Blutenburg: Ein Kinderbücherschatz im Schloss

In der Blutenburg läuft gerade eine sehenswerte Ausstellung historischer Wissensbücher aus fünf Jahrhunderten. Für die AZ stellt die Kuratorin eine kleine Auswahl vor.
von  Irene Kleber
1909: Die Illustratorin Gertrud Caspari zeichnet in ihrem "Anschauungs- und Darstellungsbuch. Auf dem Lande" Menschen, Tiere und Gegenstände zu einer Vorlesegeschichte.
1909: Die Illustratorin Gertrud Caspari zeichnet in ihrem "Anschauungs- und Darstellungsbuch. Auf dem Lande" Menschen, Tiere und Gegenstände zu einer Vorlesegeschichte. © Foto: Internationale Jugendbibliothek

Gibt es Lämmergeier wirklich? Wieso ist die Milchstraße so hell? Und was macht eigentlich ein Theatermaler? Fragen wie diese haben Kinder auch vor zwei, drei, vierhundert Jahren schon beschäftigt - und wie Erwachsene sie beantwortet haben, hing nicht nur vom verfügbaren Wissen ab, sondern auch von den pädagogischen Methoden.

Einen spannenden Blick in die Geschichte der Kinder-Sachbücher kann man aktuell in der Jahresausstellung der Internationalen Jugendbibliothek werfen - in der Blutenburg in Obermenzing. Dort ist nämlich ein echter Schatz an rund 50 historischen Kinder-Wissensbüchern zu sehen. Die hat der Sammler Werner Ziesel der "Stiftung Internationale Jugendbibliothek" als Schenkung übergeben.

Kuratorin Jutta Reusch hat daraus eine Ausstellung konzipiert, die neben den historischen auch neue Sachbilderbücher zeigt - und Stücke, wie man sie in Kuriositätenkabinetten findet. So lässt sich nachvollziehen, wie das Wissen über die Welt Kindern zu verschiedenen Zeiten vermittelt worden ist. Für die AZ hat sie ihre Lieblingsbücher herausgesucht.

1909: Die Illustratorin Gertrud Caspari zeichnet in ihrem "Anschauungs- und Darstellungsbuch. Auf dem Lande" Menschen, Tiere und Gegenstände zu einer Vorlesegeschichte.
1909: Die Illustratorin Gertrud Caspari zeichnet in ihrem "Anschauungs- und Darstellungsbuch. Auf dem Lande" Menschen, Tiere und Gegenstände zu einer Vorlesegeschichte. © Foto: Internationale Jugendbibliothek

Hier zum Beispiel, ist ein Kinderbuch aus dem Jahr 1909 zu sehen. Die Illustratorin Gertrud Caspari (1873 geboren), die 50 eigene Kinderbücher vor allem mit Lithografien veröffentlicht hat, nennt es "Anschauungs- und Darstellungsbuch. Auf dem Lande". "Hurra, Mutter macht mit uns heute eine Landpartie ...", so beginnt der Text zu den Bildern, die dann allerlei zeigen, was den Ausflüglern in der Geschichte begegnet - wie einen Bauern mit Kälbchen, einen Soldat mit Flinte, eine Fledermaus und ein Schloss.

Gertrud Caspari gilt als Schöpferin eines modernen Kleinkindstils (Caspari-Stil) mit flächigen Figuren, einfachen Perspektiven, einfarbigen Hintergründen und warmen Farben. Ihre Bücher erzielen heute im Antiquariat Höchstpreise. Dieses Buch ist in der Ausstellung in der dritten große Vitrine am Treppenaufgang links zu finden.

Das Tierreich in Versen (1851)

Lustig zum Lernen: Das Leben von Ara und Goldfasan in Reimen.
Lustig zum Lernen: Das Leben von Ara und Goldfasan in Reimen. © Foto: Internationale Jugendbibliothek

Lämmergeier, Wandertaube, Goldfasan und Roter Ara: In diesem Buch aus dem Jahr 1851 sind exotische Vögel nicht nur prächtig gezeichnet. Die Schriftstellerin Kathinka Zitz (geb. 1801), die schon mit 16 Jahren anonym Zeitungstexte veröffentlicht und später als Erzieherin gearbeitet hat, hat sich auch lustige Reime ausgedacht, um Kindern die Tiere vorzustellen. Schön anzuschauen ist auch die schwungvolle Schnörkelschrift im Buch. "Naturgeschichte des gesammten Thierreichs in Versen - Zur Belehrung und Erheiterung der Jugend, Teil III" heißt das Buch. Zu finden ist es im Vitrinenturm vorne in der Ausstellung (erste Vitrine rechts oben).

Den "strebenden Geist der Kinder spielend wecken" (1848)

Vom Citronfalter bis zum Cameel - gleich in drei Sprachen.
Vom Citronfalter bis zum Cameel - gleich in drei Sprachen. © Foto: Internationale Jugendbibliothek

Wenn man schon ein aufwendig gemaltes Bilderlexikon über Flora und Fauna für Kinder drucken lässt, warum dann nicht gleich in drei Sprachen für einen besonders großen Leserkreis? Im Revolutionsjahr 1848 hat Traugott Bromme (der viele Sachbücher übersetzt hat) das jedenfalls so gemacht. In seinem "Neuesten Bilderbuch zur Belehrung und Unterhaltung" hat er die Erklärungen auf französisch, deutsch und englisch geschrieben. In der Einleitung heißt es, Eltern sollen damit "den strebenden Geist der Kinder spielend wecken und ihnen zugleich die lehrreichste Unterhaltung" bieten. Über das Kamel auf der "Tafel 5" (s. rechts), die auch den "Citronfalter", den "Cacaobaum" und den "Coriander" erklärt, steht da zu lesen: "Das Cameel, Trampelthier, ... Wiederkäuer, unterscheidet sich vom gemeinen, arabischen Cameel (Dromedar) durch seine zwei Höcker; auch ist es größer, und dabei boshafter und unbändiger. Es wird in Ost- und Mittelasien, so wie in der Krim als Hausthier gehalten ... Seine sehr feine Wolle wird zu Hüten und Filzen, die Haut zu Schläuchen verarbeitet; das Fleisch, besonders der Jungen, ist sehr gut. Zum Reiten taugen sie nicht; die Tataren spannen aber mit einem Joche an die Wagen ..." Das Buch ist in der Ausstellung im Vitrinenturm rechts zu finden (mittlere große Vitrine).

Der Ursprung des Universums (1671)

Im ältesten Büchlein (1671) schwebt ein Genius über dem Globus.
Im ältesten Büchlein (1671) schwebt ein Genius über dem Globus. © Foto: Internationale Jugendbibliothek

Ein Genius schwebt als Schutzgeist über dem Globus auf dem fein gezeichneten Buchtitel des Kupferstechers Christian Romstet aus der Barockzeit. Dahinter sind Städte, Wasser und Schiffe zu sehen. Das älteste Buch der Ausstellung, in dem es auch um den Ursprung des Universums geht, hat 1671 der Buchhändler Georg Heinrich Frommann verlegt. "Welt- oder Erd- und Wasser-Kugel" steht auf dem Titel. Zu finden ist es in der vierten Hängevitrine links vom Turm.

Der Himmel und seine Wunder (1813)

Was glitzert denn da im Nachthimmel? Das hat in allen Jahrhunderten Kinder interessiert. In diesem Buch von 1813 erklärt der Geograf und Pädagoge Karl Friedrich Vollrath Hoffmann (geb. 1796) Himmelskörper, Sternbilder und auch Wetterphänomene. "Der Himmel mit seinen Wundern und der Kalender mit seiner Deutung" steht auf dem Titel. Am Untertitel "für Leser aus allen Ständen, vor allem für die wißbegierige Jugend überaus faßlich und verständlich vorgetragen" lässt sich ablesen, dass Bildung nicht mehr nur dem Adel und Klerus vorbehalten war, sondern auch Bürger-Kindern.

Kamel und Krokodil für die "Wißbegierde und Einbildungskraft" (1844)

Kolorierte Zeichnungen exotischer Tiere - hier Krokodil und Kamel aus "Afrika".
Kolorierte Zeichnungen exotischer Tiere - hier Krokodil und Kamel aus "Afrika". © Foto: Internationale Jugendbibliothek

Ein Krokodil am Fluss, ein Äffchen im Baum, ein Kamel vor einer ägyptischen Pyramide - und das alles sehr farbenfroh: Für dieses Schulbuch aus dem Jahr 1844 kolorierte der Lithograf und Verleger Johann Ferdinand Schreiber Zeichnungen exotischer Tiere in ihrem Lebensraum mit Wasserfarben und Schablonen. "Bilder für den Anschauungsunterricht für die Jugend" steht auf dem Buchcover. Mit Schreibers Herstellungsmethode begann übrigens die fabrikmäßige Produktion des Kolorits. Im Vorwort heißt es, Tiere fremder Länder hätten für Kinder so viel Anziehungskraft, weil sie in ihnen "lauter Neues, von ihren täglichen Umgebungen Abweichendes" sehen und in "ihrer Wißbegierde und ihrer Einbildungskraft eine angenehme und nährende Beschäftigung" finden. Das Buch ist im Vitrinenturm links zu finden.

Das Alphabet in bunten Bildern (1826)

Trommel, Trompete, Triangel - die erklären den Buchstaben "T".
Trommel, Trompete, Triangel - die erklären den Buchstaben "T". © Foto: Internationale Jugendbibliothek

Mit 15 Geschwistern ist der Predigersohn Friedrich Philipp Wilmsen (geb. 1770) aufgewachsen, und was ihm gar nicht gefallen hat, war der Drill, der damals an den Schulen herrschte. Darum ist er selber Pädagoge geworden – und 1826 hat er "Gustavs und Malwinas Bilderschule" herausgebracht, ein "belehrendes Buch für Kinder, welche anfangen zu lesen". Darin vermittelt er das Alphabet mit Bildern von Gegenständen, die mit dem jeweiligen Buchstaben beginnen. Das "T" etwa mit Trommel, Trompete und Triangel. ein Text-Dialog daneben erklärt, wie zum Beispiel derVater mit dem Kind diese Bilderserie besprechen kann. Zu finden ist das Buch in einer der Hängevitrinen der Ausstellung. 

Die Ausstellung "Ich weiß etwas, was du nicht weißt" läuft bis 15. April 2023 im Schloss Blutenburg in Obermenzing. Öffnungszeiten: Mo-Do 10-16 Uhr, Fr 10-14 Uhr, Sa/So 14-17 Uhr

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