Belastung, Bezahlung, Beschwerden: So hart ist der Alltag in den Kliniken

Zu hohe Belastung, zu schlechte Bezahlung, zu viele Beschwerden - der Alltag in Deutschlands Kliniken ist alles andere als leicht. Drei Pflegekräfte berichten der AZ von ihrem Arbeitsalltag.
von  Anja Perkuhn, Nina Job
Fünf Pfleger - Fünf Sichtweisen. In der AZ berichten sie von ihren Erfahrungen im Krankenhaus-Alltag.
Fünf Pfleger - Fünf Sichtweisen. In der AZ berichten sie von ihren Erfahrungen im Krankenhaus-Alltag. © privat/Daniel von Loeper/Petra Schramek

Zu hohe Belastung, zu schlechte Bezahlung, zu viele Beschwerden - der Alltag in Deutschlands Kliniken ist alles andere als leicht. Fünf Pflegekräfte berichten der AZ von ihrem Arbeitsalltag.

München - Hohe Belastung, wenig Wertschätzung und geringe Bezahlung. Die Krise in der Pflege wird immer akuter. Doch wie hart sind die Bedingungen wirklich? Wie sehen Pfleger ihren Beruf? Die AZ hat nachgefragt.

Thomas Bauer, 37 Jahre: "Heute sind die Krankenhäuser in der Bewerberrolle um die Pfleger"


Thomas Bauer (37) ist stellvertretender Leiter der Intensivstation am Klinikum rechts der Isar. (Foto: Daniel von Loeper)

Dass sich strukturell viel verändert hat, sehe ich vor allem in meiner Funktion als stellvertretender Leiter der Intensivstation am Rechts der Isar. Als ich mich vor 16 Jahren nach meiner Grundausbildung hier beworben habe, war das noch ein richtiges Bewerbungsgespräch. Ich habe meine Noten vorgezeigt, ich wurde ausgefragt, ich musste mich präsentieren, damit ich vielleicht einen Platz bekomme.

Heute führe ich diese Gespräche ja auf der anderen Seite: als Auswähler. Aber ich habe kein Auswahlverfahren. Ich versuche stattdessen eher, meine Station gut zu präsentieren, damit der Bewerber zu uns kommt. Die Station ist im Grunde der Bewerber geworden. Der Fachkräftemangel ist überall angekommen, auch bei uns in der Intensivpflege.

Arbeit und Familie - passt das?

Es gibt überhaupt nur noch sehr wenige Bewerbungen, gefühlt höchstens noch ein Viertel im Vergleich zu vor zehn Jahren. Wir im Rechts der Isar sind da in der Nahrungskette schon recht weit oben, München ist eine schöne Stadt, das Klinikum hat einen Namen, den man eigentlich überall kennt, es ist sehr gut ausgestattet und Wohnungen für Mitarbeiter gibt es auch.

Aber manche sehen das Finanzielle in anderen Häusern, die mehr Prämien abgeben. Das ist schon deutlich mehr geworden, dass andere Krankenhäuser Leute mit Prämien werben – und auch abwerben.

Wobei es bei dieser Arbeit nicht nur um die Bezahlung geht, denke ich. Natürlich ist die wichtig und in der Pflege, generell in sozialen Berufen, zu gering. Aber es kommt eben auch die hohe und komplizierte Arbeitsbelastung dazu, die Sieben-Tage-Woche, das Drei-Schichten-System mit Wochenenddiensten. Wenn du eine Familie hast, die du gern auch mal sehen möchtest, wird das schwierig. Bei mir ist es gerade noch schön und praktisch, dass ich zum Beispiel mal unter der Woche vier Tage frei habe. Aber wenn mein Sohn im September in die Schule kommt, wird sich vieles ändern.

Simone Leierer, 24 Jahre: "Niemals in Vollzeit"


Simone Leierer (24) im Herzzentrum. (Foto: privat)

Ich habe neben dem Studium anderthalb Jahre im Herzzentrum der TU gearbeitet. Da gab es natürlich immer viel zu tun, es gibt einen recht hohen Patientendurchlauf. Man war immer froh, wenn man die Pause im Tag untergebracht hat. Die Stimmung war trotzdem recht gut, es war ein recht junges, motiviertes Team. Dass zu wenig Personal da ist, merkt man aber jeden Tag.

Ich bin ein bisschen anders aufgewachsen im Beruf als viele der erfahrenen Kräfte: Vom Anfang der Ausbildung an haben wir gelernt, dass es immer zu wenig Leute sind – und uns antrainiert, so zu arbeiten, dass man trotzdem jedem gerecht wird. Man kennt das gar nicht anders und geht mit dem Mangel um.

Das merkt man im Vergleich zu vielen älteren Mitarbeitern, die das in ihrer Ausbildung anders gelernt haben. Die belastet das teilweise extrem, dass sie jetzt weniger Zeit haben für oft mehr Arbeit, und verzetteln sich da manchmal.

Ich könnte nicht sagen, dass man nur eine bestimmte Minutenzahl pro Patient hat und es kommt natürlich immer auf die Situation an. Aber man muss viel erledigen: die Medikamente machen, viel dokumentieren – und man hat nur ein bestimmtes Kontingent, um sich dem Patienten zu widmen. Ihm beim Waschen zu helfen zum Beispiel, oder herauszufinden, was er für ein Problem hat.

Wir hatten auf der Kardiologie immer etwa 40 Patienten. Mit vier examinierten Kräften und einem FSJ’ler hat man da dann acht bis zehn Patienten zu versorgen, da hat man schon gut zu tun. Ich war schon auf Stationen, da gab es nur mich als examinierte Kraft und vier Pflegehelfer. Man braucht die, wir sind froh, dass wir die haben, um Himmels Willen! Aber da die nicht alle Aufgaben machen dürfen, übernehmen sie meist die Körperpflege – und ich als examinierte Kraft mache die Medikamente. Dadurch geht mir der Kontakt zum Patienten verloren. Es sollte alles mehr im Verhältnis stattfinden.

Natürlich sind manche Tage besonders anstrengend. Ich sitze schon mal in der S-Bahn, fahre heim und denke: "Soll ich das jetzt machen, bis ich in Rente gehe?" Vom Beruf denke ich schon, dass ich das mein ganzes Arbeitsleben machen könnte – aber von der Belastung her? Ich mache das sehr gern, aber wenn man jünger ist, steckt man vieles besser weg. Ich habe Kollegen, die sagen: "Ich habe nur noch zehn Jahre, aber ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll."

Ich will auf jeden Fall in dem Beruf bleiben. Aber ich würde das nie Vollzeit machen. Es ist einfach alles sehr viel und man muss das zwischendurch aufnehmen und verarbeiten können und auch mal zur Ruhe kommen. Das geht bei einer 100-Prozent-Belastung nicht.


Stefan Gartner, 22 Jahre: "Wenn es so weitergeht, kollabiert das System"


Stefan Gartner (22) arbeitet als Krankenpfleger in einer Notaufnahme. (Foto: privat)

Ich bin in der Pflege, aber ich mache das unheimlich gern. Es gibt ja vieles, das den Beruf schwierig macht. In der Notaufnahme, in der ich seit anderthalb Jahren arbeite, haben wir aber das Glück, dass es einen relativ guten Personalschlüssel gibt. Weil es eben eine Notaufnahme ist, müssen auch nachts immer zwei Leute da sein. Allerdings sind wir leider nicht ganz besetzt, wir haben offene Stellen.

Die Schattenseiten vom Beruf bekomme ich natürlich mit. Vor allem den Stress dadurch, dass wir diesen akuten Pflegermangel haben. Dadurch, dass es jetzt einen neuen Bundesminister gibt, sagen viele: "Jetzt müssen wir was ändern." Es wird aber nichts vorangetrieben – weder wird die Bezahlung verbessert noch dafür gesorgt, dass es genug Personal für das gibt, was man da umsetzen will.

Ich erlebe und höre immer wieder, dass in Kliniken Betten oder ganze Stationen zugemacht werden, weil man sie gerade nicht besetzen kann. Wir merken das auch in der Notaufnahme: Wir müssen immer wieder einspringen und andere Dienste übernehmen.

Und die werden auch nicht extra vergütet, sind also null attraktiv. In anderen Ländern, in der Schweiz oder Skandinavien etwa, kriegst du für diese Dienste das doppelte Gehalt oder eine Prämie. Hier springst du nur ein, weil du weißt, dass du musst, damit der Laden läuft.

Im letzten Jahr meiner Ausbildung an der LMU-Fachschule für Krankenpflege war das ein großes Thema: dass die Pflege in anderen Ländern ein deutlich besseres Ansehen hat als hier und darum besser vergütet wird.

Pflege: Vor allem die Notaufnahme ist unterbezahlt

Es fehlt einfach auch die Wertschätzung. Viele, mit denen ich über meinen Job spreche, sagen: "Ich könnte das nicht machen, das ist voll viel Verantwortung!" Wir werden aber oft hingestellt als die, die nur die Leute waschen und ihre Ausscheidungen wegmachen. Aber wir machen immerhin drei Jahre lang eine Ausbildung, mit Staatsexamen. Es steckt viel mehr in dem Beruf, als viele denken, zum Beispiel Wissen über Medikamente oder die Anatomie des Körpers. Wir werden von jungen Assistenzärzten auch mal um Rat gefragt. Diese Expertise wird aber nicht bezahlt.

Bezahlung? Was mich derzeit am stärksten in meinem Betrieb hält, ist mein Team. Das ist stark und sozial und nett. Grundsätzlich kann ich von meiner Arbeit leben, ich bekomme eine günstige Wohnung vom Klinikum gestellt. Aber in der Notaufnahme sind wohl die am schlechtesten bezahlten Pflegekraft-Stellen im Klinikum. Man kriegt kaum Zulagen, anders als in anderen Stationen. Es gab Versuche, das zu ändern, aber die sind irgendwie immer gescheitert.

Der Gesundheitsminister spricht über Rekordreserven bei den Krankenkassen und was man damit tun kann. Dass das auf die Pflege umgelegt werden könnte, daran denkt keiner. Ich vermute, wenn von der Politik nichts grundlegend geändert wird, und danach sieht es nicht aus, kollabiert das System in drei bis fünf Jahren. Entweder gibt es dann eine Katastrophe und es werden Leute sterben. Oder wir schrammen knapp dran vorbei.

Es gibt natürlich auch gute Momente. Letztens hatte ich einen Patienten, der war schon in vielen Kliniken, in denen ihm niemand recht helfen konnte. Er war mehrere Tage hier und als er ging, ließ die Familie einen Brief hier mit einem Bild und einer Danksagung: dafür, dass ich ihr Lichtblick war. Weil sie endlich mal wieder einen netten Menschen getroffen haben, der nicht gestresst durch die Gänge geht. Das war ein Moment, in dem ich wusste: Ich bin genau richtig in der Pflege und möchte da bleiben.


Stefanie Günter, 30 Jahre: "Viele haben noch einen Nebenjob"


Stefanie Günter ist seit neun Jahren Pflegerin auf der Intensivstation des Rechts der Isar. (Foto: Daniel von Loeper)

Ich wollte schon immer in der Intensivpflege arbeiten. Seit neun Jahren bin ich im Rechts der Isar und der Beruf an sich macht mir immer noch wahnsinnig viel Spaß, bisher habe ich das keinen Tag lang bereut.

Der Patient wird sich nicht ändern

Die Strukturen drumrum haben sich aber sehr verändert. Natürlich merken wir den Mangel an Fachkräften. Es ist aber nicht einfach so, dass es früher besser war. Wir befinden uns eben in einem Veränderungsprozess, und den muss man schon mitmachen. Man muss es lernen, umzudenken. Für die, die schon länger dabei sind, ist es natürlich schwieriger, sich umzugewöhnen.

An der Pflege an sich kann man nun einmal nichts anders machen, der Patient wird immer Patient bleiben. Aber man kann das Drumherum anpassen. Wir bekommen viele neue Kollegen. Das sind dann eben keine Fachkräfte, sondern medizinische Fachangestellte – Assistenzkräfte. Die vereinfachen das Drumrum für uns, indem sie die sogenannten patientenfernen Tätigkeiten übernehmen. Zum Beispiel sich die Besucherglocke im Blick zu haben, wo sich Angehörige melden.

Man kann uns nicht mit einer Normalstation vergleichen, wir haben einen ganz anderen Personalschlüssel. Bei uns funktioniert alles noch gut, weil wir ein gutes Team sind und im Ernstfall übernehmen wir die Aufgaben von Kollegen. Das ist ganz wichtig: Wenn die Außenstrukturen schwieriger werden, steht die Teamarbeit mehr denn je im Vordergrund.

Würde mehr Geld die Pflege-Situation verbessern?

Es gibt schon sehr anstrengende Tage, aber das ist ja in jedem Beruf so. Man lernt mit den Jahren, damit umzugehen, auch mit den psychischen Belastungen, dass man jeden Tag mit Menschenleben zu tun hat. Mit der Erfahrung wächst aber die Sicherheit, es ist ja nicht jeden Tag was Neues.

Wenn ich sehe, dass jemand in der Industrie genauso viel verdient wie ich und im Nachtdienst teilweise doppeltes Gehalt kriegt, hadere ich schon mal. Immerhin bedient der eine Maschine, bei mir geht es um Menschen. Da ist die Verantwortlichkeit ganz anders.

Das Thema Bezahlung ist aber auch schwierig. Ich spreche oft mit Kollegen darüber: Würde es ein Tausender mehr besser machen? Wenn wir ihn haben, wollen wir dann in zehn Jahren wieder einen Tausender mehr? Wo ist es genug?

Es heißt jetzt, wir bekommen 7,4 Prozent mehr über die nächsten 30 Monate – was das konkret wäre, muss ich noch ausrechnen. Für mich reicht das Gehalt zum Leben, aber mehr eben auch nicht. Viele Kollegen, die man so kennt, haben noch einen Nebenjob, meistens in einem anderen Krankenhaus. Die arbeiten dann in der Anstellung reduziert und machen noch Schichten über Zeitarbeit. Da kriegt man mehr Geld, als wenn man fest in einem Haus angestellt ist. Für mich wäre das aber nichts, ich brauche die Entwicklungschancen in einem Haus und das Team.


Silke Weber, 23 Jahre: "Manchmal wird viel gemeckert und wenig dagegen getan"


Silke W. (23) arbeitet in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. (Foto: privat)

Krankenpflege ist grundsätzlich kein super bezahlter Beruf, für ein Leben in München ist es vielleicht wenig Geld. Aber ich finde, man muss im Auge behalten, dass es auch ein Ausbildungsberuf ist.

Ich beende gerade das duale Studium Gesundheits- und Krankenpflege an der Katholischen Stiftungshochschule, die Ausbildung habe ich an der Berufsfachschule Maria Regina gemacht.

Parallel dazu pflege ich in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie über eine Zeitarbeitsfirma ein paar Tage im Monat auf 450-Euro-Basis und habe mir schon ausgerechnet: Wenn ich da in Vollzeit arbeiten sollte, bekäme ich brutto und ohne Schichtzulagen etwa 400, 500 Euro mehr, als man in Festanstellung tariflich bekommt.

Mit der Zeitarbeitsfirma ist man aber natürlich nicht irgendwo fest angestellt, das wollen nicht alle – man ist dadurch nie wirklich im Team. Ich wurde zwar in allen Stationen bisher immer nett aufgenommen, aber man ist schon immer seitenständig, gehört nicht recht dazu.

Junge Pfleger lassen sich nicht mehr alles gefallen

Was mir aber in vielen Stationen aufgefallen ist, und das ist wirklich hart, aber: Manchmal wird viel über die Situation gemeckert und wenig dagegen getan. Gerade im Alltag gibt es oft festgefahrene Strukturen, von denen niemand recht weiß, wo sie herkommen – und die niemand wirklich ändern will.

Das ist auf keinen Fall der Grundeindruck von der Pflege: Da sind wahnsinnig viele gute Leute unterwegs, die das mit viel Empathie machen. Und natürlich ist es zum Teil sehr stressig und man hat eine große Verantwortung. Aber es wird oft viel gemeckert und nicht so sehr reflektiert.

Zum Beispiel hat sich mal jemand wochenlang über den Stress in einer Abteilung beschwert. Und als ich ihn fragte, wieso er nicht woanders hinwechselt, hieß es: "Naja, die Schichtpläne hier sind schon gut."

Das sind schon eher die Älteren. Das grundsätzliche zeitraubende Meckern geht aber durch alle Altersstrukturen. Aber die Jüngeren wissen, dass sie gefragt sind, und lassen sich nicht mehr alles gefallen. Mir ist noch wichtig, zu sagen: Ich arbeite wirklich gern als Krankenpflegerin, es ist ein schöner Beruf!

Lesen Sie hier: Pflege-Notstand: Münchens Kliniken werben Pfleger aus dem Ausland

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