Bis zu 10.000 Teilnehmer erwartet: In München wird wieder Krach gemacht

München - Tanzen ist auch Sport, lautet eines der Mottos der Krachparade. Ihren Protest bezeichnen sie auch als "Mehrschallplan". Der Demo-Umzug fordert inzwischen zum zwölften Mal, dass München laut sein darf. Der natürlich laute Protestzug startet mit 40 Musikkollektiven und Bands sowie einer Auftaktkundgebung am Samstag um 14 Uhr am Odeonsplatz und endet zwischen 21 und 22 Uhr auf der Theresienwiese.
AZ: Herr Schock, als Sie sich mit Ihren Mitstreitern vor etwa zehn Jahren zusammenfanden, worum ging es da genau?
JONATHAN SCHOCK: Wir wollten die Schwabinger Sieben und Mamas Kebap Haus erhalten, damit die Gegend nicht luxussaniert wird. Wir wollten uns gegen die Stilllegung der Stadt wehren.
Also gegen eine leisere Stadt?
Genau. An der Freiheit sind nach dem Neubau nur stille Gewerbe eingezogen, Supermärkte, aber keine Bars und Musikkneipen. So wird kulturelles Leben und Platz für Vielfalt verdrängt. Es kommt dazu, dass Eigentümer von Luxusbauten dann Mieter haben, die es besonders still haben wollen.
Am Wedekindplatz kam es seit Corona zu Polizeieinsätzen, weil sich junge Leute versammelten.
Clubs und Bars hatten ja alle geschlossen. Da wurde die Schlüsselrolle von solchen Stätten richtig klar. Die Polizeieinsätze fanden wir natürlich auch nicht gut, vor allem im Englischen Garten. Es zeigt aber auch, dass junge Menschen den Raum, den sie brauchen, einfach vereinnahmen, wenn er fehlt. Deswegen ist seit Corona auch die Zahl der nicht angemeldeten Partys in die Höhe geschossen.

Krachparade in München: "Es herrscht Lärmdieskriminierung, wir fordern, dass sich Gesetze ändern"
Ist auch wichtig, dass solche Räume legal bespielt werden?
Keine Party ist illegal. Es wird gerne von illegalen Veranstaltungen gesprochen. Das Problem ist: An sich ist es in Bayern nicht möglich, eine private Party legal anzumelden. Eine Hochzeit oder ein Geburtstag ist grundsätzlich eine nicht angemeldete Veranstaltung. Das ist eine unserer Forderungen: Privatpartys feiern zu können, ohne Gefahr zu laufen, dass sie aufgelöst werden. Wir nennen das Lärmdiskriminierung. Damit sich das wandelt, müssten sich Gesetze ändern.
Muss man von Lärm zu Lärm unterscheiden?
Selbstverständlich. Es ist absurd. Menschen nehmen Straßenlärm viel eher hin, als wenn sich ein paar Leute vorm Haus treffen und sich nach 22 Uhr noch hörbar unterhalten. Warum wehrt man sich nicht stärker gegen Straßenlärm? Lachen, toben, tanzen ist ein guter und sozialer Lärm. Dafür gehen wir auf die Straße, dass eine bunte Szene auch mal laut sein darf.
Die Krachparade findet zum zwölften Mal statt. Was wird anders sein?
Der Protestzug wird doppelt so groß sein wie 2023. Wir erwarten bis zu 10.000 Teilnehmer und rechnen mit einem Maximum von 20.000 Leuten.
Wer nimmt teil?
Ein breites Bündnis. Der Arbeitskreis Wohnen, Bündnis Mietenstopp, Initiative Justizzentrum erhalten, Münchner Clubs, Techno-Kollektive... Es könnte groß werden.
Bei der Parade 2023 gab es sehr konkrete Forderungen.
Wir wollten 20 Orte, die regelmäßig bespielt werden können. Seither sind die MUCs entstanden, die Munich Urban Celebrations. Gefördert durch die Stadt und organisiert von der Mona, der "Moderation der Nacht". Das hat uns sehr gefreut, aber von den 20 geforderten Flächen sind nur drei genehmigt worden. Wir forderten auch eine Aufstockung bei Mona, da gab es zwar neues Personal. Aber Kay Mayer ist leider zurückgetreten, der bisherige Nachtbürgermeister. Seine Stelle ist immer noch nicht nachbesetzt. Auf der anderen Seite wurde die Stelle der früheren Kommunalreferentin Kristina Frank sofort neu besetzt. Da kann man die Prioritäten der Stadt schon erahnen.
Und sonst?
Wir fordern auch neun bis zehn Tage einen Ausgleich zu den stillen Feiertagen in Bayern. Neun bis zehn Tage im Jahr, an denen man legal nach 22 Uhr richtig laut sein darf. Aber nicht falsch verstehen: Wir wollen nicht immer und überall Lärm und sehen auch, dass es das Bedürfnis nach Ruhe und Stille gibt. Deswegen sollen ja die stillen Feiertage unbedingt erhalten bleiben.
Krachparade-Organisator Jonathan Schock: "Die Jugend ist so politisch wie lange nicht mehr"
Ist das auch ein Generationenproblem? Ist die Jugend in die Minderheit geraten?
Schwierige Frage. Es ist eine Möglichkeit. Andererseits sehe ich das große Engagement der jungen Generation, ich denke da an die vielen Öko-Bewegungen wie Fridays for Future. Oder an das Bündnis gegen rechts. Die Jugend ist viel politischer als vor einigen Jahren. Aber werden wir von Senioren regiert? Ich glaube nein, dennoch wäre es schön, wenn wichtige Ämter häufiger an Menschen unter 40 vergeben werden. Außerdem gibt es auch viele Leute, die weit über 40 sind und Lust auf sozialen, lebendigen Lärm haben. Ich war 2023 mit meiner 63-jährigen Schwiegermutter auf einem Techno-Festival. Dieses Jahr fährt sie ohne mich hin.
Ausgehen ist oft eine finanzielle Frage für junge Leute. Muss es gerade deshalb Veranstaltungen ohne Konsumzwang geben?
Konsumzwang ist nicht das richtige Wort. Wir fordern ja nicht konsumfreie Zonen. Man soll nur die Option haben, ein Bier für fünf Euro zu kaufen, aber auch das kostenfreie Leitungswasser zu bekommen. Deshalb sind ja die nicht angemeldeten Partys so attraktiv.
Unterschätzt man im reichen München die Zahl der Leute, die sich nicht mal eben einen Club-Abend mit 50 bis 100 Euro leisten können?
Definitiv. Deshalb haben einige Kollektive das Soli-Ticket eingeführt. Man zahlt den doppelten Eintritt und finanziert so einer anderen Person die Teilnahme, die knapp bei Kasse ist. Wird stark angenommen. Im Feierwerk gibt es das häufiger. Auch am kommenden Wochenende finden in München Veranstaltungen mit Soli-Tickets statt. Sie sind an der Abendkasse hinterlegt. Und unser Gefühl ist bisher, dass das nicht missbraucht wird.

Lärm für München: "Krach kann Mietsteigerungen verhindern"
Menschlichen Lärm in der Großstadt muss man einfach ertragen, weil...
Es grundsätzlich laut ist, wenn Menschen zusammenkommen. Vor allem Musik bringt Menschen zusammen. Trommelmusik geht zurück bis in die Steinzeit. Laute Erlebnisse verbinden.
Das sehen Neumieter am Gärtnerplatz bestimmt anders.
Da liegt ja der große Widerspruch. Die Leute ziehen hin, weil so viel los ist. Das italienische Lebensgefühl. Die Mieten steigen. Die Leute werden älter. Und plötzlich merken die Leute, dass die Bar, über der man wohnt, nachts laut ist, was schon immer so war. Dann bittet man die Stadt, den Ort stillzulegen. Und die Frage ist dann immer, was war zuerst da: Lärm oder die hohe Miete? Wir glauben daran, dass sozialer Lärm auch extreme Mietsteigerungen verhindert.