Besonders rund um München: Wie die Schwammerl strahlen
München - Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 ist gefühlt eine halbe Ewigkeit her, trotzdem sind bestimmte Pilz- aber auch Wildarten noch heute stark mit Cäsium-137 belastet.
"Mehr als 30 Jahre nach der Katastrophe hat sich der Wert von damals halbiert", rechnet Hauke Doerk vor. Er ist Physiker und Referent für Energiepolitik am Münchner Umweltinstitut. "In weiteren 30 Jahren liegt der Wert bei einem Viertel, in 60 Jahren bei einem Achtel."
Tschernobyl: Besonders Teils Südbayerns sind nach wie vor betroffen
Die radioaktive Belastung von Pilzen, Waldbeeren und Wildschweinfleisch betrifft vor allem Teile Südbayerns, aber auch Österreichs, betont Hauke Doerk. Besonders hoch sind die Werte dort, wo im Frühjahr 1986 viel vom Tschernobyl-Fallout niedergegangen ist. Selbst 1.000 Kilometer vom Unglücksreaktor entfernt war damals die Bodenkontamination mit lokalen Spitzenwerten von bis zu 100.000 Becquerel (Bq) Caesium-137 (Cs-137) pro Quadratmeter enorm.

Nach Daten des Bundesamtes für Strahlenschutz zählen zu den betroffenen Gebieten auch Wälder rund um München. Wer jetzt in die Schwammerl aufbricht, sollte deshalb vorsichtig sein und sich vorab genau über das jeweilige Gebiet informieren. Die Belastung mit Cäsium-137 ist auch nach Jahrzehnten noch immer erhöht. "Je nach Sorte und Standort schwanken die Werte allerdings erheblich", sagt Annette Sperrfechter, Sprecherin des Umweltinstituts. Dass nicht sämtliche Lebensmittel immer noch kontaminiert sind, liegt daran, dass Caesium-137 auf landwirtschaftlichen Flächen über die Jahre hinweg in tiefere Bodenschichten ausgewaschen wurde, beziehungsweise an Minerale gebunden ist, erklärt Hauke Doerk.
In Wäldern baut sich die Belastung langsamer ab
Anders sieht es in Wäldern aus. "Das ist ein geschlossenes Ökosystem, dadurch baut sich die Belastung langsamer ab", so Doerk. Radiocäsium wandere nur langsam in tiefere Schichten des Waldbodens. Der radioaktive Stoff halte sich in der Biosphäre und werde besonders vom weit verflochtenen Myzel einiger Pilzsorten stark aufgenommen. Ein Gehalt von bis zu 4.000 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) Frischmasse wurde in den letzten Jahren vom Bundesamt für Strahlenschutz in einigen Waldpilzsorten festgestellt.
Seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl misst das Münchner Umweltinstitut regelmäßig den Gehalt an Radioaktivität in Lebensmitteln und aus Umweltproben. Vor zwei Jahren fanden die Wissenschaftler in einem Münchner Supermarkt Pilze mit 850 Becquerel. Ein Pilzsammler aus dem Raum Starnberg hatte ebenfalls vor zwei Jahren eine Probe mit Maronenröhrlingen beim Umweltinstitut eingereicht. Der Wert lag damals bei 2.000 Becquerel, so das Institut. "Die Kontamination in den betroffenen Wäldern geht leider nur sehr langsam zurück", sagt Hauke Doerk. Das gilt auch für einige Wälder rund um München. Die Strahlenbelastung könne regional starken Schwankungen unterliegen.

Viele Pilzarten sind besonders radioaktiv
Manche Pilzarten sind Wissenschaftlern zufolge besonders betroffen, etwa Maronenröhrlinge, gelbstielige Trompetenpfifferlinge und Semmelstoppelpilze. Das Umweltinstitut zeigt auf einer Karte im Internet (umweltinstitut.org) dass beispielsweise einige Pilzfunde am Starnberger See auch heute noch mehr als 600 Bq pro Kilo aufweisen. 2021 wurden bei Trompetenpfifferlingen aus Oberhaching 157 Bq /kg Cs-137 gemessen. Bei Steinpilzen aus Krailling lag der Wert bei 52,9 Bq/kg Cs-137.
Einige Pilzarten können bis zu einigen tausend Becquerel Cäsium-137 pro Kilo Frischmasse aufweisen, heißt es im aktuellen Bericht des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS). Ein Rechenbeispiel zur Einordnung: Ein Sammler isst in der Saisonacht Kilo Pilze, die mit 1.000 Bq pro Kilo Caesium-137 belastet sind. Er nimmt also 8.000 Bq auf. Dies entspricht, so Doerk, einer Strahlendosis von 0,1 Mikrosievert (mSv), also der Dosis durch etwa fünf Röntgenaufnahmen des Brustkorbes. Wie gefährlich das ist? "Da gehen die Meinungen auseinander", sagt Doerk. "Es gibt keine Strahlenbelastung, die ungefährlich ist."
Bei Importen müssen die Grenzwerte vom Importeur kontrolliert werden
Pilze, deren Cäsium-137-Gehalt 600 Becquerel pro Kilo Frischmasse überschreitet, dürfen in Deutschland nicht verkauft werden. Dieser Grenzwert gilt allerdings nicht für Pilze, die privat für den eigenen Verzehr gesammelt werden.

In Supermärkten gibt es Pfifferlinge aus der Ukraine und Weißrussland. Dafür, dass die Grenzwerte eingehalten werden, ist der Importeur verantwortlich, getestet werden Stichproben. Alle Importe können nicht gemessen werden, betont das Umweltinstitut.
Auch in Wildschweinen werden hohe Werte gemessen
Noch höher verstrahlt kann Wildfleisch sein. "In den stärker belasteten Gebieten werden bei Wildschweinen noch heute vereinzelt Werte gemessen, so das BfS, die den Grenzwert für die Vermarktung von 600 Bq pro Kilo um mehr als das Zehnfache überschreiten. In Stichproben gemessene Daten aus den Jahren 2018 bis 2020 für Haarwild erreichten Werte von bis zu rund 1.600 Bq pro Kilo. Spitzenreiter waren Wildschweine, gefolgt von Rehwild und Hirschen. Was an den Ernährungsgewohnheiten der Wildschweine liegt. Sie fressen besonders gerne unterirdisch wachsende Hirschtrüffel, die noch immer außergewöhnlich hoch belastet sind. Die Werte liegen nach Angaben des BfS "um mehr als das Zehnfache über den Werten von Speisepilzen". Wildschweinfleisch ist daher deutlich höher kontaminiert als das Fleisch anderer Wildtierarten.

Wer seine persönliche Belastung verringern möchte, "sollte in den höher belasteten Gebieten auf den übermäßigen Genuss selbst erlegten Wildes und selbst gesammelter Pilze verzichten", rät das BfS. Wenn Wildbret oder wildwachsende Speisepilze in üblichen Mengen verzehrt werden, sei die zusätzliche Strahlenbelastung vergleichsweise gering.
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