Biotech und Pharma in der Stadt: Die Münchner Medizin-Macher

Eine Branche, die rasant boomt in der Stadt: Biotech und Pharma. Was genau macht sie eigentlich?
Irene Kleber |
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Der Humanbiologe und Patente-Erfinder Carsten Brockmeyer ist Chef der Firma Formycon.
Der Humanbiologe und Patente-Erfinder Carsten Brockmeyer ist Chef der Firma Formycon. © Formycon

München - Die Hoffnung für viele Corona-Infizierte und andere Patienten könnte bald (auch) aus München kommen. Denn hier siedeln sich, kaum bemerkt, immer mehr Medizin-Erfinder und -Entwickler an. 

373 Biotech- und Pharmafirmen sitzen in und rund um München

Etwa in Martinsried hinter dem Klinikum Großhadern, in Schwabing, bald auch in der Alten Akademie in der Altstadt. Dort tüfteln Wissenschaftler in Laboren, entwickeln Spritzen, Tabletten oder neue Verfahren.

Die Branche boomt, schon 373 Biotech- und Pharmafirmen sitzen laut einer Studie des Wirtschaftsreferats in der und rund um die Stadt, mit 33.400 Mitarbeitern (plus 91 Prozent seit 2013). Der Freistaat lässt viele Zuschüsse springen, damit geforscht werden kann. So arbeiten lokale Unternehmen gerade an 126 Wirkstoffkandidaten, 35 sind in der finalen klinischen Phase III. Und zwölf Arzneimittel sind schon zugelassen. Aber wer sind die Forscher? Hier stellen wir vier Münchner Unternehmen vor...

Ebenbuild: Die digitale Lunge

Die Idee zu einem digitalen Lungen-Zwilling hatte der Münchner TU-Professor Wolfgang Wall (57, Fachbereich Biomechanik) schon lange bevor die Pandemie da war, 2007. Heute kann sie bald ein Segen sein für Kranke, die beatmet werden müssen. Denn die akkurate Nachbildung einer Patienten-Lunge am Computer mit Hilfe künstlicher Intelligenz zeigt punktgenau, wo das Lungengewebe Schwachstellen hat und eine Beatmung Schäden verursachen kann.

Das Team um den Münchner TU-Professor Wolfgang Wall.
Das Team um den Münchner TU-Professor Wolfgang Wall. © Ebenbuild

Damit kann der Patient schonender beatmet werden - das steigert seine Überlebenschancen. Mit seinen früheren Doktoranden Kei Müller (36), Jonas Biehler (38) und Karl-Robert Wichmann (34) hat der Professor 2019 das Unternehmen Ebenbuild gegründet, Sitz ist in der Schwabinger Schinkelstraße.

"Bis jetzt konnte man eine Lunge röntgen, aber der Arzt konnte nicht sehen, an welchen Stelle eine Beatmung Gewebe überdehnt", erklärt Kei Müller, "mit unserer Technologie geht das zum ersten Mal." Rund 25 000 Beatmungsplätze gibt es in deutschen Krankenhäusern. Das Ziel ist, dass die neue Simulationstechnologie künftig an jedem Platz Ärzten hilft, eine Maschine optimal einzustellen. Noch arbeiten die Biomechaniker an einer großen klinischen Studie für die Marktzulassung, 2023 wollen sie auf dem Markt sein.

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Eisbach Bio: Die Pille gegen die Pandemie

Eigentlich startete das Biotechnologie-Unternehmen Eisbach Bio in Martinsried 2019 mit der Entwicklung von Medikamenten gegen Krebs. Als der Molekularbiologe Adrian Schomburg (38), der Biochemiker Andreas Ladurner (50) und ihr Team dann aber - eher zufällig - das Genom des Coronavirus analysierten, fanden sie dort ein Enzym, das dem, auf das sie bei Krebs abzielten, sehr ähnlich ist. Seither arbeiten die Münchner Forscher im Innovations- und Gründerzentrum Biotechnologie (IZB) fieberhaft daran, einen Wirkstoff zu entwickeln, der Corona bekämpft und eindämmt, wenn ein Patient sich infiziert hat.

Der Biochemiker Andreas Ladurner.
Der Biochemiker Andreas Ladurner. © Jan Greune

Möglich wird das auch, weil Sponsoren, das Bundesforschungsministerium (BMBF) und der Freistaat die Entwicklung fördern. Rund 15 Millionen Euro werden nun in die Produktion eines Medikamentenkandidaten und erste Sicherheitsprüfungen fließen. Danach folgen Tests in Krankenhäusern mit ersten Covid-Patienten. "Im Labor funktionert es, und zwar komplett ohne Nebenwirkungen", sagt Adrian Schomburg zur AZ. "Im März, April können wir in die erste Phase der klinischen Studien starten. Wenn das Medikament so gut wirkt wie erwartet, könnten wir 2023 eine Notfallzulassung bekommen."

Das Covid-Medikament wird es dann als Pille geben, die sich schnell und kostengünstig herstellen lässt. Sie müsste so früh wie möglich nach ersten Symptomen genommen werden und würde auch bei einem Impfdurchbruch helfen. "Man müsste sie nur ein Mal am Tag nehmen, fünf Tage lang", sagt Schomburg, "die Behandlung würde unter 100 Euro kosten."

Formycon: Der Covid-19-Virusblocker "FYB 207"

Gerade werden weltweit Dutzende Medikamente erprobt, die Coronakranken helfen sollen, kürzlich hat Pfizer etwa für das Mittel "Paxlovid" die Zulassung beantragt. Aber auch ein Mittel aus München könnte der Pandemie bald den Schrecken nehmen: Der Covid-19-Virusblocker namens "FYB 207", der als Spritze verabreicht werden soll, sobald man Symptome einer Covid-Erkrankung hat. An dem Medikament tüfteln Wissenschaftler der Firma Formycon in ihrem Labor in Martinsried (gleich hinterm Klinikum Großhadern).

Das Unternehmen entwickelt eigentlich "Biosimilars", das sind preisgünstige Nachfolgemittel von biologischen Arzneimitteln (etwa zu Augenleiden oder entzündlichen Haut- und Darmerkrankungen), deren Patentschutz ausgelaufen ist. Daran arbeiten 180 Wissenschaftler aus 25 Ländern, darunter Nepal, Iran und Brasilien (Umsatz 2021: voraussichtlich 40 Millionen Euro). Chef der Firma ist der Humanbiologe und Patente-Erfinder Carsten Brockmeyer (61).

Ulrike Protzer ist Direktorin des Instituts für Virologie an der Technische Universität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München.
Ulrike Protzer ist Direktorin des Instituts für Virologie an der Technische Universität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München. © Sven Hoppe/dpa

"Als die Pandemie im Frühling 2020 in Deutschland angekommen war", erzählt er, "habe ich mich mit der Virologin Prof. Ulrike Protzer und dem Biotechnologie-Professor Johannes Buchner von der TU München zusammentelefoniert, und wir haben beschlossen, dass wir gemeinsam ein Covid-Medikament entwickeln." Und zwar eins, "das das Virus schon blockiert, bevor es in die Zelle kommt, und das auch breit gegen die Coronavirus-Mutanten schützt".

Etliche Forschungsgelder wurden bewilligt, darunter 12,7 Millionen Euro aus dem Bayerischen Wirtschaftsministerium. Und es sieht gut aus nach einem Jahr Forschungsarbeit: "Wir haben gezeigt, dass es im Labor hervorragend funktioniert", sagt Brockmeyer. "FYB 207 verhindert die Infektion der Zellen sehr wirksam, auch bei den sich schnell ausbreitenden SARS-CoV-2-Vari-anten, bei denen die Impfstoffe schon an Wirkung verlieren." Aktuell bereitet Formycon die klinische Prüfung vor, die in der ersten Hälfte 2022 starten soll. Wenn alles erfolgreich läuft, könnte FYB 207 ab 2023 auf den Markt kommen.

Medigene: Hoffnung auf die Krebsrevolution

Sieben Stockwerke in der Lochhamer Straße in Martinsried, davon vier Stockwerke Labore: Hier forschen rund 40 Immunologen, Biologen und Biotechniker des Biopharma-Unternehmens Medigene. Es entwickelt Immuntherapien gegen Krebs auf der Basis von T-Zellen, die Krebszellen eliminieren. "Wir wollen Therapien entwickeln, die das Leben von Patienten fundamental verbessern", erklärt Vorstands- und Forschungschefin Dolores Schendel, die auf diesem Gebiet seit den 1970er Jahren forscht.

Dolores Schendel ist seit über 50 Jahren in der Forschung tätig und trägt das Bundesverdienstkreuz.
Dolores Schendel ist seit über 50 Jahren in der Forschung tätig und trägt das Bundesverdienstkreuz. © Medigene

Die Amerikanerin war Professorin für Immunologie an der Münchner LMU, hat das Institut für Molekulare Immunologie am Helmholtz Zentrum geleitet und mehr als 200 wissenschaftliche Publikationen verfasst. Jetzt ist sie über 50 Jahre in der Forschung tätig und trägt das Bundesverdienstkreuz. Warum sie nicht aufhören mag? "Ich glaube einfach fest daran", sagt sie zur AZ, "dass diese Therapie heilen kann, und dass dann auch keine Metastasen mehr zurückkommen." Erste Produktkandidaten befinden sich in der klinischen Entwicklung.

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