Bier nur für Reisende
Neuregelung: Seit Juni dürfen Tankstellen nach Ladenschluss nichts mehr an Fußgänger und Radfahrer verkaufen. Der Grund ist ein Gerichtsurteil – wie schaut’s in München aus?
München Bayerische Tankstellen dürfen nach Ladenschluss keine Lebens- und Genussmitteln mehr an Fußgänger und Radfahrer verkaufen. Bier, Wasser, Schokoriegel und belegte Semmeln gibt es nach 20 Uhr und an Sonn- und Feiertagen nur noch für Kunden, die mit dem Auto vorfahren. Theoretisch zumindest – die allabendliche Praxis in München sieht anders aus.
Hintergrund ist die höchstrichterliche Neudefinition zweier Begriffe im Ladenschlussgesetz: Der Begriff des „Reisenden“ und der „kleiner Mengen“. Die AZ erklärt die neue Regelung und hat den Test gemacht: Wird sie in München eingehalten?
Darum geht’s: Tankstellen dürfen immer geöffnet haben. Damit ihnen dadurch kein Vorteil gegenüber anderen Geschäften entsteht, dürfen sie laut Ladenschlussgesetz nur Reisebedarf verkaufen, also ein wenig Proviant für den Reiseweg oder Mitbringsel. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Februar 2011 allerdings eingegrenzt, wem nach Ladenschluss Reisebedarf zusteht: Nur dem, der mit dem Auto oder Motorrad vorfährt und dann auch nur maximal zwei Liter Bier pro Person. Radfahrer und Fußgänger bekommen gar nichts mehr. Das gilt seit Juni nun auch in Bayern.
Umgesetzt wurde dieser „Vollzugshinweis“ vom zuständigen Arbeits- und Sozialministerium. Dort weist man alle Schuld von sich: Ihnen sei es „verwehrt, das Bundesrecht und diese konkretisierende Obere Rechtsprechung zu ignorieren“, so eine Sprecherin auf AZ-Anfrage Das sorgt für Ärger: „Massive Umsatzeinbrüche und die Schließung von Tankstellen“ befürchtet Uwe Trautmann, Sprecher des Tankstellengewerbes Bayern. Auch die Jungen Liberalen protestieren und rufen für Samstagabend zum Flashmob vor der Tankstelle an der Baaderstraße 6 auf: „Es wird voll werden“, so Vorstand Matthias Fischbach.
Hinzu kommt: Verkauft ein Tankstellenpächter einem Radfahrer doch eine Flasche Wasser, zahlt er 500 Euro Buße – sofern er erwischt wird. Überwachen soll das das Kreisverwaltungsreferat: „Wir arbeiten eng mit der Polizei zusammen und werden anlassbezogen kontrollieren, wenn uns konkrete Hinweise auf einen Verstoß vorliegen“, so Pressesprecher Matthias Rischpler. Für „unrealistisch und unpraktikabel“ hält dies der Tankstellen-Verband: „Die Kontrollpflicht kann nicht erfüllt werden und ist somit von vornherein zum Scheitern verurteilt“, urteilt Trautmann.
Das bestätigt ein stichprobenartiger Testkauf der AZ an drei Tankstellen in der Innenstadt: Überall bekamen wir auch nach 20 Uhr problemlos mehrere Flaschen Bier. Einen Ausweg aus der Misere bietet eine Gaststättenkonzession, einige Münchner Tankstellen haben eine. „Die ist aber nicht so leicht zu bekommen“, wiegelt Trautmann ab. Tankstellen machen zwei Drittel ihres Umsatzes mit Getränken, Zigaretten und Zeitungen. Fällt das weg, könnten laut Trautmann viele abends zusperren. Dann gäbe es weder Bier noch Sprit.