Bulgarische Roma in München: "Große Probleme"

Mit großen Erwartungen kommen immer mehr Roma aus Bulgarien nach München. Sie hoffen auf ein besseres Leben in Deutschland - was sie aber hier vorfinden, ist frustrierend. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt
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Nedialki Kalinov kümmert sich um die Roma
Greogor Feindt Nedialki Kalinov kümmert sich um die Roma

MÜNCHEN - Mit großen Erwartungen kommen immer mehr Roma aus Bulgarien nach München. Sie hoffen auf ein besseres Leben in Deutschland - was sie aber hier vorfinden, ist frustrierend. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt

„Große Probleme, große Probleme“, sagt Zvezzda Marinova und runzelt die Stirn. Viel Deutsch spricht sie nicht, obwohl sie seit zwei Jahren in München wohnt. Sie würde gern einen Kurs machen, sagt Zvezzda, aber so lange Sohn Diego keinen Kindergartenplatz hat, muss sie auf ihn aufpassen. Das Leben hier hat sie sich anders vorgestellt. Leichter. Mit einer Arbeit. Jetzt steht die 30-jährige bulgarische Roma, Mutter von zwei Kindern, Schlange bei der Caritas-Essensausgabe an der Landwehrstraße.

„Deutschland ist für die bulgarischen Roma das gelobte Land“, sagt Nedialko Kalinov, genannt Ned. Er stammt auch aus Bulgarien. Alexander Thal von der Caritas hat ihn gebeten, zu helfen, seitdem kümmert sich der Sozialpädagoge und Theologe für die Caritas auf 400-Euro-Basis um ihre Belange, so gut es eben geht.

In Deutschland soll das Leben besser sein, hören die Roma. Und versuchen ihr Glück. „Ich habe sie in der Gegend um den Hauptbahnhof betteln sehen, immer mehr kamen zur Essensausgabe“, sagt Alexander Thal. „Da ist was los, dachte ich, da müssen wir was tun.“ Er stellte Ned ein.

Die Völkergruppe der Roma hat keinen leichten Stand, besonders nicht in der Gesellschaft Bulgariens. Ihre Bildungschancen stehen schlecht, sie sind ärmer, sie sind die ersten, die dort ihre Jobs verlieren. „Die Wirtschaftskrise hat die Bau-Industrie in Bulgarien schwer mitgenommen“, sagt Ned, „das hat die Roma besonders getroffen.“

309790 Ausländer leben in München, 4787 davon kommen aus Bulgarien. Letztes Jahr waren es noch 4138. 2006 lebten nur 2973 Bulgaren in der Stadt. Die Roma kommen in der Hoffnung auf Arbeit, „aus finanziellen Gründen“, sagt Ned. In Bulgarien klafft die Schere zwischen Arm und Reich weit offen. Und am untersten Rand der Skala hangeln sich die Roma entlang.

„Mal gut, mal schlecht“ sei das Leben in Bulgarien gewesen, sagt Zyulbie Mustafova. Vor zwei Jahren wanderte die 72-jährige Witwe allein nach Deutschland aus. „Hier habe ich zu essen.“ Anders als in der Heimat. Auf dem Plastikeimer, den sie bei sich trägt, setzt sie sich, wenn sie an der Straße ausharrt und auf milde Gaben hofft. Viele glauben, sie gehöre zu einer rumänischen Bettelbande. Und lassen sie leer ausgehen. Freitagabend läuft es besser für Zyulbie. Muslime sind angehalten, nach dem Freitagsgebet zu spenden, und in der Gegend um den Hauptbahnhof sind viele Gebetsräume.

Daniela Alexandrova redet auf Ned ein. Sie hat sich Hilfe für ihr Kind erhofft in München, als sie im Februar kam, ihr Neunjähriger ist Autist. Aber ohne Anstellung keine Krankenversicherung. Eine Aufenthaltsgenehmigung brauchen die Bulgaren als EU-Bürger zwar nicht, aber eine Anstellung zu bekommen ist für einen Zuwanderer aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten schier unmöglich. Daniela müsste eine Arbeitserlaubnis auf eine ausgeschriebene Stelle beantragen – dann prüft die Agentur für Arbeit sechs Wochen, ob die Stelle nicht auch an einen Deutschen oder einen anderen EU-Bürger vergeben werden kann. Bis dahin ist die Stelle meist weg.

Gelegenheitsjobs auf Baustellen oder als Reinigungskraft auf Gewerbeschein, das klappt manchmal. Daniela, ihr Mann und das Kind leben vom Ersparten und vom Kindergeld. Ned hilft den Bulgaren mit den Formalitäten.

Dazu besucht er sie in dem Haus in der Untersbergstraße, wo die meisten Roma, die hier Lebensmittel der Tafel einpacken, wohnen. Zu viert, zu fünft, manche zu acht oder zu zehnt oder fünfzehnt in den Zwölf-Quadratmeter-Zimmern. Küche und Bad auf dem Gang, 480 Euro Miete. „Risikogruppen auf dem Wohnmarkt – zahlen viel und kriegen wenig“, sagt Alexander Thal. Die Roma halten zusammen, wenn einer Arbeit hat, gibt er was ab. So kommen sie für die Miete auf. Übrig bleibt wenig.

Ned Kalinov weiß, dass Integration so nicht funktioniert. „In der Untersbergstraße glaubt man, man ist gar nicht in Deutschland.“ Er informiert auch über Deutschkurse, meldet die älteren Kinder in der Schule an. „Wer hier bleiben will, der muss sich integrieren und die Sprache lernen.“ Die Roma vertrauen ihm.

Auch Zvezzda Marinovas Große geht hier in die Schule. Dann sitzt Zvezzda in einem Zimmer in der Untersbergstraße, passt auf den kleinen Diego auf und hofft, dass doch noch alles gut wird. Zurück will sie nicht. Da ist alles noch schlimmer.

„Ich brauche nicht viel“, sagt ihre Mutter Ivanka Ileva. Sie träumt von ein bisschen Geld zum Leben und einer Wohnung, in der all ihre Kinder Platz haben. Bis dahin ist es ein weiter Weg. Den Formulare und Anträge verstellen. „Ich wusste nicht, an wen ich mich wenden soll“, sagt Ivanka. „Ohne Ned würde ich nicht zurecht kommen.“ Sie lächelt gerührt, der rechte Schneidezahn fehlt. Heute ist ein guter Tag. Ihr Sohn hat Arbeit gefunden. Ivanka und die anderen Roma hoffen weiter.

Laura Kaufmann

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