Biergartenrevolution '95: "Die ersten Wutbürger"

Die Biergartenrevolution feiert ihr 20-jähriges Jubiläum in der Waldwirtschaft. 25.000 „Revoluzzer" waren damals dabei. Die Aktivisten erinnern sich: „Wir mussten was tun!“
von  Verena Kemmer

Großhesselohe - "Heute 16.30 Uhr Revolution! Auf geht’s zur Biergarten-Demo“, titelte die AZ am 12. Mai 1995. Auch andere Münchner Tageszeitungen hatten zur Großkundgebung aufgerufen. Dann geschah Unglaubliches: Rund 25.000 „Revoluzzer“ kamen zur „ersten bayerischen Biergarten-Revolution“ zum Marienplatz. Schließlich stand der Erhalt der Biergartenkultur auf dem Spiel.

Losgetreten wurden die Proteste durch das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichthofes. Anwohner hatten sich über den Lärm der Waldwirtschaft beschwert. Vor allem der Geräuschpegel an- und abfahrender Autos zu vorgerückter Stunde erregte die Gemüter. Das Gericht verlängerte die Sperrstunde für den Biergarten auf 21.30 Uhr. Zudem sollte zum Anwohner-Lärmschutz jedes zweite Wochenende der Biergarten ganz geschlossen bleiben.

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Das war zu viel! Presse, Politik, Brauereien und der bereits 1991 gegründete Verein für Biergartenkultur riefen zum Massen-Protest auf. Vereins-Gründungsmitglied Uschi Seeböck-Forster: „Das Urteil war ein Schlag gegen die bayerische Philosophie: Leben und leben lassen. Da mussten wir was tun, unser bayerisches Lebensgefühl lassen wir uns nicht von ein paar Einzelnen nehmen.“

Und Zehntausende kamen zur Demo. Günstig war auch, dass sie an einem Freitag stattfand. Seeböck-Forster: „Es war das erste Mal, dass vollkommen unpolitische Leute auf die Straße gingen. Das waren die ersten Wutbürger.“ Die Idee für den Begriff „Revolution“ für den Protest hatte Manfred „Schichtl“ Schauer. Auch er ist Gründungsmitglied des Vereins für Biergartenkultur.

Seeböck-Forster: „Die Angst ging um. Es gab auch Klagen gegen die Menterschwaige und den Hirschgarten. Wir befürchteten, wenn diese Klagen erfolgreich sind, gibt es einen Dominoeffekt.“ Der für mehrere Biergärten und somit für ein Stück bayerische Lebensfreude das Aus bedeutet hätte.

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Und der Protest war nicht umsonst. Als der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) die Demo sah, war er schnell überzeugt. Am 22. Juni erließ die Staatsregierung die „Biergarten-Verordnung“. Darin stand: Bis 22 Uhr dürfen Speisen und Getränke verkauft werden. Erst um 23 Uhr muss Ruhe herrschen. Die Regelung wurde in die bis heute gültige Verordnung von 1999 übernommen.

„Sogar die New York Times hat damals über die Revolution berichtet. Der Tag reiht sich ein in die lange Tradition bayerischer Bier-Revolutionen“, sagt Seeböck-Forster. Für ihr Bier gingen die Münchner eben schon früher gern auf die Straße. Bereits 1844 gingen die Bürger auf die Barrikaden, als König Ludwig I. den Bierpreis erhöhte. „A bissl stolz sind wir schon, was wir erreicht haben. Wenn wir nicht gekämpft hätten, dann wären wir heute sicher um ein paar Biergärten ärmer“, sagt Seeböck-Forster.

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