Interview

Cannabis-Expertin aus München warnt: "Bundesregierung bekam das Problem nicht in den Griff"

Wie riskant ist der Weg, den die Bundesregierung bei der Cannabis-Legalisierung geht? Die renommierte Forscherin Eva Hoch aus München befürchtet eine Verharmlosung.
von  Guido Verstegen
Die Teil-Legalisierung von Cannabis konnte Bayern nicht verhindern. Dafür erließ die Staatsregierung Verbote für konkrete Bereiche. (Symbolbild)
Die Teil-Legalisierung von Cannabis konnte Bayern nicht verhindern. Dafür erließ die Staatsregierung Verbote für konkrete Bereiche. (Symbolbild) © imago/SKATA

München - Der Deutsche Hanfverband schätzt, dass in Deutschland per anno zwischen 200 und 400 Tonnen Cannabis konsumiert werden, der illegale Handel mit der Substanz könnte demnach auf dem Markplatz der organsierten Kriminalität rund 1,2 Milliarden Euro einbringen.

Für und Wider der Cannabis-Legalisierung: Das sagt die Münchner Expertin Eva Hoch

Mit der auf einem Zwei-Stufen-Plan basierenden Legalisierung von Cannabis lässt sich dieser Schwarzmarkt eindämmen, argumentiert die Bundesregierung respektive Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Viele Kenner der Szene sind jedoch skeptisch.

2021 gehörte Eva Hoch zu einem internationalen Team von Wissenschaftlern, das eine vielbeachtete Übersichtsarbeit zum Thema Cannabis-Konsum und Cannabis-Missbrauch im Fachjournal Nature veröffentlichte. Sie war als einzige Frau und einzige Europäerin an der Arbeit beteiligt.
2021 gehörte Eva Hoch zu einem internationalen Team von Wissenschaftlern, das eine vielbeachtete Übersichtsarbeit zum Thema Cannabis-Konsum und Cannabis-Missbrauch im Fachjournal Nature veröffentlichte. Sie war als einzige Frau und einzige Europäerin an der Arbeit beteiligt. © privat

Prof. Dr. Eva Hoch (53), Psychologin an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am LMU-Klinikum, forscht seit 20 Jahren auf diesem Gebiet, hat die Bundesregierung bei der Vorbereitung des Gesetzes mit wissenschaftlichem Input unterstützt und leitet das Institut für Therapieforschung (IFT) in München. Im AZ-Interview spricht sie über die Wirkung von Cannabis und warnt vor einer Verharmlosung sowie vor einem steigenden Konsum.

Konsum von Cannabis steigt in Deutschland seit Jahren stetig an 

Frau Hoch, Cannabis gilt als sogenannte weiche Droge. Die Gefahr einer Abhängigkeit soll geringer sein als beispielsweise bei Alkohol. Zudem wird Cannabis offenbar gesellschaftlich akzeptiert. Wie viele Menschen kiffen denn aktuell in Deutschland?
EVA HOCH: Der Konsum hat in Deutschland seit den 1990er Jahren im Prinzip – unabhängig von der Gesetzgebung – immer stärker zugenommen. Das Thema ist zudem jetzt derart präsent, dass der Eindruck entsteht, jeder kifft oder jeder sollte kiffen. Immerhin 90 Prozent der Deutschen haben im vergangenen Jahr kein Cannabis konsumiert, andererseits bleiben da 4,5 Millionen Menschen, die Cannabis mindestens einmal genommen haben. Das zeigen die Zahlen des epidemiologischen Sucht-Surveys, den das Institut für Therapieforschung München (IFT) seit 1980 herausgibt – dabei werden im Rahmen regelmäßig wiederholter Querschnittsbefragungen der Konsum und Missbrauch von psychoaktiven Substanzen in der deutschen Allgemeinbevölkerung untersucht.

Die Gruppe der Menschen, die Cannabis regelmäßig konsumieren, ist demnach klein. Dennoch: Wie gefährlich ist die Droge?
Es gibt vielfältige Risiken, und der Konsum ist für Jugendliche und junge Heranwachsende besonders riskant. Warum? Weil wir im Körper ein eigenes Cannabis-System haben – die entsprechenden Rezeptoren gibt es besonders häufig im Gehirn, und da kann das Cannabis der Pflanze andocken. Dieses Cannabis-System ist für das Funktionieren von uns allen die Grundlage. Es hilft unter anderem beim Schlaf-Wach-Rhythmus, beim Appetit, beim Wachstum, im Immunsystem und beim Knochenaufbau. Und es ist im Kopf vor allem auch dafür da, dass unser Gehirn gut funktionieren und sich gesund entwickeln kann. In der Pubertät gibt es da große Umbauprozesse, die bis ins dritte Lebensjahrzehnt dauern. Das Cannabis der Pflanze kann das System durcheinanderbringen. Das Gesündeste für unser Gehirn ist es daher, kein Cannabis zu konsumieren.

Cannabis kann intensive Ängste und psychoseähnliche Symptome auslösen

Ein schlechtes Gedächtnis und verminderte Aufmerksamkeit gehören zu den bekannten Nebenwirkungen von Cannabis. Es wirkt aber bei jedem Menschen anders.
Weil diese Cannabisrezeptoren im ganzen Gehirn verteilt sind, erklärt das auch so viele unterschiedliche Wirkungsweisen. Die einen sagen, sie sind entspannter, andere fühlen sich kreativer, haben einen Rausch wie beim Alkohol oder gesteigerten Appetit. Letzteres hat man sich dann in der Medizin bei der Krebstherapie zunutze gemacht. Andere vertragen Cannabis nicht gut. Es wird ihnen schwindelig oder schlecht. Cannabis kann auch intensive Ängste und psychoseähnliche Symptome auslösen. Davor muss man auch warnen – jetzt probieren vielleicht auch viele zum ersten Mal Cannabis. Sie sind unerfahren und laufen Gefahr, zu viel von der Droge zu bekommen. Aufgrund der hohen Nachfrage ist unklar, welches Cannabisprodukt auf dem Schwarzmarkt verfügbar ist. Es sind auch immer wieder gestreckte oder verunreinigte Produkte im Umlauf, beispielsweise mit synthetischen Cannabinoiden oder Opioiden.   

Vulnerable Personen sind besonders gefährdet. Wer zählt zu diesem Kreis?
Das sind Kinder und Jugendliche, Menschen, die das Risiko einer psychischen Erkrankung in sich tragen, Schwangere und das ungeborene Kind sowie Männer im zeugungsfähigen Alter, die gerne Vater werden möchten – weil der Cannabis-Konsum auch die Qualität der Spermien vermindern kann. Und natürlich muss man Menschen warnen, die Maschinen bedienen oder im Straßenverkehr unterwegs sind, Konzentration, Psychomotorik und Gedächtnis sind eingeschränkt.

Eva Hoch: So groß ist die Gefahr, von Cannabis abhängig zu werden

Viele Ihrer Kollegen sprechen auch von einem bis zu dreifach erhöhten Risiko einer Psychose bei jungen Menschen.
Drei- bis fünffach sogar. Je früher man einsteigt, je intensiver man konsumiert und je stärker das Cannabis-Produkt ist – also je mehr berauschendes Tetrahydrocannabinol, kurz THC, enthalten ist –, umso mehr steigt das Risiko, an einer Psychose zu erkranken. Selbstverständlich sind bei psychischen Erkrankungen meist genetische Veranlagungen in Kombination mit verschiedenen Stressoren beteiligt. Eine neue Meta-Studie unter gesunden Erwachsenen zeigt, dass auch in diesem Kreis psychotische Symptome auftreten können, wenn die Dosis nur stark genug ist. 

Wie groß ist denn die Gefahr, abhängig zu werden?
Cannabis ist eine psychoaktive Substanz, die abhängig macht. Von allen Menschen, die Cannabis 2023 konsumiert haben, wurden statistisch gesehen zwei von zehn abhängig. Cannabis ist in Deutschland nach Alkohol die häufigste Substanz, die zu einer Suchtbehandlung führt.

Wissenschaftlerin aus München kritisiert: "Menschen bedienen sich jetzt am Schwarzmarkt"

In den USA und Kanada hat man bereits Erfahrungen mit der Legalisierung von Cannabis gemacht, was sagen die Studien da?
Die großen Übersichtsarbeiten dort zeigen, dass konsistent zeigen, dass der Cannabis-Konsum ansteigt – ob mehr Menschen eine Psychose bekommen oder abhängig werden, geht so noch nicht eindeutig aus den Daten hervor. Die Zahl der Notfall-Aufnahmen in Folge von Überdosierung ist dort deutlich gestiegen, was aber auch daran liegt, dass dort essbare Cannabis-Produkte erlaubt sind. Überhaupt haben wir in Übersee einen komplett legalisierten, kommerziellen Markt, der in Deutschland aufgrund der europäischen Gesetzgebung so derzeit nicht umgesetzt werden könnte. Das Cannabisgesetz sieht in einer zweiten Stufe die wissenschaftliche Evaluation vor.

Bergen die zwei Etappen des Gesetzes nicht die Gefahr, dass der Schwarzmarkt in der ersten Phase gestärkt wird, weil es selbst die für den Verkauf vorgesehenen Clubs noch nicht gibt?  
Und wenn jemand jetzt privat Cannabis anpflanzt, dann blüht das auch nicht gleich nächste Woche. Bleib also der Schwarzmarkt, und da muss man tatsächlich warnen, weil die Leute nicht wissen können, was sie da konsumieren – ist das jetzt gestreckt, wo kommt das her, wie stark ist das? Ich muss daher deutlich kritisieren, dass jetzt schon legalisiert wurde, obwohl das legal verfügbare Cannabis noch gar nicht erhältlich ist, dass sich die Menschen jetzt am Schwarzmarkt bedienen und dass es versäumt wurde, das Ganze ordentlich wissenschaftlich zu begleiten. Das hätte man vorher tun können, genauso wie man die Prävention hätte anschieben können. Da wird einfach zu wenig gemacht.

Prävention und Aufklärung in Sachen Cannabis: "Da muss die Regierung jetzt nachlegen"

Es ist also längst nicht alles easy…
Nein, sicher nicht. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat darauf hingewiesen, dass die Droge über die Jahre immer stärker geworden und zugleich das wahrgenommene Risiko enorm zurückgegangen ist. Deshalb muss es uns darum gehen, klarzumachen, dass es sich bei Cannabis um eine gefährliche Substanz handelt.

Welche Knackpunkte müssen im weiteren Legalisierungsprozess beachtet werden, damit die Freigabe von Cannabis gelingen kann? Das ist eine der Fragen, die Eva Hoch und Ulrich W. Preuss in ihrem Buch beantworten.
Welche Knackpunkte müssen im weiteren Legalisierungsprozess beachtet werden, damit die Freigabe von Cannabis gelingen kann? Das ist eine der Fragen, die Eva Hoch und Ulrich W. Preuss in ihrem Buch beantworten. © Langen Müller Verlag

Beschreitet die Bundesregierung unter diesen Bedingungen nicht einen zu riskanten Weg, gerade mit Blick auf die Volksdroge Alkohol?
Die Bundesregierung wollte Cannabis ja nicht legalisieren, weil es nicht gefährlich ist, sondern weil man das Problem als solches bis dato nicht in den Griff bekommen hat: Aber dann muss man jetzt Gas geben, da müssen nun die Millionen in die Prävention, in die Aufklärung und in die Verbesserung der Behandlung fließen. Ob es ein riskanter Weg ist, wird sich herausstellen – es sind verschiedene Szenarien denkbar. Pendelt sich das ein, jetzt wo der Reiz des Verbotenen weg ist? Ich glaube nicht! Wir werden mehr Menschen haben, die Cannabis konsumieren und potenziell auch mehr Problemfälle. Da muss die Regierung jetzt nachlegen, wirklich massiv Aufklärungsarbeit leisten und eine klare Botschaft formulieren. Die bisher legalen Drogen Alkohol und Tabak werden in der Gesellschaft am häufigsten gebraucht. Sie sind die größten Troublemaker! Nummer drei beim Konsum ist dann Cannabis.


Eva Hoch/Ulrich Preuss: Cannabis – Konsum, Gefahr, Mythen, Risiken, 176 Seiten, ISBN: 978-3-7844-3681-4 , 20 Euro

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