
Für den Zentralrat ist Knoblochs Rückzug eine Zäsur – mit ihr wird wohl letztmals eine Überlebende des Holocaust an der Spitze des Zentralrats gestanden haben. Sie wurde am 29. Oktober 1932 in München geboren. So wurde sie als kleines Mädchen Zeugin des NS-Terrors, erlebte Ausgrenzung und Beleidigung, Verbote und Razzien. Ihr Vater wurde zur Zwangsarbeit verpflichtet, ihre Großmutter ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, von wo sie nicht mehr zurückkehrte.
Knobloch selbst überlebte die Schreckensherrschaft nur dank eines Versteckspiels. Von 1942 bis Kriegsende lebte das Mädchen bei einer Bauernfamilie in Mittelfranken. Im Dorf wurde sie als uneheliches Kind ausgegeben.
Nach dem Krieg kehrte sie nach München zurück, wollte aber weg: Die Ausreise in die USA war schon vorbereitet. „Weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass die Leute, die mich ausgesperrt haben, weil deutsche Kinder nicht mehr mit Judenkindern spielen durften, von heute auf morgen ihre Meinung geändert haben.“ Dass die Ausreise doch nicht klappte, ist für sie eines der „Wunder“ ihres Lebens. Knobloch wurde schwanger. Bis für sie ein Platz auf den Schiffen frei war, vergingen Monate – eine hochschwangere Frau durfte nicht an Bord.
„Heute bin ich glücklich, dass ich miterleben durfte und auch ein ganz klein wenig dabei helfen konnte, dass das jüdische Leben wieder ein Mittelpunkt der Gesellschaft ist“, sagt die 78-Jährige. P. Jerabek