Interview

BRK-Präsident fordert sofortigen Lockdown: "Worauf warten wir noch?"

Theo Zellner, Präsident des Roten Kreuzes in Bayern, will einen sofortigen harten Lockdown - auch, um vor allem Pflegende besser zu schützen.
von  Leonie Fuchs, Lisa Marie Albrecht
Ein Polizeiwagen auf dem leeren Marienplatz - ab 21 Uhr herrscht Ausgangssperre. Doch das reicht dem BRK nicht. (Symbolbild)
Ein Polizeiwagen auf dem leeren Marienplatz - ab 21 Uhr herrscht Ausgangssperre. Doch das reicht dem BRK nicht. (Symbolbild) © picture alliance/dpa

München - Theo Zellner im AZ-Interview: Der 71-jährige Kommunalpolitiker (CSU) ist seit 2013 Präsident des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK).

AZ: Herr Zellner, seit März ist die Pandemie ständiger Begleiter der Mitarbeiter beim Bayerischen Roten Kreuz. War es das anstregendste Jahr, das sie bisher erlebt haben?
THEO ZELLNER: Es war ein sehr anstrengendes Jahr, vor allem deshalb, weil sich die Krise so lange hinzieht. Die Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen des BRK sind es gewohnt, dass sie zwar in schlimme, aber doch relativ kurze Einsätze geschickt werden - zum Beispiel bei einer Schneekatastrophe oder bei Hochwasser. Aber jetzt ist es ein Dauerzustand des Angespanntseins. Ich nenne nur die Pflegerinnen und Pfleger.

Theo Zellner ist Präsident des Bayerischen Roten Kreuzes.
Theo Zellner ist Präsident des Bayerischen Roten Kreuzes. © BRK

Wie lange halten die Mitarbeiter diese Belastung durch, wenn die Zahlen nicht sinken?
Sie werden nicht nachlassen, das weiß ich. Wenn die Zahlen zu stark ansteigen, dann stehen wir vor ganz anderen Fragen: Wie schaut es mit den Intensivbetten aus? Wie sind die Kapazitäten in den Kliniken? Aber damit es gar nicht erst so weit kommt, müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden.

Welche Entscheidungen meinen Sie konkret?
Ich habe ständig davor gewarnt, dieser Seitwärtsbewegung der Fallzahlenentwicklung zu lange zuzuschauen. Und deswegen brauchen wir jetzt einen Lockdown, der wirklich ein Lockdown ist. Im Frühjahr hat sich gezeigt, dass dann die Zahlen sinken. Und hinzu kommt, dass, wenn wir jetzt einen richtigen Lockdown machen, wir - wenn es gut läuft - danach in eine Zeit kommen, in der die Impfung da sein sollte. Vor allem geht es aber darum, diejenigen zu schützen, die seit März immer und immer wieder in den Krankenhäusern und Altenheimen unglaublich viel leisten.

Theo Zellner: "Für das Virus ist Weihnachten nur ein Datum"

Sie wünschen sich also einen harten Lockdown ab sofort?
Ja.

Inklusive einer Kontaktreduzierung über Weihnachten?
Man muss schon klarstellen: Für das Virus ist Weihnachten nur ein Datum, das vorbei geht.

Also sind die Lockerungen der Staatsregierung über Weihnachten fahrlässig?
Fahrlässig würde ich es nicht nennen. Ich glaube schon, dass es vertretbar ist, dass die Familie zusammenkommt. Aber damit es danach nicht zu einem Anstieg der Infektionszahlen kommt, ist es umso wichtiger, im Vorfeld Maßnahmen zu treffen. Dann gibt es eine Chance, dass die Zahlen nicht rasant ansteigen.

Wie soll ein harter Lockdown aussehen?
Ich denke, dass die Ferien eine große Chance bieten, Kontakte zu reduzieren. Warum schickt man die Kinder nicht jetzt schon in die Ferien und macht die Schulen zu? Und auch die Wirtschaft muss einen Beitrag leisten. Einen kurzen, schnellen Lockdown muss sie ein zweites Mal verkraften. Allerdings muss eine Perspektive da sein. Es braucht einen klaren Stufenplan, was nach dem 10. Januar, ab welchem Inzidenzwert geschieht.

Zellner: "Ansteckungsgefahr für ältere Menschen ist einfach enorm"

Ist der Teil-Lockdown im November zu spät gekommen?
Ja, das finde ich schon. Ich bin überzeugt, dass die Politik sich mit der Thematik intensiv befasst hat, aber es war schon Mitte November absehbar, dass diese "kleinen" Maßnahmen nicht ausreichen. Wir sind sehr froh, dass es jetzt zumindest ein Konzept für den Besuch im Altenheim gibt, aber wir brauchen einen schärferen Lockdown. Worauf warten wir noch?

Bleiben wir bei den Altenheimen: Wie konnte es dazu kommen, dass sich diese auch in Bayern so stark zu Corona-Hotspots entwickelt haben?
Die Ansteckungsgefahr für ältere Menschen ist einfach enorm. Und durch die hohen Inzidenz-Zahlen konnte nicht mehr zurückverfolgt werden, wenn zum Beispiel ein Pfleger oder eine Pflegerin das Virus von Zuhause mitbringt, weil das Kind in der Schule war und die Mitarbeiterin dann ins Altenheim gekommen ist. Deswegen ist es auch so wichtig, dass die Heime jetzt mit Schnelltests ausgestattet werden und es die Regelung gibt, nur einen Besucher pro Tag zuzulassen. Zu viel wird in die Altenheime letztendlich von außen hineingetragen.

Tut man den Heimbewohnern also einen Gefallen, wenn man sie nicht besucht?
Man tut ihnen dann einen Gefallen, wenn man sie besucht und negativ getestet ist. Wenn man aber einfach unkontrolliert reingeht, dann funktioniert es nicht. Dennoch bin ich mir bewusst, dass es natürlich einen sozialen Tod gibt und die Menschen Kontakte brauchen. Darum gibt es jetzt in den Altenheimen FFP2-Masken und es gibt Schnelltests - wobei man auch hier den Organisationsaufwand sehen muss. Denn wenn ein Schnelltest positiv ist, muss ja auch noch ein PCR-Test gemacht werden, und dann kann es wieder zu einer Warteschleife kommen. Letztendlich muss man an das Verantwortungsbewusstsein der Besucher appellieren.

Impfzentren ab 15. Dezember? "Ich bin sehr zuversichtlich"

Das BRK wirkt teilweise auch am Aufbau der 93 bayerischen Impfzentren mit, die bis zum 15. Dezember fertig sein sollen. Ist der Termin realistisch?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass dieser Termin eingehalten werden kann. Aber viel wichtiger finde ich, dass, bevor man sich impfen lässt, viel mehr Aufklärung in der Bevölkerung dringend notwendig ist. Denn derzeit ist nicht einmal die Hälfte dazu bereit. Und: Es ist nicht klar, ob jemand der geimpft ist, nicht trotzdem jemand anderen anstecken kann. Die Impfung ist also kein Freifahrtschein. Die Hygieneregeln, Masken, Abstände und so weiter, werden uns - so die Schätzung von Fachleuten - noch mindestens ein Dreivierteljahr begleiten. Aber trotzdem muss das Ziel sein, sich impfen zu lassen. Und dafür muss Akzeptanz gewonnen werden. Nur so werden wir dieser Pandemie Herr.

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