Berühmte Gräber: Auf dem Totenacker menschelt’s

Vom Sterben der Promis und ihren Eitelkeiten auf dem Alten Südfriedhof in München. Ein neuer Kunstführer streift durch die Jahrhunderte.
Christa Sigg |
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Hier ruht Caroline von Mannlich (1784-1830) – das Grabmonument hat Johann Baptist Stiglmaier geschaffen.
Daniel von Loeper Hier ruht Caroline von Mannlich (1784-1830) – das Grabmonument hat Johann Baptist Stiglmaier geschaffen.

Vom Sterben der Promis und ihren Eitelkeiten auf dem Alten Südfriedhof in München. Ein neuer Kunstführer streift durch die Jahrhunderte.

München - Zum Alten Südfriedhof pilgern sie am Samstag zu Tausenden…

Eine stumme Andacht am Grabe der Angehörigen, ein flüchtiger Gruß mit dem Weihwasserwedel. Dann machen sie einen Rundgang und inspizieren die Gräber der Nachbarn. Da, die weibliche Marmorgestalt erregt besonderes Aufsehen.

Die junge Frau ist erst im vorigen Jahr gestorben. Soll übrigens keine Heilige gewesen sein, wie sie dargestellt wird, mit dem sicheren Eintrittsbillett für den Himmel. Und erst dort der bekannte Großkaufmann! Ein Spekulant, man kann schon sagen ein Halsabschneider. Schön ist sie ja, seine Gruft, aber die erhebende Inschrift passt durchaus nicht zu seinem Leben…

Josef Ruederer macht um 1900 diese herrlich bissigen Bemerkungen. Allerheiligen steht vor der Tür, und was der Scharfrichter und Mitarbeiter des „Simplicissimus“ in seinem München-Buch notiert hat, könnte man heute noch beim Grabgang hören. Bis auf die Tatsache, dass vom Alten Südlichen Friedhof die Rede ist, wo der Bestattungsbetrieb vor 70 Jahren eingestellt wurde.

An Allerheiligen werden Besucher also kaum auf lästernde Angehörige treffen. Inzwischen ziehen ruhebedürftige Spaziergänger ihre Runden, quietschfarbige Jogger – und Kultursinnige auf der Suche nach interessanten Gräbern und berühmten Toten.

Ganze Listen kann man da abarbeiten, vom Chef der königlichen Porzellanmanufaktur Ainmiller bis zum Schlachthof-Architekten Zenetti, dazwischen Dillis und Fraunhofer, Kaulbach, Schwanthaler, Spitzweg…

Stoff für ein umfassendes Buch, das – im aktuellen Fall – zum Drei-Kilo-Band angewachsen ist. Dabei sollten Claudia Denk und John Ziesemer eigentlich nur inventarisieren. Eine staubtrockene Angelegenheit. Aber die immer tiefere Sichtung des Materials war für die beiden Kunsthistoriker so spannend und ertragreich, dass sie ein Forschungsprojekt dranhängten.

„Die Kunst spielt auf diesem ersten Münchner Zentralfriedhof eine unglaublich wichtige Rolle, das ist einmalig und hat selbst uns stellenweise überrascht“, sagt Claudia Denk im AZ-Gespräch. „Bayerns führende Künstler waren im Einsatz und haben hier dann oft auch ihre letzte Ruhestätte gefunden.“

Die Rede ist von den großen Kontrahenten Friedrich von Gärtner und Leo von Klenze, Schwanthaler, der die Bavaria entworfen hat, Adolf von Hildebrand (Wittelsbacher Brunnen) oder den Erzgießern Stiglmaier und Miller. Zusammen mit den Gräbern wichtiger Gelehrter wie Fraunhofer, Thiersch oder Liebig lässt ausgerechnet ein Ort der Verblichenen München schon ziemlich früh leuchten: als Stadt der Künste und der Wissenschaft.

Und eine solche Anlage wirkte besser als jede Ruhmeshalle, dessen war sich später vor allem König Ludwig I. bewusst. Denn auf dem Friedhof trifft sich ganz München. Die großen und die kleinen Leut‘. Zumal seit 1788 niemand mehr in der viel zu eng gewordenen Stadt – intra muros - beerdigt werden durfte, alle, egal welchen Standes, mussten auf den wenig populären ehemaligen Pestfriedhof (ab 1563 angelegt) draußen vor dem Sendlinger Tor.

Selbst die Gebeine der längst Begrabenen waren umgebettet worden, was für mächtigen Aufruhr und so manche Petition geldiger Bürger sorgte. Ohne Chance auf Erhörung.

Dafür bekamen die Münchner einen planvoll gestalteten Gottesacker. Im Übrigen mit einem vielsagenden Grundriss in Form eines ägyptischen Sarkophags. Gustav Vorherr, Kreisbauinspektor unter Max I. Joseph, gestaltete unter Mitwirkung des Gartenspezialisten Ludwig von Sckell einen Friedhof nach Symmetrie und rechtem Winkel.

Anfangs ging es eher bescheiden zu. Denk und Ziesemer deuten beim Rundgang auf ein schlichtes schönes Grabmal, das der Bildhauer Roman Anton Boos gleich bei der Stephanskirche für seinen Schwiegervater bewusst havariert anlegen ließ – alles ist hinfällig, also auch der Stein. Die Allegorie der Religio, ausgeführt vom hoch versierten Franz Xaver Messerschmidt, steht für das einzig Ewige, den Glauben. So Sinnbildhaftes begegnet uns in den frühen Grabstätten.

Doch der Drang nach Selbstdarstellung war kaum im Zaum zu halten. Wer konnte, kaufte sich Platz für opulente Grabmäler, wenn’s sein musste bis zu fünf Einheiten. Insofern kann man auch hier wieder den Wohlstand der Verstorbenen und deren Familien ablesen. Und zwischendurch ihre Zuneigung.

Immer wieder findet man Darstellungen von Liebe und Freundschaft, einander zugewandte Paare, engelhafte Wesen, die wie im Schlaf dahingegossen scheinen. Caroline von Mannlich, ledig gebliebene Tochter des Galeriedirektors von Max I. Joseph, ist ein besonders attraktives wie anrührendes Beispiel. Nicht umsonst ziert ihre Skulptur den Titel des neuen Prachtbands.

Die elegante Liegefigur in Bronze (1831/33) – heute wird sie im Stadtmuseum aufbewahrt - gleicht der von Christian Daniel von Rauch verewigten Luise von Preußen. Und Rauch war auch am Münchner Grabmal beteiligt, vor allem aber weist der Sarkophag die außergewöhnlichen Fähigkeiten des Erzgießers Johann Baptist Stiglmaier als Bildhauer aus.

Der Friedhof war längst zu einem der ansehnlichsten in ganz Europa geworden. Und im Zuge seiner Bau- und Gestaltungswut wollte natürlich auch Ludwig I. ein Zeichen setzten. Auf ihn geht die Erweiterung um den Campo Santo zurück. Nach Bologneser Vorbild plante Friedrich von Gärtner ab 1840 ein von 175 Rundbogenarkaden gesäumtes Quadrat, das an der heutigen Kapuzinerstraße abschließt. Nicht etwa nur Minister und hohe Würdenträger sollten die herausragenden Plätze erhalten, sondern auch Künstler und Wissenschaftler.

Ludwigs Top-Riege kam so zu Ehrengrabmälern in den Neuen Arkaden. Darunter Schwanthaler Gärtner, und gleich in dessen Reichweite wurde für Klenze die noch größere, prachtvollere Gedenkstätte mit hochaufragender Säule errichtet. Diesmal war es aber nicht der König, der zahlte, sondern die Familie selbst.

Und die Preise für eine solche Gruft waren enorm. Denn die durch das Friedhofsprojekt arg in die Bredouille geratene Stadt sah keinen anderen Ausweg, als für die neuen Gräber sagenhafte Summen zu verlangen.

Leisten konnten sich die 100-jährige und damit ewige Ruhe bald nur mehr die reichen Bierbarone. Der Erste, der unter die Neuen Arkaden zog und sich dort eine kostbare Skulptur aufstellen ließ, war Georg Brey von der Löwenbrauerei. Das Wirtschaftsbürgertum, das hier nun aufschlug, engagierte die wichtigsten Künstler, frei nach dem Motto: schöner, aufwendiger, größer.

Joseph Pschorr hatte sich übrigens im Alten Teil schon zu Lebzeiten einen exquisiten Platz gesichert. Noch heute wundern sich die beiden Forscher, wie Pschorrs Riesentrumm Sarkophag zum Grab kam. Wahrscheinlich gezogen von kaltblütigen Bierrössern, denen die Nachbargräber reichlich egal waren.

Allerdings blieb auch oder gerade die Bestattungselite nicht frei von „Unschicklichkeiten“. Der Großhändler Georg Lorenz erwarb um 1890 einen der letzten freien Plätze unter den Neuen Arkaden – nur für sich und seine Gemahlin. Nach deren Tod hat der steinreiche Alte aber noch einmal geheiratet. Zu seinem Pech. Denn die junge Frau, die den Gatten um einiges überlebte, brachte das Vermögen in Monte Carlo und Nizza durch, die Spielschulden türmten sich.

Lorenz und Gattin wurden der „Ewigkeit“ entrissen und landeten auf dem neuen Ostfriedhof im Reihengrab. Ein Riesenskandal, der durch die Presse ging, vom eingangs erwähnten Josef Ruederer in seiner Novelle „Das Grab des Herrn Scherfbeck“ verewigt wurde und offenbar ganz München bewegte.

Auf dem Totenacker menschelt’s halt ganz beträchtlich, auch das ist bei Claudia Denk und John Ziesemer genüsslich nachzulesen.

„Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München“ umfasst die detaillierte Geschichte des Friedhofs mit zahlreichen Plänen und Abbildungen, was im Falle zerstörter Grabmäler besonders interessant ist. Zwei Drittel des 544-Seiten-Bands sind der Beschreibung der einzelnen Gräber und Biografien der Toten gewidmet, Deutscher Kunstverlag, 49,90 Euro.

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