Bekannte Ex-Bürgermeisterin lästert über München: "Will auf der Stelle wieder weg"

München – Es hat was von einem Klassentreffen, als die Grünen am Freitagabend in ihrer Fraktion 40 Jahre Mitgliedschaft im Stadtrat feiern. Aber es ist viel mehr als das. Auf der Bühne sitzt Münchner Zeitgeschichte. Sabine Csampai, Hep Monatzeder, Katrin Habenschaden und Dominik Krause haben nebeneinander Platz genommen. Vier Generationen, vier Bürgermeister, zwei davon Bürgermeisterinnen – schon dieses Bild zeigt, wie sich die Rathaus-Politik, die Grünen und mit ihnen ihre Stadt verändert haben. Überhaupt ist es ein spannender Abend. Ganz offensichtlich ist der nicht, wie so oft, wenn Parteien einladen, im Detail durchchoreographiert. An diesem Abend bleibt Platz für vieles: für Zwischentöne, für Zweifel, natürlich für viel Stolz und Eigenlob – aber auch für Bitterkeit und für Appelle an die junge Garde, die heute als stärkste Fraktion die Geschäfte führt.
Die grüne Angst vor dem Polizeistaat
Über die Jungen mag sich eh mancher der Alt-Alternativen im Rentenalter wundern, jener Grünen, die 1984 in den Stadtrat eingezogen und nun für einen Abend zurückgekehrt sind. Eindrücklich, wie sie aus den ganz alten Zeiten erzählen. Von der Angst vor dem vermeintlichen Polizeistaat, vom Volkszählungsprotest, von Anträgen, die Stadt möge einen kommunalen Puff einrichten oder kleinen Anschlägen befreundeter Aktivisten. "Wir wollten alles – und zwar sofort", so sagt es Urgestein Sigi Benker, später lange Chef der Fraktion. Eindrücklich sind auch Fotos der aufmüpfigen Grünen der 1980er, im Strickpulli statt mit Krawatte.

Die Grünen sind erwachsen geworden, auch modisch
Und wie nun die aktuellen Grünen-Chefs auf der Bühne stehen. "Wie wir mal waren, sind wir nicht mehr", sagt Bürgermeister Dominik Krause selbst. Die Fraktionschefs Sebastian Weisenburger, weißes Hemd und Sakko, Mona Fuchs in der schwarzen Bluse – so könnten sie auch eine Mitarbeiterversammlung der Kreissparkasse Fürstenfeldbruck leiten. Ja, die Grünen sind erwachsen geworden. Andererseits ist auch im Saal bei der jungen Garde um Bürgermeister Krause Idealismus zu spüren, Unruhe, Ernsthaftigkeit an dem, was man da tut. Und: Respekt und Dankbarkeit gegenüber den Urahnen, jenen frühen Grünen, die den Weg geebnet haben. Benker sagt, man möge sich einen Moment vorstellen, wie die Stadt ohne Grüne aussähe. Provinziell, ohne renaturierte Isar, eine Autofahrer-Stadt.
Tuschelthema: Warum ist OB Dieter Reiter nicht da?
Über allem schwebt interessanterweise ein aktueller Konflikt – und die Sorge, er könne eskalieren. Gerade viele der Älteren finden, dass Grün-Rot das einzig denkbare Bündnis sei, sie stehen den Koalitionszankereien kopfschüttelnd gegenüber. Dass SPD-OB Dieter Reiter nicht gekommen ist, ist ein großes Tuschelthema. Einer, der da nicht tuschelt, sondern seinen einstigen Wunsch-Nachfolger (mal wieder) direkt kritisiert, ist Alt-OB Christian Ude (SPD), der bei den alten und jungen Grünen sehr wohlwollend empfangen wird und selbst eine Rede hält. "Ich bin sehr verwundert, dass der OB ein solches Jubiläum der größten Fraktion im Rathaus nicht wahrnimmt", sagt er zur AZ, "das habe ich überhaupt nicht verstanden." Das OB-Büro erklärt am Wochenende auf AZ-Anfrage, Reiter habe lange vor der Einladung einen privaten Termin zugesagt und deshalb nicht teilnehmen können.
Ude: Appell an die eigenen Leute, sich zusammenzureißen
In seiner Rede appelliert Ude vehement für Grün-Rot. Nur sozial-ökologische Bündnisse seien die Antwort auf den entfesselten Kapitalismus. Seine Worte sind vor allem als Appell an die eigenen Leute zu verstehen, sich zusammenzureißen. "Beide Parteien sollten zur Vernunft kommen, ihre Schwerpunkte ernster nehmen als Machtspiele", sagt er der AZ, "sonst wird man es irgendwann bereuen". In seiner Rede hatte er gesagt, die Grünen könnten nichts dafür, dass die SPD immer kleiner wird, dann werde für Mehrheiten notwendig, dass die Grünen wachsen.

Habenschaden: begrüßt und geherzt
Die aktuelle SPD-Chefin Anne Hübner macht einen nachdenklichen Eindruck. Ihr Co-Chef Christian Köning sagt, man müsse "den ein oder anderen Anwurf auch mal seinlassen, das gilt aber für beide Seiten". Katrin Habenschaden, vor einigen Monaten selbst für enge Parteifreunde überraschend zur Deutschen Bahn nach Berlin geflohen, ist ebenfalls an die alte Wirkungsstätte zurückgekehrt – und sehr gerne gesehen. Überall wird umarmt, begeistert begrüßt, gefragt, wie es denn gehe. Es wird ein langer, fröhlicher Abend unter den historischen Grünen-Plakaten ("Kondome schützen – aber nicht vor Gauweiler!").
Münchner Ex-Bürgermeisterin Csampai: "Der Konsum kotzt mich an"
Doch auch persönlich gibt es Zwischentöne. Sabine Csampai, als allererste Frau in einem Bürgermeisteramt einst Pionierin, ist inzwischen 72. Und wird sehr deutlich, was sie vom heutigen München hält. Wie es ihr, die zurückgezogen in der Toskana lebt, denn geht, wenn sie heute herkomme, wird sie auf der Bühne gefragt. "Wenn ich nach München komme, will ich auf der Stelle wieder weg", sagt sie. "Der Konsum, der einem hier entgegenschlägt, kotzt mich an." München habe sich "zu einer Stadt entwickelt, die mir nichts mehr sagt". Ausgerechnet Alt-OB Ude, sonst dem Verklären alter Zeiten und der schnellen Kritik an heutigen Verhältnissen nicht abgeneigt, mag das später so nicht stehenlassen. "Da ist viel persönliche Verbitterung dabei", sagt er. Die Maximilianstraße, das Protzen, das sei doch seit Jahrzehnten so. Er nehme es in München eher gegenteilig wahr, inzwischen sei viel mehr Armut zu sehen als früher.