Bus & Bahn Begleitservice in München: „Ein Job, der viel zurückgibt“

Seit eineinhalb Jahren begleiten Langzeit-Arbeitslose Münchner Rentner und Rollstuhlfahrer beim Bus- oder Tramfahren – kostenlos. Jetzt lässt die Stadt das Projekt weiterlaufen.
Irene Kleber |
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Roland Mittag (54) ist zurzeit auf den Rollstuhl angewiesen und traut sich nicht, allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Deshalb lässt er sich von Roswitha S. begleiten.
Daniel von Loeper Roland Mittag (54) ist zurzeit auf den Rollstuhl angewiesen und traut sich nicht, allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Deshalb lässt er sich von Roswitha S. begleiten.

Seit eineinhalb Jahren begleiten Langzeit-Arbeitslose Münchner Rentner und Rollstuhlfahrer beim Bus- oder Tramfahren – kostenlos. Jetzt lässt die Stadt das Projekt weiterlaufen. Und sucht neue Begleithelfer.

München - Langsam rollt der 161er Bus an die Haltestelle Ingolstädter Straße. Sekunden später federt ein lächelnder Fahrer aus dem Bus, öffnet die Rampe der Mitteltür von Hand und lässt Roland Mittag hineinfahren. "Das war jetzt Glück", sagt der Rollstuhlfahrer, "die meisten Fahrer sind nett. Aber manche haben keine Lust, aufzustehen. Die lassen dich eiskalt draußen stehen."

Pilotprojekt existiert seit 2015

Das ist nur einer der Gründe, warum der 54-Jährige, der gerade beim Arzt war und zurück in sein Pflegeheim am Hasenbergl muss, einen besonderen Service der Stadt nutzt: den "Bus & Bahn Begleitservice München" (BBS) mit seiner Zentrale am Hauptbahnhof, finanziert übers städtische Wirtschaftsreferat.

Seit Herbst 2015 gibt es das Pilotprojekt, mit dem Wirtschaftsreferent und Bürgermeister Josef Schmid (CSU) damals gleich zwei gute Ideen miteinander verbinden wollte: Senioren, die allein nicht mehr gut durch die Stadt kommen oder Rollstuhlfahrern wie Roland Mittag kostenlose Begleiter im MVV an die Seite zu stellen - als eine Art "Senioren-Mobil-Truppe". Und Langzeit-Arbeitslosen, die befristet als Helfer eingestellt werden, in einen geregelten Job zurückzuhelfen, aus dem heraus sie sich wieder besser bewerben können.

Das Projekt ist prächtig angelaufen. Seit dem Start haben zehn Mobilitätshelfer etwa 4.500 Fahrten mit Bus, Tram oder U-Bahn begleitet. Vor allem ältere Damen, die zum Arzt und wieder zurück nach Hause müssen. Seh- oder Hörgeschädigte, die sich allein nur schwer orientieren. Oder eben Rollstuhlfahrer, die oft an zu hohen Gehsteigen, kaputten Aufzügen oder unfreundlichen Busfahrern scheitern.

200 erfolglose Bewerbungen, dann kam der "Bus & Bahn Begleitservice"

Roswitha S. (52), die Roland Mittag heute als Helferin begleitet, ist seit vier Monaten dabei. Mehr als drei Jahre war die frühere Büroangestellte bis dahin arbeitslos. 200 Bewerbungen liefen in der Zeit ins Leere. "Ich bin mehr und mehr mutlos geworden", erzählt sie. Bis sie im Jobcenter den Flyer des "Bus & Bahn Begleitservice" liegen sah und sie sich dort meldete.

Einen Monat wurde sie geschult, mit einem Erste-Hilfe-Kurs, Sicherheitstraining, Begleitkunde und Kommunikationstechniken. Inzwischen hat sie selber um die 240 Touren begleitet, kann mühelos einen Rollstuhl manövrieren und kennt denn MVV-Fahrplan fast auswendig.

86 Prozent der Begleiteten nutzen den Service mindestens ein Mal im Monat, 100 Prozent empfehlen ihn gern weiter, ergab eine anonyme Kundenbefragung des Katholischen Männerfürsorgevereins (KMFV), der den Service organisiert.

Weitere Begleiter gesucht

Das ursprünglich befristete Projekt also im Sommer auslaufen lassen? Ist für den Stadtrat keine Option. Der Wirtschaftsausschuss hat gestern deshalb beschlossen, den Service weiter zu finanzieren und sogar in den Abendstunden auszubauen, für Theaterbesuche, Kino oder andere Freizeitgestaltung. Mal mindestens bis Ende 2019. 1,26 Millionen Euro spendiert die Stadt dafür aus dem Fördertopf für Langzeitarbeitslose.

Und: Ab sofort werden bis zu zehn neue Begleiter gesucht. Was sie mitbringen müssen (neben Langzeit-Arbeitslosigkeit und einem Alter über 50), erklärt Projektleiter Wolfgang Krönner, der in der Zentrale an der Luisenstraße 1 sitzt, gleich neben dem Hauptbahnhof: "Fingerspitzengefühl für Menschen, Disziplin, Pünktlichkeit, körperliche Fitness, einen guten Orientierungssinn in der Stadt, Diskretion und die Lust, sich nett zu unterhalten".

Roswitha S. bringt das alles mit. In den 41 Minuten, die die Fahrt von der Ingolstädter Straße zurück ins Pflegeheim am Hasenbergl dauert (mit einmal Umsteigen an der Dülferstraße in den 60er Metrobus), plaudert sie munter mit Roland Mittag. Erfährt, dass es aufwärtsgeht mit seiner Physiotherapie, dass der Frühling ihn fröhlich macht und er fest dran glaubt, bald wieder selbstständig ohne Rollstuhl laufen zu können.

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"Es ist ein Job, in dem man viel zurückbekommt", sagt sie, als sie ihn aus dem Bus begleitet und vor der Haustür abliefert. "Ich bin sehr glücklich damit." Mit dem Gedanken an ihre eigene berufliche Zukunft übrigens auch. "Seit meine Tage wieder Struktur haben, seit ich etwas Gutes und Sinnvolles tue, bin ich wieder aktiver und robuster geworden. Wenn mein Job hier nächstes Jahr endet, finde ich wieder einen neuen", sagt sie. "Garantiert."


Wer Mobilitätshelfer werden möchte, kann sich für ein Erstgespräch telefonisch bei Projektleiter Wolfgang Krönner in der BBS-Zentrale (Luisenstraße 1) melden, Telefon 54 49 18 920.

Wer den Bus & Bahn Begleitservice kostenlos nutzen möchte, ruft ebenfalls unter dieser Nummer an. Aufträge werden zwei bis sieben Tage vor dem gewünschten Begleit-Termin angenommen (buchbar Montag bis Freitag von 9 bis 16 Uhr).

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