Beziehung: Kann ein Seitensprung retten?

Über diese Frage zum Thema Liebe lässt sich heftig debattieren. Wir haben eine Sexualtherapeutin und einen Kirchenmann an einen Tisch gebracht.  
von  Anne Kathrin Koophamel

Über diese Frage zum Thema Liebe lässt sich heftig debattieren. Wir haben eine Sexualtherapeutin und einen Kirchenmann an einen Tisch gebracht.
Sie liefern erstaunliche An- und Einsichten

AZ: Herr Altmann, wie viele Menschen, glauben Sie, gehen fremd?

MAX ALTMANN: Jeder Zweite.

Das sagen Sie als gläubiger Katholik?

ALTMANN: Ja, jeder Zweite lässt sich laut Statistik scheiden. Auch wenn der Seitensprung nicht immer der Grund ist, glaube ich, dass er ebenso häufig vorkommt.
Ihre Meinung, Frau Bräu?

ANDREA BRÄU: Mindestens jeder Zweite, die Dunkelziffer ist sicher höher. Übrigens holen die Frauen stark auf.

Warum gehen Menschen fremd?

ALTMANN: Die Gesellschaft hat sich verändert, wir sind sexualisierter. Als meine Oma jung war, war es ein Skandal, mit einem Jungen die Straße entlang zu gehen. Heute sieht man auf Plakaten freizügige Frauen. Ich bekomme allein jeden Tag fünf Spam-Mails mit Angeboten zum Seitensprung.

Und? In Versuchung geraten?

ALTMANN: Nein, nie.

BRÄU: Die Anbahnung ist leichter. Ich logge mich online ins Seitensprungportal ein und warte nicht an der Hotelbar. Ich glaube aber nicht, dass man heute häufiger zur Seite springt als früher. Strauss-Kahn und Schwarzenegger machen das präsent und man spricht darüber.

Was ist der häufigste Grund fürs Fremdgehen?

BRÄU: Unzufriedenheit. Geistige, seelische, körperliche und letztlich sexuelle. Findet in der Beziehung kein Sex statt, gibt es auch keine Anerkennung und damit keine Zufriedenheit. Ein Seitensprung erscheint vielen leichter, als sich mit den Beziehungsproblemen auseinanderzusetzen. Herr Altmann, hat Ihnen schon mal jemand einen Seitensprung gebeichtet?

ALTMANN: Nein, obwohl die Leute sicher eher zu mir als zu einem zölibatär lebenden Priester kommen. Aber oft erzählen sie von der Anbahnung: Da ist jemand, der ist interessant, wir haben Nummern getauscht.

Was raten Sie diesen Schäfchen?

ALTMANN: Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten sollte. Wenn man sich nach jemand anderen umschaut, ist das meistens der erste Schritt – und mit der eigenen Beziehung ist etwas im Argen.

Ist das schon Fremdgehen?

ALTMANN. Der Anfang. Sex ist das Ende des Gedankenprozesses. Darüber sollte man mit dem Partner reden, Schweigen zerstört nur noch mehr.

BRÄU: Das denke ich nicht, das verletzt mehr, als es nützt.

ALTMANN: Wo ist dann die Grenze? Einen Kuss beichtet man nicht, einen Seitensprung schon? Lieber sollte man alles auf den Tisch legen.

BRÄU: Um sich zu entlasten?

ALTMANN: Wegen der Ehrlichkeit. Es befreit, alles zu erzählen.

BRÄU: Wer nur sein Gewissen erleichtern will, sollte lieber schweigen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen beim Sex mal an jemand anderen denken. Ist das dann schon Untreue?
Kann ein Seitensprung eine Partnerschaft retten?

BRÄU: Er kann eine Chance sein.

ALTMANN: Das glaube ich nicht. Wenn meine Frau mich betrügen würde, wäre ich tief verletzt. Das würde für immer zwischen uns stehen. Man kann sich versöhnen, aber das Vertrauen ist zerstört.

BRÄU: Sicher verletzt es. Aber wenn man seit Jahren nebeneinander herdümpelt, kann ein Seitensprung einen wachrütteln. Man wird aufmerksam, was dem Partner fehlt.

ALTMANN: Damit sollte man sich vor der Ehe auseinandersetzen. Was will man, wie sieht es mit der Sexualität aus? Da standen wir als Kirche sicher lange Zeit im Weg. Aber das hat sich geändert: Wir bieten jetzt Seminare für Paare die heiraten wollen an, wo auch solche Themen besprochen werden.

Wie gehen Sie mit der Schuldfrage um?

ALTMANN: Wir verurteilen nicht. Menschen passieren Fehler.

BRÄU: Das ist aber loyal. Wo bleibt da Ihre Moral?

ALTMANN: Es ist fehlerhaft und nicht akzeptabel. Aber deshalb ist nicht der ganze Mensch falsch. Jesus hat immer offene Arme, in die alle flüchten können.

BRÄU: Auch in der Gesellschaft wird man nicht an den Pranger gestellt, aber kommt es zur Trennung, wird meistens dem Fremdgeher die Schuld zugewiesen. Dass der andere Partner seit Jahren Sex verweigert oder ähnliches, wird nicht thematisiert.
Wie viele glückliche Ehepaare kennen Sie, die über 20 Jahre verheiratet sind?

BRÄU: Nicht eines.

ALTMANN: Ich hoffe, dass ich welche kenne. Aber ich muss zugeben, auch in meiner Familie sind viele geschieden.
Ist Monogamie out?

ALTMANN: Vielleicht scheinbar, aber eine lebenslange Beziehung hat etwas Stärkendes. Es ist ein Prozess, an dem man hart arbeiten muss. Aber dann bereichert er.

BRÄU: Ich glaube an die serielle Monogamie, an Lebensabschnittspartner. Man entwickelt sich weiter und nach Jahren oft auseinander. Wenn man gekämpft hat und es nicht mehr passt, muss man auch den Mut haben, einen Schlussstrich zu ziehen.

ALTMANN: In unserem Glaubensverständnis kommen zwei Menschen nach „reiflicher Überlegung” zusammen. „Was Gott zusammenführt, soll der Mensch nicht trennen”, heißt es. Leben kann scheitern, aber man sollte bis dahin alles ausschöpfen. Seitensprünge kann man auch eingeredet bekommen.

BRÄU: Von wem?

ALTMANN: Vom Umfeld. Sex als schnelles Abenteuer.
Könnten Sie sich Sex ohne Liebe vorstellen?

BRÄU: Eine Anziehung muss da sein, tiefe Intimität aber nicht. Nur: Sex ist mit jemandem, den man liebt, schöner.

ALTMANN: Für mich ist Sex eine Kommunikationsform unter Liebenden. Ohne Liebe also macht Sex keinen Sinn.
Ist ewige Treue möglich?

ALTMANN: Ja.

BRÄU: Möglich ist vieles. Gesehen habe ich es noch nicht.
Andrea Bräu hat über das Fremdgehen das Buch „Es war doch nur Sex” (14,99 Euro), Südwest Verlag, geschrieben.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.