Borderline-Störung: Münchnerin erzählt vom Kampf gegen Stigmatisierung

Psychisch Kranke kämpfen nicht nur mit ihrem Alltag, sondern auch mit Stigmata, sagt Dominique de Marné. Die Münchnerin ist bei Weitem nicht allein.
von  Julia Sextl
Dominique de Marné lebt mit Borderline – und das mittlerweile ziemlich gut.
Dominique de Marné lebt mit Borderline – und das mittlerweile ziemlich gut. © privat

München - Sie ist 15, als sie zum ersten Mal zur Rasierklinge greift. Langsam führt sie das messerscharfe Blatt zum linken Unterarm. Dann drückt sie es tief ins Fleisch, bis das Blut fließt. Sieben lange Jahre geht das so. Dazu extremer Alkoholkonsum – eine Flasche Wodka, schlückchenweise über den Tag verteilt.

Dominique de Marné hat Borderline. Das Trinken damals half ihr, ihre Überempfindlichkeit für äußere Reize zu dämpfen; das Ritzen , die innere Anspannung loszuwerden. Ablenken, Durchatmen, Weiterleben: "Es ist wie Druck ablassen bei einem Luftballon, der kurz vorm Platzen ist", sagt die heute 32-Jährige. Sie strahlt, während sie redet, wirkt voller Energie, in sich ruhend, pumperlgsund eigentlich.

Und doch ist die Krankheit bis heute nicht verschwunden. "Alle Symptome sind noch da. Aber ich habe es in den letzten Jahren mit viel Therapie und Arbeit geschafft, dass ich’s im Griff habe. Es geht mir gut." Vor fünf Jahren erst suchte sie Hilfe. Heute hilft sie anderen.

Allein in München sind 300.000 Menschen psychisch krank

Borderline ist eine von verschiedenen Persönlichkeitsstörungen und psychischen Erkrankungen. Jüngsten Zahlen zufolge sind allein in München mehr als 300.000 Menschen davon betroffen. Zu den häufigsten Krankheiten zählen Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch.

Anlässlich des Welttags der seelischen Gesundheit am kommenden Mittwoch weist nun ein Münchner Aktionsbündnis aus Vertretern der Stadt, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen besonders auf die Stigmatisierung psychisch Kranker hin. Zugleich fordert es Nachbesserungen am umstrittenen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. "Was dabei zum Beispiel nicht abgedeckt ist – aber eine große Problematik –, ist, dass es keine Infrastruktur gibt für Menschen, die eine Krise haben. Dabei könnten diese frühzeitig aufgefangen werden, bevor die Krise zur Krankheit wird", sagt etwa Grünen-Stadtrat Hep Monatzeder als Vertreter der Münchner Zivilgesellschaft. Es müssten mehr Netzwerke und niederschwellige Angebote geschaffen werden.

Doch auch Arbeitgeber müssten mehr Verständnis für psychisch Kranke aufbringen, meint Dominique de Marné: "Die Angst, dass es jemand rausfindet, ist einfach unfassbar belastend." Was, wenn der Vorgesetzte einen für nicht mehr leistungsfähig hält? Was, wenn man deshalb den Job verliert? Dabei sei die Prävention bei psychischen Erkrankungen sogar einfacher als bei physischen, sagt de Marné. "Da könnte man im Vorfeld schon Druck rausnehmen, wenn man als Arbeitnehmer einfach mal sagen könnte: ,Ich habe heute einen Scheißtag’. Oder wenn man in solchen Fällen einfach mal eine halbe Stunde spazierengehen könnte. Dann gäbe es einige dieser Spontanausfälle sicher nicht."

Doch nicht alle psychisch Erkrankten sind in der Lage, im harten Arbeitsalltag zu bestehen. Um sie kümmert sich in München unter anderem Vera Hahn als Leiterin des Clubhauses Schwalbennest in der Ludwigsvorstadt. Es ist Teil des Sozialpsychiatrischen Zentrums des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und eine Art Tagesstätte, die neben sozialen Kontakten einen strukturierten Alltag für seine Besucher bietet. "Unser Ziel sind Kooperationen mit Firmen, damit die Leute, die wieder arbeiten wollen, damit auch wieder anfangen können", sagt Hahn.

Finanzdienstleister hilft bei der Wiedereingliederung

Eine dieser Firmen ist die State Street Bank, ein US-Finanzdienstleister mit einer Münchner Niederlassung, der durch Zufall dazu kam. "Bei uns in der Bank können sich die Mitarbeiter bis zu zwei Tage im Jahr freinehmen, um sich sozial zu engagieren. Darüber haben wir das Clubhaus kennengelernt", sagt Thomas Nave, Abteilungsleiter innerhalb der State Street Bank.

Das war vor 15 Jahren. Seitdem arbeiten Clubhaus-Mitglieder jeweils sechs bis neun Monate in der Bank und werden so Schritt für Schritt wieder ins Arbeitsleben geführt. "Das fängt mit leichten Kopiertätigkeiten an und kann bis zur Ablage oder Organisation von Meetings führen", sagt Nave. "Je nachdem, wie derjenige damit zurechtkommt. Das Tolle ist, es findet eine Entwicklung statt. Mittlerweile haben wir sogar drei von ihnen unbefristet übernommen." Das Besondere sei die hohe Motivation der Beteiligten, sagt Nave.

Motiviert ist auch Dominique de Marné. Sie schaffte trotz ihrer Erkrankung ein gutes Abitur, hat studiert und arbeitet heute als Autorin und Texterin. Zudem engagiert sie sich für Menschen mit psychischen Krankheiten, hält Vorträge und ist als Bloggerin im Internet aktiv. Am kommenden Mittwoch ist de Marné als Rednerin bei der jährlichen Kundgebung zum Welttag der seelischen Gesundheit am Max-Joseph-Platz zu hören (Beginn 16 Uhr).

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