Bogenhausen: Hilfe, wir werden raussaniert!

In der Bogenhausener Lamontstraße wird ein ganzer Wohnblock saniert und modernisiert. Die Mieten erhöhen sich drastisch – und die Anwohner fürchten, dass man sie rausekeln will
Konstanze Faßbinder |
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Die ersten Ost-Balkone sind schon weg. Damit die Mieter nicht aus den Fenstertüren fallen, werden die halbhoch verschalt.
Gregor Feindt 3 Die ersten Ost-Balkone sind schon weg. Damit die Mieter nicht aus den Fenstertüren fallen, werden die halbhoch verschalt.
Die Walser Immobiliengruppe wickelt den Verkauf der Wohnungen ab. Ihr Werbeplakat vor dem Haus soll potenzielle Käufer locken.
Gregor Feindt 3 Die Walser Immobiliengruppe wickelt den Verkauf der Wohnungen ab. Ihr Werbeplakat vor dem Haus soll potenzielle Käufer locken.
Julia Dobias vor ihrem Haus. Seit 42 Jahren wohnt die 87-Jährige in der Lamontstraße. „Ich bin fertig mit den Nerven“, sagt sie.
Gregor Feindt 3 Julia Dobias vor ihrem Haus. Seit 42 Jahren wohnt die 87-Jährige in der Lamontstraße. „Ich bin fertig mit den Nerven“, sagt sie.

"Ich habe den Prager Frühling überlebt – aber ich weiß nicht, ob ich das überlebe“, sagt Julia Dobias. Die 87-Jährige ist verzweifelt. Sie weiß nicht, ob sie sich ihr langjähriges Zuhause bald noch leisten kann. Damit ist sie nicht alleine. Denn in der Lamontstraße in Alt-Bogenhausen wird ein ganzer 50er-Jahre-Wohnblock saniert und modernisiert. Die bewohnten und unbewohnten Wohnungen sollen teuer verkauft werden. Die Mieten steigen dann natürlich. Teilweise sollen sie sich fast verdoppeln.

Ende 2013 soll alles renoviert sein. Ungemütlich ist's schon jetzt. Balkone werden abgerissen, Balkontüren hüfthoch mit Brettern verschalt, vor den Fenstern klettern Bauarbeiter umher, es wird gebohrt und gehämmert. Die einst gepflegten Vorgärten mit den alten Bäumen gleichen einem Schlachtfeld, Bauschuttcontainer stehen neben einer wuchtigen Hebebühne im Matsch.

Das wäre alles nicht so schlimm, wüssten die Mieter: Sie können bleiben. Zwar habe es geheißen, niemand müsse ausziehen, erzählt Hella Seiffert. „Aber leisten kann’s sich halt keiner mehr.“ Bisher zahlt die Rentnerin für ihre 72 Quadratmeter große Zweizimmerwohnung 7,30 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter.

Laut einem Schreiben vom Juli soll sie nach der Renovierung 13,50 Euro zahlen – kein Wunder, sollen die Wohnungen doch zu Quadratmeterpreisen zwischen 7000 (bewohnt) und über 9000 Euro (unbewohnt, komplett renoviert) verkauft werden. Dass sie bisher verhältnismäßig wenig zahlt, ist Seiffert bewusst. „Aber fast das Doppelte? Das kann ich mir einfach nicht leisten!“ Seit 30 Jahren wohnt sie in der Lamontstraße. Und ist damit nicht mal die langjährigste Anwohnerin. Viele Mieter sind Rentner, manche schon über 90 Jahre alt. Für die wäre es noch schlimmer, sich eine neue Bleibe suchen zu müssen.

Überhaupt, die Alten. Die litten am meisten darunter, als am 11. November die großen Bäume entlang der Straße gefällt wurden, „ohne Ankündigung“, wie sich ein Mieter empört. „Schluchzend standen sie auf der Straße.“ Julia Dobias zum Beispiel, die fast die Hälfte ihres 87-jährigen Lebens hier verbrachte. „Wir haben so geweint“, erzählt sie eine Woche nach dem radikalen Kahlschlag. Mit zitternder Hand deutet sie auf die matschige Fläche, die mal ein Rasen war. Man merkt: Die alte Dame kann es noch nicht fassen.

Was für die Mieter der Lamontstraße eine kleine Tragödie darstellt, erklärt der Vermieter als simple Notwendigkeit. Die Bäume mussten weg, damit die baufälligen Balkone leichter abgetragen werden können. „Angeblich“, kommentiert ein Mieter. „Gutachten haben wir keines gesehen.“

Zum Schutz der Mieter also werden die alten Balkone abgerissen. Dagegen lässt sich rechtlich nichts sagen, sagt Rechtsanwalt Michael Vill vom Mieterverein München. Eine solche Sanierungsmaßnahme darf der Vermieter auch ohne Ankündigung durchführen; den Mietern in Rechnung stellen darf er sie nicht.

Was er hingegen schon auf die Mieter umlegen darf, sind Kosten für Modernisierungsmaßnahmen. Und davon soll es in der Lamontstraße gleich mehrere geben. Ziel sei, „das Gesamtobjekt durch Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen energetisch zu verbessern“, wie der Eigentümer, die Lamontstraße 10-22 GmbH & Co KG, mittels Anwalt mitteilen lässt. Neben neuen Balkonen seien „Maßnahmen wie Wärmedämmung, Fassade, Fenster, Anschluss Fernwärme, Aufzüge etc.“ geplant.

Was genau mit „Fassaden und Fenster“ gemeint ist, können die Mieter den Hochglanz-Verkaufsprospekten zu ihrem Wohnblock und einer großen Werbetafel vor ihrer Haustür entnehmen: Die meisten Ostbalkone und Teile der West-Balkone werden demnach in den Wohnraum integriert und damit in geldwerte Wohnfläche umgewandelt. Auf der Westseite soll zudem die Balkonfläche vergrößert werden. Das soll aber erst im Frühling geschehen.

Bei der Lamontstraße 10-22 GmbH & Co KG heißt es auf Anfrage der AZ, man lege bei der „Durchführung des Sanierungsprojektes Wert auf Transparenz“. Bereits im Juli habe man deshalb die Mieter mit einer Modernisierungsankündigung über die geplanten Arbeiten informiert; für die gesamte Bauzeit erhalten alle eine Mietminderung von 25 Prozent.

Viele Mieter jedoch fühlen sich schlecht unterrichtet und sind verängstigt. Wie genau die Integration der Balkone in die bestehenden Räume vonstatten gehen sollen, sei beispielsweise noch nicht bekannt. Bei Hella Seiffert etwa wären alle Räume, das heißt Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche, von den drastischen Umbauten an Außenmauern, Fenstern und Heizkörpern betroffen.

„Da sollen Tatsachen geschaffen werden“, vermutet ein Mann, der anonym bleiben möchte. Worum es eigentlich geht, da sind er und andere sich einig: Sie sollen aus ihren Wohnungen geekelt werden.

„Keiner von uns braucht diese paar Extra-Quadratmeter“, sagt Ulrike Fischer, deren Wohnung im Erdgeschoss liegt. Es gehe nur darum, „mit mehr Grundfläche einen höheren Kaufpreis herauszuschlagen“, vermutet Franz Bauer. Er wohnt mit seiner Lebensgefährtin im zweiten Stock.

Und doch sind es diese paar Quadratmeter, die den Mietern neben einer Menge Dreck und Ärger auch helfen könnten: Denn die neuen Balkone zu ummauern und so zu einem Teil der Wohnung zu machen, ist eine Änderung der Mietsache. Deren Ausmaße sind aber vertraglich fixiert. „Eine Änderung müssen die Mieter deshalb nicht dulden“, erklärt Rechtsanwalt Vill. Er vertritt einige Anwohner der Lamontstraße.

„Grundsätzlich macht es die Mischung aus Sanierung und Modernisierung schwierig, klar zu sagen, um wie viel der Vermieter die bisherige Miete erhöhen darf“, erklärt Vill. Für jede Wohnung muss einzeln bestimmt werden, zu welchem Anteil saniert und zu welchem modernisiert wird.

Auf Basis dessen will Vill die künftigen Mieten aushandeln. Wenn seine Mandanten die Erweiterung ihres Wohnraumes ablehnen, könne man das als Faustpfand in den Verhandlungen nutzen. Ziel sei, die künftigen Mieten über einen bestimmten Zeitraum einigermaßen niedrig zu halten.

Mieter wie Hella Seiffert, die im Haus alt geworden sind, könnten dann bleiben. „An diesem Haus hängt doch mein Herz“, sagt sie. Auch Ulrike Fischer will nicht weg. „Wir machen doch das Viertel aus, wir Bewohner.“

Ein erster Erfolg der Gemeinschaft: Im Dezember soll es einen Informationsabend mit dem Eigentümer geben.

 


 

Sanierung, Modernisierung: Was Sie als Mieter zahlen müssen und was nicht

Grundsätzlich müssen Mieter nichts zahlen, was als Sanierungmaßnahme gilt, erklärt Anja Franz vom Mieterverein München. Von Sanierung spricht man, wenn etwas instandgesetzt wird.

Wird der Wohnwert hingegen nicht nur erhalten, sondern auch verbessert, handelt es sich um Modernisierung. Auch Maßnahmen zur Energieeinsparung gehören hierzu. 11 Prozent der Kosten darf der Vermieter auf die Jahresmiete umwälzen. Da die monatliche Mieterhöhung zum Teil der Grundmiete wird, muss sie auch bezahlt werden, wenn die eigentlichen Renovierungskosten schon abgeglichen sind.

Es gibt auch Mischmaßnahmen. Alte, kaputte Fenster beispielsweise werden durch neue nicht nur ersetzt, sondern auch verbessert. Welchen Anteil Modernisierung und Sanierung im speziellen Fall haben, muss stets neu entschieden werden.

 

 

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