Bericht aus der Hölle: So leiden die Verkäuferinnen

MÜNCHEN - Am schlimmsten war es immer kurz vorm Fest. Wenn die Kunden noch immer nicht alle Geschenke beisammen hatten, dann wurde aus Verzweiflung schnell Stress, der sich mit voller Wucht an den Verkäuferinnen entlud. „Kunden gingen mit Kleiderbügeln auf Kollegen los“, erinnert sich Anna Repina: „Die Weihnachtszeit war der Horror!“
Fünf Jahre lang arbeitete die 28-Jährige als Kassiererin bei der Modekette Zara auf der Kaufingerstraße: „Richtig Spaß gemacht hat mir die Arbeit eigentlich nie“, sagt sie heute. Aber wenn’s dann auch noch auf Weihnachten zuging, dann war ihr Job schlichtweg unerträglich: „Da denkst du ständig: Jetzt schmeiße ich alles hin!“
Noch heute schüttelt Repina den Kopf, wenn sie an die Menschenmassen in ihrer Filiale denkt, die sich kurz vor und kurz nach dem Fest – wenn der Umtausch anstand – durch den Laden schoben: „Du musst als Verkäuferin erstmal damit klar kommen, dass du alles abkriegst“, sagt sie. Den gesamten Ärger hätten die Kunden an ihr und ihren Kollegen ausgelassen.“ Da fällt es einem natürlich schwer, freundlich zu bleiben. Aber der Kunde ist ja König“
Vor allem beim Kassieren musste sich Repina einiges anhören: „Wenn die Schlange vor der Kasse auf bis zu zehn Meter Länge angewachsen ist, kriegst du richtig Angst, das du das nicht mehr schaffst“, sagt sie. Dazu kam der permanente Personalmangel: „Wir waren eigentlich ständig unterbesetzt, mussten in der Weihnachtszeit permanent Überstunden leisten.“
Auch wenn die Ladentüren um 20 Uhr endlich geschlossen wurden, ging die Arbeit weiter. Dann mussten die Klamottenberge aufgeräumt werden, die die Kunden zurückgelassen hatten: „Das war meistens ein riesiges Schlachtfeld“, sagt sie: „Danach willst du nur noch ins Bett.“
Über 80 Prozent der Verkäufer kommen mit der Arbeitsbelastung nicht zurecht
So geht’s vielen Beschäftigten im Einzelhandel in München. Laut einer aktuellen Studie, die die Gewerkschaft Verdi in Münchner Textilhandelshäusern durchgeführt hat, kommen über 80 Prozent der Verkäuferinnen und Verkäufer mit der Arbeitsbelastung nicht zurecht: „Die Beschäftigten schuften während der Weihnachtszeit wie eine Bedienung auf der Wiesn“, sagt Gewerkschaftssekretär Orhan Akman. Nur dass sie dafür schlechter bezahlt werden.
Repina hat deshalb im Oktober ihren Job bei Zara an den Nagel gehängt und studierte jetzt Politikwissenschaften in Frankfurt. Seitdem hat sie endlich auch wieder etwas mehr Zeit, sich auf Weihnachten zu Freude: „Als ich noch als Verkäuferin gearbeitet hatte, habe ich nie Weihnachtsgeschenke eingekauft“, erzählt sie: „Ich wollte schließlich nicht auch noch den anderen Verkäuferinnen das Leben schwer machen.“
Daniel Aschoff