Birgit Netzle: Wie Udo Jürgens mein Nikolaus wurde

Wie war die Weihnachtszeit früher? In der AZ erzählen Münchner ihre Geschichten - heute die Wirtin vom Asam-Schlössl, Birgit Netzle, über ihre schaurige Begegnung mit dem späteren Superstar.
MÜNCHEN - Ich habe Ihnen ein Bild von mir aus Kindertagen geschickt, das für mich eine große Bedeutung hat. Damals, das war 1959, war die Familie, beziehungsweise waren meine Eltern noch zusammen. Mein Vater Klaus Netzle war damals Musiker, Sänger und Komponist, und er tingelte mit den „Isarspatzen“ durch Deutschland und die Schweiz.
Meine Mutter hatte einen Musikverlag, und viele Künstler gingen in unserem Haus ein und aus. Mein zwei Jahre älterer Bruder Christian, damals acht Jahre alt, wollte mir zur Weihnachtszeit ständig weismachen, dass es den Nikolaus (und das Christkind) nicht gibt und dass der eigentlich vom Vater gespielt wird.
Meine Illusionen und Träume drohten zu zerplatzen – und irgendwie konnte und wollte ich das nicht glauben. Deshalb wollten meine Eltern meinem Bruder und mir dann am Nikolaustag (in Bayern der Abend am 5. Dezember) einen echten Nikolaus samt Krampus präsentieren, um die Kinder von seiner Echtheit zu überzeugen.
Mein Vater fragte einen jungen Sänger und Musiker namens Udo Jürgen Bockelmann und seinen Spezl namens Frank Forster, ob sie diesen Job – Nikolaus mitsamt Krampus – nicht machen würden. Udo steckte sich in ein prachtvolles Nikolauskostüm, und Franky hatte ein düsteres Krampusgewand an – mit Ketten, Rute und einem großen Sack.
Am Nikolaustag kamen die beiden mit großem Getöse an, wir hörten schon von der Ferne das Glockengeläute und das Kettenrasseln vom Krampus. Als sie in die Stube eintraten, wollte der Nikolaus von uns ein Weihnachtsgedicht hören. Doch vor lauter Schreck und Angst vor dem Krampus haben mein Bruder und ich kein Wort herausgebracht.
Krampus spielte seine Rolle unglaublich echt, und als wir kein Gedicht aufsagen konnten, drohte er, uns in den Sack zu stecken und in die Würm zu werfen. Schnell haben wir uns unter dem Tisch und hinter der Coach versteckt, damit er uns nicht erwischt.
Der Nikolaus allerdings zeigte Milde, beruhigte uns und überreichte uns die Nikolaus-Gaben aus seinem Sack. Überglücklich und zufrieden mit den Geschenken, bestehend aus Plätzchen, Nüssen und Orangen, konnten wir dem Nikolaus versichern, in Zukunft brav zu sein und unseren Eltern keinen Ärger zu machen. Nach diesem Erlebnis war sogar mein Bruder nicht mehr ganz sicher, wer sich hinter dem Nikolaus und Krampus verbirgt – und ob er nicht doch echt gewesen ist?
Viele Jahre später habe ich dann von meinen Eltern erfahren, wer in dem Nikolauskostüm steckte – nämlich der spätere Schlagerstar Udo Jürgens.
Als junges Mädchen habe ich dann Udo im Alten Simpl bei meiner Mutter im Lokal persönlich kennen gelernt, meine Freundinnen schwärmten alle von ihm und seiner wundervollen Musik.
Ich jedoch musste immer an den Nikolaus von damals denken. Und so habe ich den Respekt vorm Nikolaus nie ganz verloren.