Beschimpft, bespuckt, behindert: So leiden Rettungskräfte

München / Freising - Sie wollen Leben bewahren – und werden behindert, beschimpft, bespuckt, bedroht: „Die Gewalt gegen Rettungskräfte und andere Uniformträger nimmt zu“, sagt Martin Wagner (31), stellvertretender Lehrrettungsassistent auf der Münchner Feuerwache 1.
Eine Universitätsstudie belegt, dass 98 Prozent der Sanitäter innerhalb eines Jahres mindestens einmal beleidigt, mehr als die Hälfte sogar angegriffen wird. Gleichzeitig steigt die Zahl der Einsätze. Der Druck auf die Helfer ist enorm.
2011 rückten die Rettungsdienste in München und dem Landkreis knapp 238 000 Mal aus. Im vergangenen Jahr waren sie fast 270 000 Mal unterwegs. Das sind 740 Einsätze pro Tag. Die Gründe für den Anstieg sind vielfältig. „Da sind die demografische Entwicklung, der enorme Zuzug und dass es immer mehr Großveranstaltungen gibt“, sagt Martin Wagner. Außerdem wählen zunehmend Menschen die 112, die eigentlich keine Notfall-Patienten sind und lediglich die lange Wartezeit beim Facharzt umgehen wollen.
Parallel dazu sinkt der Respekt vor den Rettern. Martin Wagner erzählt von „permanenten Linksfahrern“ auf der Autobahn, die trotz Blaulichts und Sirene nicht Platz machen: „Manchmal dauert es eine halbe Minute, bis ausgewichen wird.“ Manche Autofahrer seien so sehr mit ihrem Mobiltelefon beschäftigt, dass sie den Rettungswagen einfach nicht bemerkten. So verstreicht wertvolle Zeit, die vielleicht ein Leben kostet. Am Einsatzort angekommen, müssen die Helfer auf alles gefasst sein. „Es geschieht immer mal wieder, dass einer von uns angespuckt wird.“ Was keine Lappalie ist, weil durch den Speichel Krankheiten übertragen werden können. Spucken wird deshalb als versuchte Körperverletzung geahndet.
Mit einem „Nein“ geben sich die Gaffer nicht zufrieden
Böse Worte haben die Retter alle schon gehört – von Autofahrern, denen der Einsatzwagen im Weg war, von Patienten, Angehörigen oder Schaulustigen. „Manche bedrängen uns regelrecht, sind neugierig, penetrant und wollen unbedingt wissen, was passiert ist.“ Mit einem „Nein“ geben sich die Gaffer nicht zufrieden, vor allem dann nicht, wenn Alkohol im Spiel ist. Sie werden patzig. Martin Wagner sieht das relativ gelassen. „Wenn mich ein Volltrunkener auf der Feierbanane ,Arschloch’ nennt, prallt das an mir ab. Der meint ja nicht mich persönlich, sondern den Uniformträger. Schwieriger wird’s wenn der Kollege in der Leitstelle zehn Mal am Tag als ,blöder Depp’ beschimpft wird, weil es dem Anrufer nicht schnell genug geht.“
Wer tut so etwas? Verzweifelte Menschen? Jein. Die Studie „Gewalt gegen Rettungskräfte“ der Universität Bochum kommt zu folgendem Ergebnis: „Der typische Täter ist ein männlicher Patient zwischen 20 und 39 Jahren, der keinen erkennbaren Migrationshintergrund hat und unter Alkoholeinfluss steht.“ Um ihre Mitarbeiter zu schützen, bieten die Rettungsdienste mittlerweile spezielle Schulungen an. „In der Rettungsassistenten-Fortbildung wird jetzt der Umgang mit schwierigen Patienten und Angehörigen geübt. Man lernt, wie man deeskalierend einwirkt, wie man sich einen Rückzugsweg frei hält und trotzdem im Gespräch bleibt.“
Manche wählen lieber die 112 statt beim Arzt zu warten
Die Dreistigkeit mancher Mitmenschen macht jedoch selbst den erfahrensten Ersthelfer sprachlos. Hubert Böck (49), Rettungsassistent aus Freising, ist seit 25 Jahren für das Rote Kreuz im Einsatz. Auch er ist schon behindert, ausgebremst und angepöbelt worden. Zwei Vorfälle stachen jedoch heraus: „Ich habe mal eine Patientin abgeholt und ins Krankenhaus gebracht, die kam mir irgendwie bekannt vor.“ Schnell wurde ihm klar, dass er die Dame kurze Zeit vorher im Wartezimmer derselben Klinik gesehen hatte, wo sie offenbar schon geraume Zeit saß. „Irgendwann hat sie gemerkt, dass die Patienten, die der Rettungsdienst bringt, sofort drankommen. Deshalb ist sie nach Hause gefahren und hat die 112 gewählt.“
Und dann war da noch der Unfall auf der Autobahn. Drei Pkw waren ineinandergerauscht, die Polizei hatte den Unglücksort abgesperrt. Zwischen den Wracks kümmerten sich Sanitäter und Notärzte um Verletzte. „Da merke ich plötzlich, wie ganz dicht hinter mir ein Wagen vorbeifährt“, erzählt Hubert Böck. Ein besonders rücksichtsloser Zeitgenosse hatte die Sperrung umfahren, Retter und Opfer gefährdet, um bloß keine Zeit zu verlieren.