Cardin-Show bei Olympia '72: In Zeitlupe und Weltall-Look

Achim Neumann (70) war bei Olympia '72 der Fahnenträger einer Mode-Show von Pierre Cardin. Er erinnert sich zurück, wie schön das war und wie das Attentat die Show beendete.
von  Hüseyin Ince
Der Olympiapark während der Olympischen Spiele '72.
Der Olympiapark während der Olympischen Spiele '72. © imago/serienlicht

München - Schauspieler, Fotomodel, Mitbetreiber des legendenumwobenen "Kay's Bistro" am Viktualienmarkt bis 2005: Der gebürtige Kaiserslauterer Achim Neumann hat schon so einiges erlebt. Er drehte Filme mit Berühmtheiten wie Ingrid Steeger (unter anderem Schulmädchen-Report), Elisabeth Volkmann oder Sascha Hehn. Neumann war auch ein bestbezahltes Laufstegmodel und ließ dann irgendwann alles hinter sich.

Trotzdem wird Achim Neumann ein Ereignis nie vergessen: Seinen Model-Job für Pierre Cardin bei Olympia '72. Wie bei so vielen Münchnern hat sich alles rund um diese besonderen Tage in sein Gedächtnis eingebrannt – im Guten wie im Schlechten. Er erinnert sich gern zurück und behütet dieses besondere Foto von damals, mit der Cardin-Fahne, als er 20 Jahre jung gewesen ist. Neumann fühlte sich auserwählt. "Pierre Cardin hat damals von hundert Bewerbern nur zwölf genommen. Ich war einer von ihnen und durfte sogar mit der Fahne voranschreiten", sagt er.

"Anthony war erst 20 und hatte graues Haar. Das passte perfekt"

Für ihn war dieser Job ein Karrierebeschleuniger. Er hat sein Leben entscheidend gelenkt. Auch Cardin war damals persönlich vor Ort. Und obwohl Neumann später alles hinter sich ließ, trotz vieler lukrativer Angebote weder modelte noch schauspielerte und zusammen mit seinem Lebenspartner Kay Wörsching das berühmte Bistro betrieb, blieben die Bekanntschaften von damals ein Leben lang erhalten.

Achim Neumann mit seiner großen Liebe Kay Wörsching in der legendären, inzwischen geschlossenen Bar "Kay's Bistro".
Achim Neumann mit seiner großen Liebe Kay Wörsching in der legendären, inzwischen geschlossenen Bar "Kay's Bistro". © Repro: Kay Wörsching

"Pierre Cardin war bestimmt 20 Mal im Bistro und hat dort viel gefeiert", erzählt Neumann. Mit Stars und Sternchen sei er stets zu Gast gewesen. "Später hat Cardin sogar die Innenausstattung des Bistros in Paris kopiert, für sein Theatercafé am Champs-Élysée", erzählt Neumann. Cardin habe ihn zusammen mit Kay Wörsching dorthin eingeladen, um ihm diese kopierte Inneneinrichtung zu zeigen.

Die Cardin-Show am Olympiasee, auf der Spielstraße, lief Anfang September 72 drei Mal täglich. "Wir haben damals Tausend D-Mark pro Tag bekommen, das war sehr viel Geld", erinnert sich Neumann. Das habe ihm damals seine Agentin Gisela Bindel herausgehandelt. Von ihr schwärmt Neumann noch heute, von ihrer Tüchtigkeit und ihrem enormen Geschäftssinn. "Die anderen Models haben nicht so viel bekommen. Nur Anthony und ich waren so gut bezahlt", erzählt Neumann.

Dieser Anthony, ein Australier, sei ihm besonders in Erinnerung geblieben, weil er von so weit herkam, genauso jung war wie Neumann und vor allem: weil Anthony bereits völlig ergraut gewesen ist, trotz seiner jungen Jahre. "Das hat natürlich super in das Science-Fiction-Thema der Mode-Show gepasst", sagt Neumann. Cardin habe genaue Ansagen gemacht, wenige Jahre nach der ersten Mondlandung der Menschheit im Jahr 1969: "Wir mussten uns bewegen wie im All, ganz langsam, wie in Zeitlupe."

Ein Original-Ausriss, den sich Achim Neumann und Kay Wörsching über Jahrzehnte aufbewahrt haben, inklusive Cardin-Marke.
Ein Original-Ausriss, den sich Achim Neumann und Kay Wörsching über Jahrzehnte aufbewahrt haben, inklusive Cardin-Marke. © Repro: privat

"Die Science-Fiction-Mode war ein Publikumsmagnet"

Morgens seien alle Männer-Models mit der "U-Bahn angetanzt. Auf dem Olympiaberg standen Zirkuswagen. Darin haben wir uns umgezogen", erinnert sich Neumann. Und dann die Show. "Das war ein Publikumsmagnet", sagt Neumann.

Doch die Show endete am Tag des Attentats, am 5. September 1972. Im Gegensatz zu den bis heute weltberühmten Worten "The games must go on" hieß es bei der Cardin-Show nach der blutigen Geiselnahme der palästinensischen Terroristen: "The show must stop!"

Die Spielstraße "war plötzlich völlig ausgestorben", erinnert sich Neumann. "All die Künstler, Musiker, Theaterschauspieler... Von einem Tag auf den anderen sind alle verschwunden", sagt er. Eine große Trauer habe um sich gegriffen. Doch Cardin sei ein fairer Mann gewesen. "Er hat uns die Tagesgage noch voll weiterbezahlt, obwohl die Show bei der Hälfte beendet war. Ohne Abstriche", erzählt Neumann.

Die Geiselnahme verfolgte er wie so viele andere im Fernsehen. Und Neumann hat noch eine besondere Erinnerung an den Einsatz, der tragisch in Fürstenfeldbruck endete, mit der Ermordung aller israelischen Geiseln. "Ich wohnte damals in Pasing. Die Hubschrauber, die in Richtung Fürstenfeldbruck unterwegs waren, flogen über unsere Köpfe hinweg", weiß Neumann noch genau.

"Das Attentat stürzte die gesamten Spiele in große Trauer"

Seit 50 Jahren lebt Neumann jetzt schon in der Region München. Und all die Ereignisse rund um Olympia haben ihn sehr stark geprägt. Sie haben sein Leben entscheidend verändert. Der einzige große Makel ist für Neumann natürlich der schreckliche Anschlag, der diese riesige Show rund um Olympia von heute auf morgen in tiefe Trauer stürzte. Auch die olympische Science-Fiction-Modenschau von Cardin, die von heute auf morgen abgebrochen wurde.

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