Betreiber des Café Kosmos: Das Glockenbach ist tot

Vom Stadtteil im Wandel und der Unmöglichkeit, hier noch Wirt zu sein: ein Gespräch mit Florian Schönhofer.
von  Hüseyin Ince
Florian Schönhofer in seinem Café Kosmos im Bahnhofsviertel. Rund um Gärtnerplatz und Glockenbach würde er nichts mehr eröffnen.
Florian Schönhofer in seinem Café Kosmos im Bahnhofsviertel. Rund um Gärtnerplatz und Glockenbach würde er nichts mehr eröffnen. © Bernd Wackerbauer

München - Ein Jahr lang hat Florian Schönhofer das 404 an der Corneliusstraße betrieben. Er wollte dort Debatten über Digitalisierung führen, ein bisserl Gastronomie, keine Partys. Der extreme Stress mit den Nachbarn hat ihn überrascht. Ein AZ-Gespräch über Ruhebedürfnisse, sehr münchnerische Diskussionen – und die Frage, ob Gastronomie im Glockenbach- und Gärtnerplatzviertel eigentlich noch möglich ist.

AZ: Herr Schönhofer, würden Sie nochmal für 13 Monate so eine Zwischennutzung im Glockenbach riskieren, nach der ganzen Erfahrung?
FLORIAN SCHÖNHOFER: Ich würde es mir sehr genau überlegen. Es war wirklich kompliziert. Ich konnte auch das ganze Programm, das ich mir vorgenommen hatte, überhaupt nicht auf die Beine stellen. Eigentlich wollten wir Haindling auf die Bühne holen. Aber das haben wir dann gelassen.

Weshalb?
Mit einem so brutalen Widerstand der Nachbarn habe ich nicht gerechnet. Die dachten, wir wollen da nur ausufernde Partys feiern. Anwohner, Lokalbaukommission und Bezirksinspektion haben uns ein „Pimpernel“ unterstellt. Die Bezirksinspektion wollte uns gegen Mai oder Juni zwangsweise umwidmen – als Disco. Die haben wir aber nicht angenommen.

Wurde jemals getanzt?
Nein, nie! Man hat die Musik kaum gehört. Und bald nach dem Start lief da überhaupt keine mehr.

Schönhofer: "Manche Situationen waren echt absurd"

Fanden jemals Konzerte statt?
Ja anfangs, etwa eine Handvoll. Sie waren extra genehmigt worden, organisiert vom Stadt- und Landjugendring. Man könnte auch sagen: Von der Stadt.

Was genau war das 404 denn offiziell?
Angemeldet war das Ganze als Speisegaststätte und Cafébetrieb. Theoretisch hätten wir ganz legal bis fünf Uhr morgens öffnen können. Der Biergarten hatte eine Lizenz bis 24 Uhr. Wir machten aber deutlich früher dicht, um dem jetzigen Nachfolger, dem Café Neuhauser, keine verbrannte Erde zu hinterlassen. Der Biergarten war erst ab 23 Uhr, später schon ab 22 Uhr dicht.

Was hat den Nachbarn nicht gepasst?
Sie beschwerten sich permanent über die Lautstärke, anfangs telefonisch, selten per Mail, meistens direkt beim Kreisverwaltungsreferat. Am Ende hatte ich vier Ordnungswidrigkeitsverfahren am Hals und nahm mir einen teuren Anwalt. Ich habe übrigens alle Verfahren gewonnen. Die Beschwerden nahmen trotzdem nicht ab, trotz der drei Silencer vor der Tür. Manche Situationen waren echt absurd.

Welche genau?
Es ging schon damit los, dass eine direkte Anwohnerin mit einem Rudel Hunde an der Leine an mir vorbeiging, als ich das Café im November 2017 eröffnete. Ich bereitete gerade den Biergarten vor. Sie sagte: Und hier liegen bald die ganzen Penner herum.

Was haben Sie geantwortet?
Ich sagte: Na klar, ich leg’ gleich die Matratzen raus! Aber die Sache mit der Lautstärke war eigentlich das Absurdeste.

Nämlich?
Es gibt offizielle Lärmgrenzwerte, rechtlich festgelegt. In München überschreiten schon vorbeifahrende Trambahnen, Krankenwagen und auch vorbeigehende, ratschende Gruppen diese Werte. Das haben mehrere Messungen ergeben. Also ist man als Lokalbetreiber auf die Kulanz der Nachbarn angewiesen. Aber die fehlte. Das Witzigste war, dass Beschwerden über die Lautstärke bei mir ankamen, als wir das Café schon längst geschlossen hatten.

War das für Sie der Beweis, dass die Anwohner vielleicht die Quelle des Lärms die ganze Zeit verwechselten?
So kann man das sehen. Was für ein unnötiger Ärger... Und leider suchten sie nicht den Dialog. Ich habe es mehrmals probiert, mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen. Vergeblich. Einige wundern sich bestimmt, dass es jetzt immer noch so laut ist wie vorher, obwohl das 404 geschlossen ist.

Sie wirken sehr frustriert und nicht so, als ob Sie noch einmal ein Café im Glockenbach- oder Gärtnerplatzviertel eröffnen würden.
Gastronomisch sind diese Viertel tot. Die Pacht, das neue Milieu... Das sagen auch viele Kollegen aus der Gastro-Szene. Problematisch ist zudem, dass die „Feierbanane“ an der Sonnenstraße nicht weit weg ist. Von dort strömen nachts viele Leute in das Viertel und sorgen für Lautstärke.

Wie macht sich das neue Milieu bemerkbar?
Ich denke, die Frau mit den vielen Hunden war schon stellvertretend. Vielleicht ist sie jemand, die dort ein paar Wohnungen vor 25 Jahren für 500 Mark pro Quadratmeter gekauft, ein oder zwei teuer verkaufte und jetzt dort schöne Frühstückslokale haben will. Sie möchte ihre Hunde anbinden können, dazu Crémant oder Schampus am Mittag. Und nachts soll gefälligst Ruhe herrschen. Unrealistisch, wenn Sie mich fragen.

"Vor dem 404 hat nie jemand rumgegrölt"

Welche Situationen haben Sie noch frustriert?
Wenn im Sommer Leute vom Gärtnerplatz kamen, relativ laut vor dem 404 vorbeigingen und unsere Silencer sie um Ruhe bitten mussten. Und am Gärtnerplatz geht es ja im Sommer total ab. Aber die Leute kann man nicht einem Lokal zuordnen. Daher kann keiner etwas dagegen tun. Aber für alles, was auch nur in der Nähe des 404 passierte, wurde ich verantwortlich gemacht.

Kann das offizielle Lautstärke-Limit grundsätzlich eingehalten werden?
Nein, das ist ein Witz. Vor dem 404 hat nie jemand herumgegrölt. Es war ein zivilisierter Rahmen, mit Veranstaltungen rund um das Thema Digitalisierung. Das waren Sprachveranstaltungen, keine Disco.

Haben Sie trotz allem in irgendeiner Form Verständnis für die Anwohner?
Natürlich verstehe ich jemanden, wenn er dort lange wohnt. Vor dem 404 war fast 30 Jahre ein Frühstückslokal drin. Das hieß: Ab fünf Uhr morgens Krach, abends war da nie was los. Mir war schon klar, dass so etwas Neues erst einmal aneckt.

Warum haben die Leute aus dem Viertel so heftig reagiert, was denken Sie?
Ich spekuliere auf die Preise. Das neue Eigentümer-Milieu vor Ort denkt sich vielleicht: Wenn neben mir ein Szenelokal eröffnet, dann ist der Quadratmeter meiner Immobilie „nur“ noch 10 000 Euro wert. Nicht mehr 12 000 Euro.

Wie könnte man diese Situation auflösen, leben und leben lassen?
Ich denke, wenn ich aufs Land ziehe, dann läuten dort nun mal Kuhglocken und wenn ich in eine boomende Stadt ziehe, dann sind da viele Menschen, die für eine gewisse Lautstärke sorgen. In Berlin oder Köln sind die Menschen deutlich lockerer.

Müsste München mehr Berlin sein?
Nicht unbedingt gleich Berlin. Aber zumindest so locker wie Köln wäre schon gut. Und klar ist: Aus München wird niemals Ebersberg, wo die Gehwege ab 21 Uhr hochgeklappt werden.

War das früher anders?
Klar. Das Glockenbach war vor 15 bis 20 Jahren noch mediterran geprägt. Griechen, Türken, Balkanvölker, dazu die Schwulenszene... Die sind jetzt fast alle weg. Es war dort abends immer sehr lebendig.

In den letzten Jahrzehnten änderte sich viel: gelockerte Sperrzeiten, Rauchverbot in den Lokalen, steigende Zahl der Touristen... Haben Sie ein bisschen Verständnis für den Ärger derjenigen, die dort seit 25 Jahren und länger wohnen?
Wie gesagt, das versteh ich schon. Aber an der Müllerstraße Ecke Corneliusstraße ist die Situation nicht anders als früher. Vor 30 Jahren gab es dort schon das Café Größenwahn in der Klenzestraße. Oder das „Henderson“, wo Freddie Mercury nackt über die Straße geritten ist. Man kann im Glockenbach keine absolute Ruhe haben. Das wäre so, als würden Sie Fische im Meer verbieten.

Wie könnte sich die Situation für die Anwohner verbessern?
Jedenfalls nicht, indem man kleine Lokale wie das 404 gängelt. Eher dadurch, dass man Nachtleben wie in der Feierbanane vielleicht langfristig woanders ballt. Es ist eine seltsame Strategie der Stadt. Erst holt man die ganzen Clubs von außen in die Mitte, dann verfolgt man kleinere Lokale in der Nähe mit Ordnungswidrigkeiten.

Schönhofer: "Die Jungen kommen nicht wegen der Philharmonie"

Zu welchem Schluss bringt Sie das?
Vielleicht war es einfach ein Fehler, den Kunstpark mitten in die Stadt zu holen.

Sie betreiben seit 2007 auch das Café Kosmos am Bahnhof. Wie unterscheidet sich hier die Situation?
Die Anwohner sind gesprächsbereit und mittlerweile froh, dass wir da sind. Anfangs hatten wir auch kleine Probleme. Jemand hat mal einen Eimer Wasser aus dem Fenster geschüttet, weil es zu laut war. Und wir kamen ins Gespräch. Total gute Reaktion! Ein Eimer Wasser ist immer die bessere Antwort, als jemandem Discobetrieb zu unterstellen. Besser, als wenn man sich ins Bett legt und sich denkt: Da ist aber noch Gemurmel!

Sie kennen die Menschen, Sie kennen die Szene. Wohin bewegt sich das Nachtleben derzeit?
Ich glaube wir alle müssen uns mal entscheiden, nicht nur die Stadt, sondern auch die Menschen. Möchte man eine weltoffene Metropole sein, wo es abends ein bisschen lauter werden kann, oder möchte man Totenstille?

Wie würden Sie denn entscheiden?
Ganz pragmatisch: München konkurriert mit anderen Städten um die schlauesten Köpfe, um die besten Software-Ingenieure der Welt zum Beispiel. Das sind größtenteils junge, hippe Leute. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die in einer lebendigen Stadt wohnen und arbeiten möchten. Die kommen ja nicht nach München, weil es hier die Philharmonie gibt.

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